Am Donnerstag wurde Margherita Spiluttini mit dem Österreichischen Staatspreis für künstlerische Fotografie ausgezeichnet. Wir haben sie zum Interview getroffen. Ein Gespräch über schwarze Tücher, depperte Ängste und das Wesen guter Architekturfotografie.

STANDARD: Die meisten sagen: "Na endlich!" Was sagen Sie?

Spiluttini: Damit hätte ich nie gerechnet. Als ich die Nachricht bekommen habe, bin ich fast rausgefallen aus meinem Rollstuhl.

STANDARD: Wie kamen Sie zur Fotografie?

Spiluttini: Ich habe früher als medizinisch-technische Assistentin gearbeitet. Ich sage immer: Meine ersten Fotos waren radioaktive und radiologische Innenraumfotografien vom Körper! Nach der Geburt meiner Tochter 1972 habe ich den Job aufgegeben. Nach und nach habe ich dann auch außerhalb des Krankenhauses zu fotografieren begonnen. Das waren ganz eigene, persönliche Sachen, wo ich mich beim Kochen und Aufräumen selbst dokumentiert habe. Bei den ersten Arbeiten handelte es sich um Serien – um Versuche, die Welt in gewissen Zeitabständen zu begreifen. Niemals hatte ich daran gedacht, das jemals professionell zu machen.

STANDARD: Damals gab es in Österreich gerade mal Reportage- und Gewerbefotografie. Wie haben Sie in diesem Milieu bestanden?

Spiluttini: Die Branche war traditionell und verkrustet. Fotografie als zeitgenössische Kunstform war ein Fremdwort. Und die Magnum-Fotografie, die alle bewundert haben, war mir zu anekdotisch. Es gab keinerlei Vorbilder. Alles war möglich. Doch genau deshalb war das eine spannende Zeit! Wichtig waren die Fotokurse, Symposien und Workshops der Camera Austria im Forum Stadtpark in Graz. Die haben mich sehr geprägt. Zunächst habe ich mich in meinen Fotos mit der Gesellschaft beschäftigt, mit der Frauenbewegung, mit der Vergänglichkeit des Augenblicks. Ich habe Menschen, Momente und Landschaften fotografiert.

"Für mich ist Architekturfotografie nichts anderes als eine Kenntnisnahme der Welt. Ich nehme Architektur soziologisch als Repräsentation der Menschheit wahr." Margherita Spiluttini in ihrer Wohnung.
Foto: Heribert Corn

STANDARD: Die Landschaftsfotos haben etwas Kaltes, etwas Herbes. Wie kam es dazu?

Spiluttini: Das war bei Gott keine Tourismusfotografie! Ich denke, das hat nicht nur, aber auch biografische Anteile. Ich bin im Pongau aufgewachsen, mitten in den Alpen. Mein Vater war Baumeister, und in meiner Erinnerung ist er immer wieder vor Rohbauten, Brücken, Tunneln und technischen Bauten gestanden und hat sie bewundert. Meine ganze Kindheit war geprägt von diesen bedrohlichen Bergen und diesen technischen Eingriffen, mit denen die Menschen das Gigantische und Unwegsame der Alpen überwinden wollen. Das war eine Art Hassliebe. Das Distanzierte hat sich gehalten.

STANDARD: Sind Sie einfach herumgefahren und stehengeblieben, wo es gerade gut war? Oder wurden die Fotos geplant und konzipiert?

Spiluttini: Nein, geplant war das nicht. Das meiste ist im Vorbeifahren passiert. Aber von Schnappschüssen kann man auch nicht wirklich sprechen. Ich habe meist mit einer Plattenkamera fotografiert. Das ist ein Riesentrumm mit einem schwarzen Tuch obendrüber, das Bild auf der Mattscheibe stand auf dem Kopf und war seitenverkehrt, ein jedes Foto hat in der Einstellung Ewigkeiten gedauert. Die technische Routine ist erst im Laufe der Zeit entstanden.

