Gerade einmal 81 Tage sind vergangen, seit Theresa May das Amt der Premierministerin übernommen hat. Beim konservativen Jahrestreffen in Birmingham muss die 60-Jährige Führungsstärke demonstrieren und ihre Pläne für die Zukunft Großbritanniens vorstellen. Diese steht im Zeichen des Brexit. Mays Entscheidung, gleich zum Auftakt erstmals den Zeitplan zum EU-Austritt zu skizzieren, scheint daher logisch. Ganz so frei in ihrer Entscheidung war die Regierungschefin dabei aber nicht. Mit dem Austritt bis Ende März 2019 stellt May sicher, dass sich die Insel nicht an den nächsten Wahlen zum EU-Parlament beteiligt. Das zeugt von Realismus.

Mit dem Gerede vom erst zukünftig wieder "souveränen und unabhängigen Land" macht sich die Premierministerin allerdings die alberne Rhetorik der EU-Feinde zu eigen. Die sehen ihr Land von Brüssel unterjocht, als profitiere die fünftgrößte Industriemacht der Welt nicht seit mehr als 40 Jahren vom größten globalen Binnenmarkt und der engen Zusammenarbeit mit den nächsten Nachbarn.

Gewiss muss die pragmatische EU-Anhängerin May ihrem überwiegend europafeindlichen Parteivolk ein wenig Zucker geben. Sie sollte es mit dem Patriotismus-Gehabe aber nicht übertreiben. Von ihrem Vorgänger David Cameron kann sie lernen: Moderne, liberale Konservative werden rasch von atavistischen Kräften weggeschwemmt, wenn sie nicht rechtzeitig dagegen Stellung beziehen. (Sebastian Borger, 2.10.2016)