Minister und Starkoch: Einig, dass nicht in jeder Küche ein Mediziner stehen muss.

Foto: Regine Hendrich

"Wir haben eine starke politische Säule, eine neue Bauernpartei brauchen wir sicher nicht": Andrä Rupprechter.

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"Die Schweinebauern tun mir so leid – die kleinen Bauern, die sich mit den Rassen gut auskennen": Manfred Buchinger.

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STANDARD: Das ist ja witzig gemeint, aber auf dieser Bierflasche steht als Inhaltsstoff-Warnung C2H5OH – also Ethanol, sprich: Alkohol. Wie gefährlich ist Essen und Trinken?

Rupprechter: Das ist eine gute Frage. Ich möchte, wenn ich die Speisekarte aufmache, nicht als Erstes den Eindruck bekommen, das ist jetzt ganz gefährlich, was ich zu mir nehme. Ich finde auch den Grundansatz mit dem Buchstabensalat völlig übertrieben und auch in der Umsetzung unnötig. Da haben wir in Österreich einfach noch etwas draufgedoppelt. Nach zwei Jahren ist der richtige Zeitpunkt zu sagen, dass wir da über das Ziel geschossen haben.

STANDARD:Was ist das Ziel?

Rupprechter: Es gibt Lebensmittelunverträglichkeiten, das ist unbestritten, es gibt Menschen, die Allergien haben. Die wissen meist selbst sehr gut Bescheid, was ihnen guttut und was nicht.

Buchinger: Es sind eigentlich immer nur die Allergien angegeben, aber nicht die Unverträglichkeiten, die ja noch häufiger sind.

Minister und Starkoch: Einig, dass nicht in jeder Küche ein Mediziner stehen muss
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Rupprechter: Darum mein Appell, das zu überarbeiten. Wir haben das in die Arbeitsgruppe zur Deregulierung eingespeist. Weit über das Ziel geschossen ist auch der Strafrahmen, der da vorgesehen ist. Dafür, betrunken zu fahren, ist der Strafrahmen bei maximal 5000 Euro, hier sind wir bei einem Strafrahmen bis zu 50.000 Euro, das ist absurd. Ein Fachmann hat mir einmal gesagt, Allergien sind selten, und es müsste eigentlich in jedem Wirtshaus ein Mediziner angestellt werden.

STANDARD: Haben Sie jetzt einen Mediziner in Ihrer Mannschaft?

Buchinger: Nein, nur eine Juristin (lacht) – kein schlechter Ansatz. Der Wohlfühleffekt fällt weg, wenn ich in ein Lokal komme und die Buchstabenkombinationen sehe. Mich irritiert, dass es in Österreich niemanden gibt, der passiven Widerstand leistet. Dass sie alle das wirklich umsetzen.

Rupprechter: Ich hoffe auch ein bisschen auf die Eigenverantwortung des Einzelnen, die zählt aus meiner Sicht schon auch noch. Man kann nicht die Verantwortung an den Wirt delegieren. Man hat schon auch als Konsument Verantwortung.

Buchinger: Frankreich hat da sehr über das Ziel hinausgeschossen, wie kann der Wirt ermessen, ob der Kunde vielleicht schon betrunken gekommen ist, und beim Weggehen ist der Wirt verantwortlich, wenn der Betrunkene einen Unfall verursacht.

STANDARD: Das ist in Österreich ja auch so: Wenn man sieht, dass ein Gast betrunken ist, muss man ihm den Autoschlüssel wegnehmen.

Rupprechter: Aber man kann vom Wirt nicht verlangen, dass er, wenn der Gast kommt, einen Alkotest macht.

STANDARD: Als vor 19 Jahren die Absenkung von 0,8 auf 0,5 Promille kam, da hat die Landwirtschaft protestiert, die gute Weine und die Rohstoffe für gute Biere herstellt. Da hat man auch gesagt, das sei nicht nötig. Tatsächlich hat sich aber diese 0,5-Promille-Grenze bewährt. Oder sollte man das auch evaluieren?

Rupprechter: Da muss man heute nicht rütteln, das ist etabliert.

Buchinger: Das Bewusstsein ist heute einfach anders. Und gerade unsere Gäste aus Wien fragen sich immer: "Wie komme ich heim?"

