Jetzt fällt er hinter mir sicher gleich vom Bock, vor lauter Lachen, denk ich, als ich beim Anbremsen der ersten Kreuzung so früh die Flossen von den Rasten nehme, dass ich zwei Schritte machen muss, bis die Fuhre steht. Die Fuhre ist eine fette Bagger aus Italien, die neue Moto Guzzi MGX-21, die Kreuzung ist eine in Mailand, und der Typ hinter mir ist der Philipp – ein Kollege von der flotten Truppe, der fast andauernd von Espandrilles faselt. Aber um das geht es grad nicht.

Mit der MGX-21 bringt Moto Guzzi eine Bagger auf Basis der California.
Foto: Moto Guzzi

Ich durfte dem Philipp, der auch Motorrad-Instruktor beim ÖAMTC ist, einmal ein paar Minuten bei einem seiner Kurse über die Schulter schauen, und da sagte er zu dem Helm, auf einer recht zittrig bewegten 125er, dass es durchaus legitim sei, ein bisserl neben dem Moped herzuwatscheln, wenn es im Schritttempo um ein arges Eck geht. Beim Ausparken, oder so. Und ja, klar, ist das immer noch eleganter, als sich aus der Parklücke raus gleich einmal auf beiden Spuren heimelig auszubreiten, während schon das Moped gegen das Verrecken kämpft.

Eine Guzzi ist kein Moped

Nur, was bei einer zerscherten 125er legitim ist, schaut bei der MGX-21nur unglaublich peinlich aus. Aber was soll ich machen? Auch wenn die Guzzi unendlich schön und wahnsinnig sexy ist, zwischen meinen Beinen möchte ich den Bock nicht liegen haben. Also bau ich dort und da einen Sicherheitsschritt ein. Und wenn der Philipp nachher stänkert, frisst er einen Espandrillo. Vielleicht hat er den anderen auch auf die Art verloren.

Mit Carbon hat Moto Guzzi bei diesem Radl nicht gespart.
Foto: Moto Guzzi

Aber das genaue Gegenteil ist der Fall, als wir uns bei der ersten Pause, schon außerhalb der Stadt, zusammenstellen. Er findet auch, dass die Riesen-Guzzi nur schwer zu derhalten ist, wenn es extrem langsam wird. Für den Stop&Go-Verkehr in der Mode- und Finanzmetropole ist die MGX-21 also sicher nicht gemacht. Aber zum Flanieren am Comer See vielleicht. Dementsprechend setzen wir den neuen Kurs, nicht aber, ohne als Zwischenziele den einen oder anderen Hügel anzudenken und das Setting der Maschine zu ändern. Dank Ride-by-wire kann man die Guzzi auf einen von drei Modi vordefinieren. Nein, nix Sport, Eco und Wet, Veloce, Turismo und Pioggia heißt das bei Moto Guzzi.

Die Armaturen der MGX-21.
Foto: Moto Guzzi

Knopferlmäßig ist die MGX-21 überhaupt gut besucht. Da gibt es nämlich auch welche für den Tempomat und solchane fürs Radio, das dann auch gleich via Bluetooth die Musik vom Smartphone streamen kann, oder man schließt den Taschenzwiefel gleich an den USB-Stecker an und lädt ihn während der Fahrt. Freisprecheinrichtung gibt’s auch.

ABC und alte Socken

Erst hab ich mir gedacht, es macht schon nicht den schlankesten Fuß, wenn du auf einem fetten Carbon-Bagger wie der MGX-21 durch italienische Dörfer rast und es schreit gleichzeitig Al Bano Carisi aus den Speakern am Bock, aber was ist dann erst, wenn du durch Sinabelkirchen tschunnerst, und die Mama keift dich grad über die Freisprecheinrichtung an, weil sie schon wieder ein paar alte Socken unterm Bett gefunden hat. Oder wenn sie eben nicht die Socken gefunden hat. Und du kannst nicht einmal was darauf sagen, weil was du jetzt in deinen Helm stammelst, kannst nur du hören – aber dann ist mir eh eingefallen, dass es ja inzwischen auch schon Headsets für Helme gibt. Helmsets oder so. Als ob man am Bock telefonieren müsst. Na, das soll jeder für sich selbst entscheiden. Ich für meinen Teil war ausreichend damit beschäftigt, dem 1380 Kubikzentimeter großen V2 zu lauschen. Und die italienische Bagger durch die Kurven zu drücken.

