Fabian Lentsch in seinem zum Wohnmobil umgebauten Feuerwehrauto während der Dreharbeiten zu "Snowmads".

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Shemshak, Iran

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Artvin, Türkei

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Lentsch mit Crew in Qeshm, Iran

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Lentsch bei der Zubereitung einer Mahlzeit in Semiron, Iran

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Georgien: Auch Kettenanlegen will gelernt sein.

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Fabian Lentsch mit zwei Freeride-Kollegen beim Skifahren im Wüstensand der iranischen Insel Qeschm.

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Ein Whatsapp-Anruf aus dem Iran? Ist in diesen Tagen weder technisch noch politisch ein großes Ding. Die Verbindung über den Messenger klingt glasklar, fast meint man, die stotternden Dieselmotoren der Lkws im Hintergrund riechen zu können. Der 23-jährige Profi-Freerider Fabian Lentsch ist dran. Beim Warten vor einer Mautstelle im Linienbus nach Teheran hat er ein paar Minuten Zeit für einen Anruf gefunden. Erstaunlich. Die Wahrscheinlichkeit, ihn auf seinen permanenten Reisen ans Telefon zu kriegen, scheint geringer, als mit dem Präsidenten Rohani in der Hauptstadt der Islamischen Republik auf ein Bier zu gehen.

"Hast du mich gestern mit meinem Dad auf dem Gipfel des Sabalan gesehen?", fragt Lentsch mit einem beruhigenden Timbre in der Stimme. Eines, wie es nur Menschen haben, die schon seit Monaten herumreisen – ohne jede Unruhe bezüglich des Schlafplatzes für die kommende Nacht. Natürlich konnte jedermann Vater und Sohn auf dem Gipfel sehen – via Facebook. Der Eintrag davor ist erst vier Tage alt. Da war Lentsch noch in Georgien. Man sieht ihn mit einem Highspeed-Gleitschirm wenige Zentimeter über den schroffen Fels eines Berges fliegen.

Zentimeter

In der kurzen Biografie des Extremskifahrers aus Völs bei Innsbruck haben wenige Zentimeter schon über Leben und Tod entschieden. Etwa 2012, als er in Seefeld einmal ein Schneebrett lostrat und diesem gerade noch entkommen konnte. Am 21. September 2016 genießt er dagegen einen ganzen Höhenmeter: Er steht mit seinem Vater Joseph auf dem 4.811 Meter hohen Gipfel des Sabalan im Nordwesten des Iran; im September 2006 standen sie auf dem einen Meter niedrigeren Gipfel des Montblanc. Zehn Jahre sind vergangen, und Fabian Lentsch hat nur einen Meter gemacht? Das kann man nun wirklich nicht über ihn behaupten.

Lentsch ist seit frühester Kindheit dem Reisen verfallen. Seine Eltern Margit und Joseph arbeiten am Fahrkartenschalter des Innsbrucker Bahnhofs, lernen dort einander und das Reisen lieben, nehmen den Buben bereits früh überallhin mit. Der eher klassische Part einer Tiroler Biografie: Mit drei Jahren steht Fabian das erste Mal auf Skiern. Doch schon mit fünf weicht er lieber in den Tiefschnee aus, mit elf hängt er die Karriere als Pistenskirennfahrer an den Nagel. Noch einmal wird er mit der wunderbaren Welt auf zwei Brettern brechen.

Bemerkenswerte Pflichtübung

Gemessen an seinem Alter ist Lentsch der bemerkenswerteste Freerider der letzten Jahre. Im Sommer 2010 nimmt er in Neuseeland an zwei Qualifikationsrennen für die Freeride World Tour (FWT) teil. Die guten Platzierungen bescheren ihm in der internationalen Rangliste der FTW den dritten oder vierten Platz. So genau weiß man das gar nicht, da er noch keine 18 ist und deshalb offiziell gar nicht an der FTW teilnehmen darf. Der erste Platz beim Juniorenrennen der Freerider in Fieberbrunn im Jahr 2011 erscheint da wie eine Pflichtübung.

2012 dann gewinnt er das FWT-Rennen im Pitztal, mit weiteren hervorragenden Platzierungen bei den Qualifikationen in den Jahren 2013 und 2014 erkämpft er sich schließlich seinen Status als Profi und als Fixstarter der Freeride World Tour 2015. Lentsch ist auf dem Höhepunkt seiner Karriere, hat dafür sogar den Schulabschluss sausen lassen und tritt in den USA in Talkshows auf, wo das Interesse an europäischen Freeridern normalerweise gering ist. Und dann, am 15. Februar 2015, macht er diesen Blogeintrag.