STANDARD: Womit wir beim Thema der Infrastruktur im ländlichen Raum sind: Hier gibt es nicht nur einen unterentwickelten öffentlichen Verkehr – es betrifft etwa auch die Mobilkommunikation. Auf dem Handy sehe ich, dass es hier nur das E-Netz gibt. Kaum ist man vom Ballungsgebiet entfernt, funktioniert das Internet nicht mehr richtig.

Buchinger: (lacht) Der Vorteil ist: Man hat mehr Zeit.

"Wir haben eine starke politische Säule, eine neue Bauernpartei brauchen wir sicher nicht."Andrä Rupprechter
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Rupprechter: Im Ernst: Das ist ein wichtiger Punkt, die digitale Versorgung des ländlichen Raumes ebenso wie die Anbindung an die Infrastruktur. In Alpbach haben wir gemeinsam mit A1 gefordert, dass ein Großteil der Breitbandmilliarde in den ländlichen Raum gehen muss. Es sollte selbstverständlich sein, dass die Bewohner den gleichen Zugang zum schnellen Internet haben.

STANDARD: Das höre ich jetzt schon seit fünf Jahren, warum ist das noch nicht umgesetzt worden?

Rupprechter: Weil die Breitbandmilliarde erst jetzt ins Laufen kommt, Ausschreibungen dazu laufen gerade. Ich habe jetzt den vierten Infrastrukturminister innerhalb von zweieinhalb Jahren als Spiegelminister, da sind die Dinge scheinbar ins Stocken geraten.

STANDARD: Warum hat es so lange gedauert?

Rupprechter: Ich bin jetzt seit zweieinhalb Jahren im Amt. Wir haben immerhin 1,1 Milliarden jährlich für die ländliche Entwicklung, es ist dort auch ein Teil für den Breitbandinternetausbau drin, in der Periode sind es 50 Millionen, vor allem für sehr entlegene Regionen.

Buchinger: Es ist halt alles zach in Österreich. Mir fällt immer wieder auf: Wenn man über die deutsche Grenze fährt, hat man auf jedem Bauernhof die Photovoltaik raufgeklatscht, bei uns passiert das noch immer nicht – das wird nicht hergestellt, das wird nicht genehmigt ...

Rupprechter: Sie rennen bei mir offene Türen ein.

Buchinger: Ich fürchte, dass uns die Beamten dafür töten. Weil es so viele gibt. Es kommen in Österreich ja schon auf einen Leistungsträger zwei Beamte, die einen bremsen.

Rupprechter: Ganz so schlimm ist es nicht. Wir haben gerade im Bereich der Photovoltaik und erneuerbarer Energieträger wirklich einen intensiven Impuls. Es gibt hier in Niederösterreich auch das Projekt E-Pendler, da geht es um E-Tankstellen im Speckgürtel von Wien, aber auch um Einzelförderung von E-Mobilen. Da haben wir in diesem Jahr zehn Millionen Euro eingesetzt. Gerade die E-Mobilität ist eine ganz wichtige Investition in den ländlichen Raum. Mobilität ist nach wie vor der größte Treibhausgasverursacher neben der Industrie.

Buchinger: Ich muss Ihnen noch etwas vorwerfen: Die Schweinebauern tun mir so leid. Nicht die, die 1500 Schweine haben und im Preiskampf Europas stecken, sondern die kleinen Bauern, die acht Sauen zu Hause hatten, im Nebenerwerb in der benachbarten Fleischhackerei arbeiteten, die Schweine immer auf Stroh hielten, weil es die Mutter schon so hatte. Sie hatten buntes Vieh im Stall, und sie kannten sich auch mit den Rassen gut aus. Die bekamen für das kleine Schwein nichts mehr, sodass sie gezwungen waren, aufzuhören. Da habe ich ein wenig Angst, dass es zu einer Situation kommt wie bei den Gänsen und bei den Enten: In Österreich gibt es keine Kükenproduktion mehr. Das muss alles aus Deutschland gekauft werden. Durch strengere Regeln als im übrigen Europa wurden bei uns die Produzenten vertrieben. Das ist vorauseilender Gehorsam.

