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Nach der Amtsenthebung von Ex-Präsidentin Dilma Rousseff hat die Staatsanwaltschaft nun deren Vorgänger, Luiz Inácio Lula da Silva, im Visier.

Foto: Reuters / R. Moraes

Eine Korruptionsanklage droht Brasiliens Linksikone, Luiz Inácio Lula da Silva, schon lange. Doch jetzt sind die Vorwürfe so umfangreich wie nie. Aus den im Volk immer noch geschätzten Ex-Präsidenten könnte bald ein Angeklagter werden. Die auf Korruptionsermittlungen spezialisierte Staatsanwaltschaft im südlichen Curitiba will Lula als "Comandante Máximo" eines Bestechungs- und Geldwäschenetzwerkes ausgemacht haben. Die Ermittlungen sind nicht nur das juristische Ende seines Lebenswerks, sondern die Abrechnung mit einer ganzen Epoche. Sollte er in allen Punkten schuldig gesprochen werden, drohen dem Übervater der lateinamerikanischen Linken 32 Jahre Haft. In Kürze will der Richter Sérgio Moro entscheiden, ob er die Anklage gegen Lula zulässt – was als wahrscheinlich gilt.

Derweil setzt Lula in São Paulo, von einem Schutzwall von 150 Getreuen umgeben, zur Verteidigungsrede an. Doch statt eines gewohnt kämpferischen Mannes steht ein dünnhäutiger Ex-Präsident (2003-2010) vor dem Mikrofon, der seine Tränen nicht verbergen kann. "Wenn es einen Beweis gegen mich gibt, gehe ich zu Fuß ins Gefängnis", ruft er aus. Bisher habe er nur gehört, die Staatsanwaltschaft habe die Überzeugung, aber noch keine Beweise. Nue eine "Telenovela aus Lügen" hätten die Ermittler präsentiert.

Ehrgeizige Ermittler

Wenige Stunden zuvor hatte Staatsanwalt Deltan Dallagnol dutzende Powerpoint-Präsentationen an die Wand geworfen, deren Pfeile alle auf Lula zeigten. Der Ex-Staatschef habe rund um sich ein Korruptionsnetzwerk gesponnen, angefangen vom Mensalão-Skandal 2006, bei dem Abgeordnete für ihr Votum regelmäßig Bestechungsgelder erhielten, bis hin zur milliardenschweren Korruptionsaffäre um den staatlich kontrollierten Ölkonzern Petrobras, erklärt Dallagnol. Nur mit "kriminellen Machenschaften" habe Lula die Regierungsfähigkeit der Arbeiterpartei PT garantiert. Dallagnol gehört zu einer Gruppe junger ehrgeiziger Ermittler aus Curitiba, die zum ärgsten Feind des alten Polithaudegens geworden ist. Bis vor die Vereinten Nationen will Lula für seine Verteidigung ziehen: Seine Anwälte reichten in New York Gegenklage wegen fehlender Beweislast ein.

Viele der Anschuldigungen sind auch nach monatelangen Ermittlungen vage. Lula wird vorgeworfen, sich um rund 3,7 Millionen Reais (etwa eine Million Euro) bereichert zu haben. Der einzig konkrete Vorwurf betrifft immer noch das Luxusappartement im Badeort Guarujá in der Nähe von São Paulo, das der Baukonzern OAS Lula als Gegenleistung für Aufträge hinterlassen haben soll. Lula selbst bestreitet, Eigentümer der Immobilie zu sein. Doch seine Ehefrau Marisa Letícia telefonierte ein Dutzend Mal mit den Architekten, gab Anweisungen, wie die Küche eingerichtet, welche Materialen verwendet werden sollen. Außerdem soll Lula für Vorträge, die angeblich nie gehalten wurden, mehr als neun Millionen Reais bekommen haben, die dann zur Wahlkampffinanzierung genutzt werden sollten. Auch ein Verfahren wegen Behinderung der Justiz steht noch im Raum.

Proteste gegen Sparpolitik

Die Ermittlungen haben Lula zwar einen Teil seiner Popularität gekostet, doch führt er die Beliebtheitsskala unter den potenziellen Präsidentschaftskandidaten für die Wahl 2018 weiter an. "Sollte Lula verurteilt werden, drohen soziale Unruhen", sagt Jaques Wagner, enger Lula-Vertrauter und Ex-Gouverneur des Bundesstaates Bahia. Damit könnte er recht haben. Ein Prozess gegen Lula zusammen mit dem von der neuen rechtsliberalen Regierung präsentierten Sparprogramm würde die Bevölkerung erneut zu Massenprotesten auf die Straße treiben. (Susann Kreutzmann aus São Paulo, 20.9.2016)