Wien – Beim Thema Garagenrock tauchen vor dem inneren Auge meist weiße Teenager auf, die Gitarren und Schlagzeug misshandeln und altersbedingte Themen in die Welteroberungsformel Sturm und Trieb übersetzen, schön laut und roh. Da wollte manch Übermütiger seines Freundes Mutter mit der Zunge küssen, ein anderer gar ein Hund sein oder wenigstens Strychnin verkosten, bistdunarrisch.

Das Fach boomte in den 1960er-Jahren und war männlich dominiert. Doch ein paar Ausnahmen gab es, zu diesen zählen The Shaggs. Ein obskures Album bezeugt ihre Existenz, dieses wurde jetzt vom US-Label Light in the Attic neu aufgelegt.

Die Garagenrockband The Shaggs: Ihr Album gilt als Kult, jetzt wurde es neu aufgelegt.
Foto: Light in the Attic / Hoanzl

Bestehend aus drei Schwestern der Familie Wiggin, formierten sich The Shaggs 1968 im Städtchen Fremont im US-Bundesstaat New Hampshire. Wiewohl Dorothy, Betty und Helen einem gottesfürchtigen Haushalt entstammten, förderte ihr Vater Austin ihre Ambitionen auf dem Feld des Rock 'n' Roll. Dafür erstellte er jedoch ein Regelwerk für gutes Benehmen während der Auftritte seiner Töchter. Doch Austin wollte mehr, er hatte einen Traum, er wollte die Kunst seiner Kinder für die Ewigkeit bewahren, ihnen vielleicht sogar eine Karriere im Musikgeschäft ermöglichen, wer weiß? Obwohl seine Töchter eher genervt als überzeugt von der Idee waren, wollte er, dass sie ein Album aufnehmen. "I want to get them while they're hot", soll er gesagt haben.

Er buchte ein Aufnahmestudio und bezahlte im Voraus für tausend gepresste Alben. Anregungen, doch den Beistand professioneller Musiker in Betracht zu ziehen, schlug er aus: Blut ist dicker als Talent. So kam es, dass Dot, Betty und Helen zwölf Lieder aufnahmen, die das Album Philosphy of the World ergaben. Das war 1969.

Musikalische Grundwerte

Garagenrock gilt als simple, geradlinige Kunst. Doch noch seine verrücktesten Protagonisten haben sich auf gewisse musikalische Grundwerte geeinigt. Nicht The Shaggs. Ihre Tempi waren nur die ihren, Gitarrenstimmen erschien ihnen überflüssig, beim Kauf der Instrumente sei ihrem Vater korrektes Tuning garantiert worden. Ohnehin mehrfach neben der Spur unterwegs, verzierte Dots pampiger Teenagergesang seltsame Lieder, die Who Are Parents? oder My Pal Foot Foot hießen. Dot spielte darin minimalistische Soli, und ein Lied galt als gelungen, wenn alle drei ungefähr zur selben Zeit zu spielen aufhörten.

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Austin war von dem Ergebnis angetan, doch statt der vereinbarten tausend Alben bekam er bloß hundert, dann machte sich der Studiobesitzer aus dem Staub. Nachdem Austin einen Privatdetektiv angeheuert hatte, um den Mann zu finden – noch mehr vergeudetes Geld -, verschickte er einige Kopien an Radiostationen in der Umgebung. Aus Verwunderung spielte ein Sender in Boston das Album immer wieder, und als es einmal Studiogast Frank Zappa hörte, bezeichnete er die Shaggs als besser als die Beatles.

Auf Umwegen zum Kultstatus

Ein paar Jahre später infizierte sich die Band NRBQ an dem Album und legte es auf ihrem Label wieder auf. 1980 war das, Austin tot und die Shaggs weitgehend inaktiv und vom bürgerlichen Leben absorbiert. Zuerst dachten sie, eine Neuauflage würde sie Geld kosten. Als sie erfuhren, dass sie, im Gegenteil, Geld erhalten sollten, gaben sie ihr Okay.

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In der Zeitrechnung nach Punk erlangte das Album Kultstatus, Tributes wurden veröffentlicht und Shaggs-Songs fanden in Filmen und Fernsehserien Einsatz. 2013 kehrte Dot mit der Dot Wiggin Band wieder und veröffentlichte auf Jello Biafras Label das Album Ready! Get! Go!

Freunde des Low-Fi zählen die Shaggs längst zu den Säulenheiligen des Fachs. Schließlich besitzt ihre Kunst dieselbe entwaffnende Naivität, die Daniel Johnston auszeichnet. Der wurde von Kurt Cobain geschätzt und gefördert, und derselbe Cobain notierte Philosophy of the World einst als Nummer fünf seiner liebsten 50 Alben.

Gut, an so prominenter Stelle landet dieses einnehmend schlechte Album selten. Aber als sympathisches Kleinod der daran nicht armen Pophistorie besitzt es dennoch seine Berechtigung. Denn wenn es eine Philosophy of the World gibt, dann doch die, dass alles erstaunlich ist, was es auf der Welt gibt. (Karl Fluch, 20.9.2016)