Die balearischen Fischer erleben seit 1980 eine Dauerkrise durch Überfischung.

Foto: Brigitte Kramer

Die Nachricht sorgte diesen Sommer auf Mallorca für Aufregung: Die berühmte Rote Riesengarnele war verschwunden. Das schmackhafte große Krustentier (Aristeus antennatus) ist eine balearische Delikatesse und erreichte zuletzt Kilopreise von bis zu 90 Euro. Doch von einem Tag auf den anderen gab es auf dem Meeresgrund entlang Mallorcas Westküste nichts mehr zu fangen. Überfischt? Ausgerottet? Für immer verloren?

Diese Fragen geisterten durch Mallorcas soziale Netzwerke und Medien. Restaurantbesitzer änderten die Speisekarte, Fischer blieben im Hafen, der balearische Umweltminister legte rasch einen Plan zum Artenschutz vor. Für die meisten Garnelen kam der zu spät: Bis zu 100 Kilo waren bis Anfang Juli jeden Tag ins Netz gegangen. Ende August hatten Wissenschaftler dann als Ursachen für das Verschwinden der Tiere ein kleines Seebeben vor der Küste Valencias, das Eindringen kalter, atlantischer Wassermassen und den Anstieg von Bodensedimenten ausgemacht. "Es gab eindeutig eine Überfischung der Garnelen", sagte der Landesumweltminister, "aber das war nicht der Grund für ihr Verschwinden."

Trotzdem saß der Schrecken tief. Der Vorfall zeigt, wie fragil und wenig kontrolliert das marine Ökosystem der Balearen ist. Überfischung ist das größte Problem, doch die Schuld tragen nicht nur die professionellen Fischer. Sie kämpfen gegen die 50.000 Sportfischer, deren Fänge nicht erfasst und oftmals schwarz an Restaurants verkauft werden. Darauf haben die 16 balearischen Fischerzünfte mit ihren 337 Kuttern immer wieder verwiesen. Sie stehen, stellvertretend für viele europäische Verbände von Küstenfischern, eine Dauerkrise durch. Die zeichnete sich bereits in den 1980ern ab und dreht sich seitdem um dieselben Begriffe: Rückgang der Bestände durch Überfischung, zu hohe Beifangquoten, Zerstörung von Lebensräumen durch Schleppnetzfischerei, unzureichende Kontrollen der Fangmenge, Wilderei.

Um fünf Uhr Richtung Menorca

Am anderen Ende Mallorcas, in Cala Ratjada, sprachen die Fischer schon vor 15 Jahren von einem Meeresreservat, das sie 2007 auch ausgerufen haben und seitdem gemeinsam mit der Regionalregierung verwalten. Das Reservat Llevant ist eines von sieben Meeresschutzgebieten des Archipels und umfasst knapp 6.000 Hektar. Es liegt vor Mallorcas Nordostküste. Heute fischen dort vier Schleppnetzkutter und neun Kähne mit handwerklichen Fangmethoden und innerhalb selbstauferlegter Grenzen, die die Bestände sichern. Jeden Abend verkaufen sie ihre Fänge im Hafen und verdienen vor allem im Sommer, wenn die Touristen Fisch essen wollen, gutes Geld. Ein großer Petersfisch kann dann bis zu 30 Euro kosten.

Joan Mercant arbeitet seit 30 Jahren in Cala Ratjada. Er fährt jeden Morgen um fünf Uhr mit seinem 20 Meter langen Schlepper in Richtung Menorca. Seitdem das Reservat besteht, kann er von seinem Beruf gut leben. Die Route wird jeden Morgen vom spanischen Umweltministerium vorgeschrieben. Das Netz gleitet so über den vom Schiff aus digital erfassten Meeresgrund, dass es Korallen oder Felsformationen umgeht. Den Beifang sortieren die Fischer binnen 30 Minuten aus, damit die zurückgeworfenen Tiere überleben können.

An einem guten Tag kann Mercant bis zu 3000 Euro Umsatz machen, mit Brassen, Garnelen, Tintenfischen, Seeteufeln oder Roten Drachenköpfen. Davon muss er die rund 500 Euro Sprit und das Gehalt seiner Leute abziehen.

Kraftaufwand und Wartezeit

Jetzt haben sich Mercant und seine Kollegen etwas Neues ausgedacht: Touristen an Board nehmen. Kommende Saison wird die Firma Pescaturismo Fahrten auf mehr als 100 Fischerbooten der Balearen anbieten: romantische Ausflüge bei Sonnenuntergang, 24 Stunden im Nationalpark Cabrera oder einen realen Arbeitstag mit den Küstenfischern. Der dauert zwölf Stunden und besteht aus kurzen, kraftaufwendigen Phasen, wenn das 100 Meter lange Netz eingeholt und geleert wird, und aus langen, ruhigen Wartezeiten, in denen der Schlepper das Meer durchpflügt.

Die Fischer vom Nordosten machen es den Kollegen an der Westküste vor: Denen sitzt der Schreck noch in den Knochen. Sie wollen nun, nach fünf Jahren Diskussionen und Verhandlungen, endlich auch ein Meeresschutzgebiet einrichten. 5000 Hektar sollen das retten, was zwischen Andratx und Sóller noch lebt: Seit dem Jahr 2000 sind die Bestände dort um 75 Prozent geschrumpft. Das kann sich schnell ändern: Selbstauferlegte Fanglimits könnten das marine Leben binnen drei Jahren verzwanzigfachen, hoffen die Fischer. Sie beweisen neuerdings Einverständnis mit Wissenschaftern und Politikern, denn sie wissen: Es geht nicht nur ums Überleben der Roten Garnele, sondern auch um ihr eigenes. (Brigitte Kramer aus Mallorca, 17.9.2016)