STANDARD: Eines Tages kam auch die Architekturfotografie dazu.

Spiluttini: Eines Tages wurde ich gebeten, für die Österreichische Gesellschaft für Architektur (ÖGFA) Fotos für einen Wiener Architekturführer zu machen. Später habe ich dann mit Leidenschaft Häuslbauer-Ausformulierungen sowie Häuser mit Eternitschindeln fotografiert. Das Schöne und das Poetische, das Hässliche und Kitschige. Alles war gleich viel wert. Mit der Zeit entwickelt sich ein Faible für das Detail, für das Gestaltete, für das Komponierte und das Zufällige. Und plötzlich ist man Architekturfotografin.

STANDARD: Ab den Neunzigerjahren waren Sie Haus-und-Hof-Fotografin für die Schweizer Architekten Herzog & de Meuron.

Spiluttini: Der reinste Zufall! Ich war mit dem Auto nach Rom unterwegs, habe einen Zwischenstopp in Basel gemacht, wo Herzog & de Meuron gerade einen Vortrag gehalten haben, und nach dem Vortrag haben mich die beiden gefragt, ob sie mir nicht schnell die neue Ricola-Lagerhalle in Laufen zeigen können. Ich habe ein paar Fotos mit der Kleinbildkamera gemacht. Die dürften ihnen so gut gefallen haben, dass daraus eine Zusammenarbeit über viele Jahre entstanden ist.

STANDARD: Was macht gute Architekturfotografie aus?

Spiluttini: Das ist eine der Fragen, die man nie in einem Satz beantworten kann. Da gibt es viele unterschiedliche Glaubenssätze. Aber für mich ist Architekturfotografie nichts anderes als eine aufmerksame Kenntnisnahme der Welt. Ich nehme Architektur soziologisch als Repräsentation der Menschheit wahr. Das kann eine Baumeistervilla im toskanischen Stil sein, ein preisgekröntes Einfamilienhaus, ein spektakuläres Machtsymbol eines Versicherungsunternehmens. Das zweidimensional abzubilden finde ich spannend.

STANDARD: Was ist das Spannende daran?

Spiluttini: Es fehlt nicht nur die dritte Dimension, es fehlen auch alle anderen Sinneswahrnehmungen wie Tasten, Riechen, Schmecken, Hören. Aber das Schöne ist: Weil das alles fehlt, kann man es nach freiem Ermessen hineininterpretieren.

STANDARD: Ab wann kann man bei Fotografie von Kunst sprechen?

Spiluttini: Ab dann, wenn sie in einem Museum oder einer Galerie hängt und man dafür viel Geld verlangen kann.

STANDARD: Vor 20 Jahren wurde bei Ihnen multiple Sklerose diagnostiziert. Seit 2006 sind Sie auf den Rollstuhl angewiesen. Wie können wir uns Ihren Arbeitsalltag vorstellen?

Spiluttini: Meinen letzten Fotoauftrag habe ich vor zwei Jahren gemacht. Ich hatte großartige Assistentinnen, und das Fotografieren war eine Mischung aus Einstellung wählen, Anweisungen geben, überprüfen, wieder Anweisungen geben, wieder überprüfen und abdrücken. Wir waren ein eingespieltes Team – auch wenn das manchmal skurril ausgesehen haben muss. Stellen Sie sich einmal eine Fotografin im elektrischen Rollstuhl mit integrierter Stehfunktion, einem Kamerastativ und über allem drüber ein großes schwarzes Tuch vor. Wir haben oft lustige Blicke geerntet.

STANDARD: Inwiefern hat sich die Fotografie durch die Krankheit verändert?