Rupprechter: Auch da dürfen wir nicht übers Ziel hinausschießen und uns noch strengere Regeln auferlegen, als es von der EU vorgegeben wird, weil wir da einfach auch darauf achten müssen, unsere eigene Produktion zu erhalten. Puten sind ein gutes Beispiel, Gänse ebenfalls. In der Schweineproduktion haben wir tatsächlich jetzt ein vierjähriges Preistief gehabt. Die Schweinebauern kennen ja den berühmten Schweinezyklus, nur ist diesmal der erwartete Anstieg der Preise wegen der Russland-Sanktionen ausgeblieben. Das drückt natürlich auch auf den kleinen Produzenten, von dem Sie sprechen.

Buchinger: Werden denn so viele Schweine nach Russland verkauft?

Rupprechter: Russland war ein wichtiger Drittlandmarkt. Wir konnten jetzt zum Glück in den letzten Monaten einen Preisanstieg verzeichnen. In der Zwischenzeit haben wir in Europa erfolgreiche neue Märkte. Wir hoffen, dass wir in diesem Jahr auch die Öffnung für China bekommen. Wir hatten gerade die Zertifizierung von einigen Betrieben.

Buchinger: Für mich ist ja eigentlich nicht wichtig, was in China abläuft, sondern für mich ist die Qualität wichtig. Ich setze auf das Regionale: In den ersten vier Jahren war ich der "Mister Anonym" bei Merkur. Es gab keine Iglo-Packung, auf der nicht irgendwo ich die Oliven herumgeschoben habe auf der Pizza. Ich war immer gut gebrieft von den Werbeleuten. Dadurch erfährt man zum Beispiel, was "Food Appealing" ist. Dann sind wir halt einen ganzen Vormittag um diese Olive herumgepirscht.

Rupprechter: Stark in der Region, innovativ, aber auch international erfolgreich – meiner Meinung nach ist das kein Widerspruch. Die Regionalität ist eine Stärke für unsere Landwirtschaft, gerade auch in Partnerschaft mit der Gastronomie. Die Menschen können sich mit Produkten besser identifizieren, wenn sie wissen, wo sie herkommen. Kurze Transportwege reduzieren auch den CO2-Ausstoß.

"Die Schweinebauern tun mir so leid – die kleinen Bauern, die sich mit den Rassen gut auskennen."
Manfred Buchinger
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Buchinger: Gibt es ein Wirtshaus mit regionaler Küche, kommen die Leute vom Nachbardorf und bemängeln das geringe Angebot: "Es fehlt die Seezunge auf der Karte." Viele sind noch nicht so weit. Ich war an 31 Orten weltweit, habe ein wenig von der Welt gesehen ...

Rupprechter: Ich habe als Minister auch viele internationale Verpflichtungen, und wenn ich da unterwegs bin, sehe ich, dass oft die Küchenchefs und Hotelmanager Österreicher sind. Wir möchten jetzt auch mit dem kulinarischen Erbe diese internationale Komponente hervorheben, etwa durch ein Treffen der international arbeitenden Küchenchefs in Österreich, um auch den Austausch zu intensivieren.

Buchinger: Was hier so besonders ist, ist dieser enge Kontakt zum Lieferanten. Ich glaube, dass die Kleinen mehr Chancen haben sollten. Dazu gehört, dass diese Fesseln gelockert werden. Zum Beispiel schmeißt ein kleiner Weinbauer 2500 Etiketten weg, weil die Buchstabengröße nicht den gesetzlichen Vorgaben entsprach. Natürlich greifen diese Gesetze insbesondere bei kleinen Betrieben, die schwach sind.

STANDARD: Warum gibt es gerade im ländlichen Raum so viele Protestwähler?

Rupprechter: Wir haben im Moment sehr schwierige Märkte. Dass dann die Stimmung nicht himmelhochjauchzend ist, liegt auf der Hand.

Buchinger: Es gibt aber keine Alternative. Ich sage immer meinen Bauern, dass sie eine eigene Partei gründen sollen, die einfach "Die Bauern" heißt. Jeder, der etwas vom Bauern braucht, kann sie frei wählen. Sie sollen sich aus dem politischen Scheiß raushalten und einfach machen. Das ist vielleicht naiv, aber irgendwas braucht es.

Rupprechter: Wir haben schon eine starke politische Säule: gerade hier in Niederösterreich. Wir haben kürzlich 110 Jahre Niederösterreichischer Bauernbund gefeiert. Das ist eine beständige Kraft für den ländlichen Raum, die bestimmend ist. Eine neue Bauernpartei brauchen wir sicher nicht. (Conrad Seidl, 1.10.2016)