Typisch Moto Guzzi: Der große V2-Kniewärmer, der beim harten Anbremsen auch schöne blaue Flecken am Schienbein machen kann.
Foto: Moto Guzzi

Auf den ersten paar Kilometern kam mir vor, ich höre, wie mich das 21-Zoll große Vorderrad jedes Mal auslacht, bevor es in eine Kurve geht. Eh kein Wunder, dass die Fuhre mit dem Riesenrad vorne und diesem Lenkkopfwinkel nicht von alleine ums Eck sticht, aber für die edle Optik muss das halt so sein. Es würde ja niemand das Motorrad kaufen, wenn da vorne ein Scheibtruchen-Patschen drinnen ist.

Der V2 ist luft-/ölgekühlt.
Foto: Moto Guzzi

Doch dann, nach ein paar Minuten, wird das über 350 Kilogramm schwere Motorrad – 341 Kilogramm wiegt sie ohne Sprit, und 20,5 Liter passen in den wunderschönen Tank – schon fast zum Kurvenräuber. Vorbei ist es mit dem Bild endlos langer schnurgerader Highways in den Staaten, das man sich für dieses Motorrad wünscht. Auf einmal kann man nicht mehr genug Kurven haben. Am besten sind die flotten, die lang gezogenen, aber sogar in den Serpentinen und den engen Knicken spielt sich die 2560 Millimeter lange Guzzi auf einmal. Hab ich sie erst derbändigen und unterwerfen müssen? Oder hat sie mich erst mores gelehrt?

Die beiden LED-Lichtspangen lassen das Heck noch schärfer aussehen.
Foto: Moto Guzzi

Nein, anscheinend hab ich nur meine eigene Angst abbauen müssen, die ich bekommen habe, als ich dem Monster zum ersten Mal in Echt gegenüber stand. Denn apropos Monster: Miguel Galuzzi – das ist der, der nicht nur die MGX-21 designt sondern auch die Monster ersonnen hat – erklärt mir bei einem kurzen Abstecher im Guzzi-Werk – naja, wenn wir schon am Como See sind, können wir das nicht auslassen: "Wir haben schon bei den ersten Tests bemerkt, dass die MGX-21 der schnellste Bagger ist, den wir kennen." Und so bekam die Guzzi auch bald den Spitznamen Flying Fortress. Dabei ist fast alles, was man an der fliegenden Festung sieht, aus Carbon. Die seitliche Tankverkleidung, die Kofferdeckel, die Koderer, sogar Speichenabdeckungen aus Carbon hat die Bagger-Guzzi. Nur die Trittbretter sind nicht aus Carbon. Weil die MGX-21 gar keine Trittbretter hat. So ein sportliches Motorrad braucht Rasten.

21 Zoll misst das Vorderrad. Dadurch schaut die Guzzi-Bagger richtig scharf aus, machte aber den Technikern die Arbeit schwer, weil sie nicht auf Fahrdynamik verzichten wollten.
Foto: Moto Guzzi

Während der Philipp und ich rasten und überlegen, wie es denn nun möglich ist, dass die Festung nun trotz Gewicht, Radstand und Riesenlatschen so grazil in den Kurven war, schwingt sich Miguel auf die Maschine und erklärt uns, wie man die unangenehmen Eigenheiten einer solchen Konstruktion im Zaum halten konnte, ohne optische Abstriche machen zu müssen. Mit einem Lenkungsdämpfer. Am Anfang, beim Einlenken, ist alles noch ganz offen, nur gegen Ende des Lenkeinschlages, wenn das große Vorderrad sein Eigenleben entwickeln, und umkippen will, macht der Dämpfer richtig hart zu.

Für die beiden Auspuffspoiler gibt es praktische Innentaschen.
Foto: Moto Guzzi

Als dann der Philipp mit dem Finger in der seitlichen Kerbe des Kotflügels herumstreichelt und fragt, ob die auch im Windkanal getestet worden sei, und Miguel Galuzzi wie selbstverständlich mit einem "Selbstverständlich" antwortet und die Problematik mit seitlichen Winden zu erklären beginnt, merke ich, dass meine Knie so weit ausgekühlt sind, dass sei wieder gut ein wenig V2-Abwärme vertragen würden. Also packe ich den Phillip bei der Hand, schwinge ich mich wieder auf die Flying Fortress, und suche nach dem einem Lied von Al Bano und Romina Power, zu dem wir das Guzzi-Werk verlassen und die Berge um dem Comer abg-rasen werden: "Velocità" – Velocità, è tenersi per mano, andare lontano, la velocità." (Guido Gluschitsch, 21.9.2016)

Flying Fortress nennt Moto Guzzi seine MGX-21. Wir nennen sie arg, wild und riesig.
Foto: Moto Guzzi