Respekt und Unverständnis

Nach den ersten Rennen der Saison 2015 als Profi klagt Lentsch in seinem Blog über die Schattenseiten der Bewerbe: Irgendwohin um die halbe Welt fliegen, um eigentlich gar nichts davon zu sehen, weil man nur auf die Austragung der Rennen warte. Dann müssten die Bewerbe auch noch oft in Ausweichgelände verlegt werden, mit schlechtem Schnee und faden Strecken. "Das alles macht mich nicht so glücklich, wie ich erhofft habe", schreibt er und hängt seine junge Profilaufbahn an den Nagel.

Arroganz wird ihm von Kollegen vorgeworfen, offenes Unverständnis entgegengebracht, aber auch Respekt für seine Entscheidung gezollt. Lentsch scheint es nicht allzu sehr zu kümmern, er ist mit dem Kopf schon woanders.

2015 schraubt er acht Monate lang an einem alten Feuerwehrauto herum, macht es wohntauglich für eine lange Reise. Vor allem sein Freeride-Kollege und Freund Markus Ascher, den er für seine Aussteigerqualitäten schätzt (er lebt meist allein in einem Vorarlberger Wald), hilft ihm dabei. Von Anfang Jänner bis Ende Mai 2016 ist Lentsch gemeinsam mit neun international bekannten Freeridern, sieben Fotografen und zwei Filmern in diesem Gefährt unterwegs in der Türkei, in Armenien, Georgien und im Iran. Mit dem Ziel, perfekten Tiefschnee für perfekt wirkende Aufnahmen zu finden.

Schneeverrückt im Sand

Am Ende der Reise, auf der iranischen Insel Qeschm, kann man ihnen auch dabei zusehen, wie sie Steilhänge mit Wüstensand bezwingen: im Film Snowmads – A Journey Towards Eastern Suns, der Ende Oktober 2016 erstmals in Innsbruck gezeigt wird und Grund der langen Reise war. In der Hauptrolle: Fabian Lentsch, ein Freerider, der sich für sein Leben nichts anderes vorstellen kann, als perfekte Lines im Schnee zu finden. Das ist aber, wie man an dieser Stelle längst vermutet, nur die halbe Wahrheit.

Lentsch war neben seiner Teilnahme an Freeride-Bewerben bereits mehrfach mit Filmteams auf Reisen, etwa für die Produktion Passenger in Alaska. Und schon 2013 reiste er vier Monate lang mit Freunden in einem Wohnmobil. Von Innsbruck schafften sie es bis nach Kirgisistan zum Skifahren, wo sie nebenbei noch zwei 7.000er bestiegen. Also was ist Lentsch nun? Nach wie vor einer, der nur für den Tiefschnee reist – oder ein Reisender, dem der Schnee neben so vielen anderen Dingen zupasskommt? Er beantwortet die Frage selbst – per Whatsapp von der Mautstelle im Iran.

So wenig wie möglich telefonieren

"Zum ersten Mal in meinem Leben reise ich allein. Das ist es!" Sechs Wochen ist er nun schon unterwegs, bis auf den Kurzbesuch von seinem Vater ohne Begleitung und teilweise in genau jenen Ländern, die er für Snowmads nur ein halbes Jahr zuvor bereiste. "Man sieht halt auch beim Filmen zu wenig", sagt er. Und – wie auf seiner aktuellen, privaten Reise – einen ganzen Monat in Teheran zu verbringen, um dort Persisch zu lernen, wäre sich während des Drehs eben auch nicht ausgegangen.

Ob er denn nicht einmal seine Freundin Julia mitgenommen habe, die in Snowmads kurz zu sehen ist? "Wir sind nicht mehr zusammen", sagt Lentsch. Zuerst das achtmonatige Basteln am Feuerwehrauto, dann die fünfmonatige Fahrt, auf der die beiden so gut wie nie allein gewesen seien. Er würde schon einsehen, dass ihr das irgendwann zu viel war. Dann fügt Fabian Lentsch noch an: "Aber es fühlt sich wieder einmal richtig an, was ich für mich entschieden habe. Und sei es nur, vor dieser Mautstelle zu stehen und so wenig wie möglich zu telefonieren." (Sascha Aumüller, Rondo, 30.9.2016)