Spiluttini: Mein ganzes Leben hat sich dadurch verändert. So eine Krankheit ist eine große Zäsur, aber irgendwann akzeptiert man seine eigene Endlichkeit, und dieses Bewusstsein bringt auch viel Ruhe. Man übt sich in Gelassenheit, in einem Neusortieren der eigenen Wichtigkeiten. Man sieht alles ruhiger, distanzierter, analytischer. Ich denke, das spiegelt sich auch in den Fotos wider.

STANDARD: Woran arbeiten Sie heute?

Spiluttini: Fotografieren geht gar nicht mehr. Dazu kann ich die Finger zu wenig bewegen. Aber durch die Krankheit habe ich erkannt, dass ich mich mit meinem Archiv beschäftigen muss – inhaltlich und auch biografisch. Das ist eine Erkenntnis, die mir als gesunder Mensch wohl vorenthalten geblieben wäre. Es hat also auch was Gutes.

STANDARD: Wie schaut diese biografische Beschäftigung aus?

Spiluttini: Ich schaue mir die alten Fotos an und wundere mich aus der historischen Distanz heraus darüber, wie deppert ich damals war. Ich kann mich an viele Ängste erinnern. Und ich sehe, wie sich meine Fotografie im Laufe der vielen Jahre verändert hat. Tatsächlich aber arbeite ich das Archiv durch und ergänze es durch das Erkennen von neuen inhaltlichen Zusammenhängen und um fehlende Daten und Fakten.

STANDARD: Wie groß ist Ihr Archiv?

Spiluttini: Circa 120.000 Diapositive und Negative. Mittlerweile haben wir das meiste auch schon digitalisiert. Ich bin sehr froh darüber, dass das Architekturzentrum Wien meinen Vorlass übernommen hat. Das ist eine große Erleichterung.

STANDARD: Der Staatspreis ist mit 22.000 Euro dotiert. Gibt es schon Pläne, was damit passieren soll?

Spiluttini: Pelzmäntel kaufen! Ach was. Ich habe mir ausgerechnet, dass das Geld in etwa ausreicht, um mit allem Drum und Dran ein Jahr lang über die Runden zu kommen. Der Staatspreis schenkt mir ein Jahr schöne Lebenszeit. (Wojciech Czaja, 2.10.2016)

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Margherita Spiluttini, geboren 1947 in Schwarzach im Pongau, machte eine Ausbildung als medizinisch-technische und radiologische Assistentin und arbeitete zunächst im Wiener AKH. Danach machte sie sich als Fotografin selbstständig. Sie unterrichtete an der Kunstuniversität Linz und an der Universität für angewandte Kunst in Wien und war bis 2011 Vorstandsmitglied in der Wiener Secession. 2015 hat sie ihr Archiv dem AzW vermacht. Zuletzt erschien ihr Buch "Margherita Spiluttini: Archiv der Räume" (Fotohof Edition).

Mittwoch, 3. September 1980, 12 Uhr 45 bis 13 Uhr 57. Fotos 1980

Foto: Margherita Spiluttini

Heinz Frank in seiner Wohnung, Wien, AT. Foto 1988

Foto: Margherita Spiluttini

Das neue Haas Haus, Wien. Hans Hollein. Foto 1989

Foto: Margherita Spiluttini

Vom Siedeln und Hausen. Foto 1997

Foto: Margherita Spiluttini

Wohnung von Margarethe Schütte-Lihotzky nach ihrem Tod. Wien. Foto 2000

Foto: Margherita Spiluttini

Sella Stausee, St. Gotthard, CH. Foto 2001

Foto: Margherita Spiluttini

Via Mala Autobahnbrücke 2, CH. Photo 2001

Foto: Margherita Spiluttini

Teufelsbrücke, CH. Foto 2001

Foto: Margherita Spiluttini

Zwei gläserne Flügelbauten am Girtannersberg, St. Gallen, CH. Architekten Herzog & de Meuron. Foto 2002

Foto: Margherita Spiluttini

Laban Dance Centre, London, GB. Architekten Herzog & de Meuron. Foto 2004

Foto: Margherita Spiluttini