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Die Garage der Familie Jobs – Geburtsort des ersten Apple-Computers.

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Der Geräteschuppen in dem David Packard und William Hewlett 1939 Hewlett-Packard gründeten.

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Die Felder auf dem Mount Hamilton über der kalifornischen Stadt San Jose lassen noch etwas von der landwirtschaftlichen Vergangenheit des Silicon Valley erahnen.

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Die Tower Hall der staatlichen Universität von San Jose.

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Crist Drive 2066 in Los Altos, Kalifornien. Als die Familie Jobs vor etwa 60 Jahren in diese Gegend zog, war aus einer Marillenplantage gerade eine Schlafstadt mit eingeschoßigen Reihenhäusern geworden. Architektonisches Mittelmaß, das nie in die Verlegenheit gekommen wäre, weltweite Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen – wenn nicht Steve Jobs und Steve Wozniak in der schmuddeligen Garage mit dem Rolltor vor 40 Jahren den ersten Apple-Computer gebaut hätten. Der Rest ist Geschichte.

Zuerst kamen Computer, die hübscher ausschauten als andere, dann mit iPod, iPhone und iPad technologische Objekte der Begierde. Eine digitale Revolution später und fünf Jahre nach dem Tod von Steve Jobs fahren nun vorsichtig Kleinbusse und Mietautos an der Adresse vorbei. Spürt man die Magie in der Auffahrt? Falls ja, warnt gleich ein Schild alle Social-Media-Dokumentaristen: "Bitte nicht stehenbleiben und Fotos machen." Auf der Veranda des Nachbarhauses zieht sich eine ältere Dame in ihr Wohnzimmer zurück. Vielleicht verflucht sie diese Garage, die der Nachbarschaft ungewolltes Verkehrsaufkommen und eine neuartige Form des Reisens beschert: den Tech-Tourismus.

Nichts ist hier Protz

Früher reisten Familien an alte Stätten, um antike Denkmäler und untergegangene Kulturen in Rom oder Athen zu bestaunen. Heute fahren sie auch in Orte, wo selbst die historischen Artefakte an die Zukunft erinnern. Die Rechner im Computer History Museum von Palo Alto, eine halbe Stunde Autofahrt von Jobs Elternhaus entfernt, tragen das Versprechen auf ein rationalisiertes, besseres Leben in sich – auch wenn sie wie Bleisärge aussehen. Willkommen im Silicon Valley! Hereinmarschiert in das Tal, wo die größten Attraktionen Garagen wie die von Jobs sind. Damit wäre schon fast alles gesagt über den Monumentalcharakter dieser Gegend.

Niemand weiß, wie er sich diesen sagenumwobenen Ort vorzustellen hat. Selbst ein Buch wie das 500 Seiten dicke The Circle von Dave Eggers, das komplett in einer fiktiven Firma im Tal spielt, findet keine Bilder für das Tal, nur für die drahtlose Überwachung, die es dank Apple, Google und Facebook gibt.

Das Santa Clara Valley ist ein Stadtgürtel, der sich gute 70 Kilometer von San Francisco ins Landesinnere schlängelt, zerschnitten von zwei Highways und dutzenden Querstraßen, bebaut mit unscheinbaren Architektenträumen. Nichts ist hier Protz, alles verschwindet hinter Schindeldächern, Eukalyptusbäumen und Glasfassaden.

Ort der Nüchternheit

Silicon Valley heißt das Tal seit den frühen 1970er-Jahren, als man begann, aus dem Wüstensand die Siliziumchips für das Computerzeitalter zu formen. Es war eine wirtschaftliche Idee, keine schwärmerische Zuschreibung. Ein Ort der Nüchternheit, in dem Wissenschafter und Techniker sich austoben durften. Aus den Experimenten sind Weltmachtträume geworden. Die zwei wertvollsten Konzerne, Google und Apple, haben ihren Sitz ein paar Kilometer voneinander entfernt, Facebook vernetzt von hier aus Menschen.

Zunächst einmal geht es nach San Jose, wo das Software-Unternehmen Adobe seinen Sitz in einem weißen Hochhauskomplex hat. In der Stadt leben mehr als eine Million Menschen, sie ist also größer als das nördlich davon gelegene San Francisco, leidet aber unter akuter Unpopularität. Nicht wenige ausländische Touristen denken bei dem Namen an die Hauptstadt von Costa Rica und nicht an den Mittelpunkt des Silicon Valley. Das hat mit dem Egalitätsprinzip der Stadt zu tun. Viele Viertel sind mit identisch aussehenden Häusern bebaut, Eigenheim-Replikas im spanischen Kolonialstil, weiß getünchte Suburbia-Straßen, eingeschlossen von einschüchternden Autobahnauffahrten. In Downtown hat sich etwas historischer Charme erhalten.

Historischer Minderwertigkeitskomplex

Der Ort wurde 1777 gegründet, 1850 war er für ein Jahr sogar kalifornische Hauptstadt, es gibt eine Kathedrale, eine hübsche staatliche Uni und in der Market Street noch mehrgeschoßige Gebäude, die 100 Jahre alt sind und an Soho in New York erinnern. Bars, Restaurants, Geschäfte sind in den Erdgeschoßen, doch gleich gegenüber versperrt ein achtgeschoßiges Parkhaus die Sicht. Es hat einen Grund, warum eigentlich niemand weiß, wie dieses Silicon Valley aussieht, wenn sich selbst die größte Stadt des Tals betulich hinter Funktionsbauten versteckt. Der Minderwertigkeitskomplex ist historisch gewachsen. Lange war das Tal nur landwirtschaftliches Hinterland für San Francisco. Dank des milden Klimas, tagsüber zwischen 25 und 30 Grad, nachts um die 15, gedeihen Getreide, Gemüse, Wein und Obst. In der Kornkammer der Metropole lebten früher nur Bauern, Obstpflücker und ein paar Stadtmüde.

Im Gegensatz zur lässigen Hippie-Hochburg San Francisco waren die ineinander übergehenden Städte des Tals steife Orte. Bis eben zwischen den Santa Cruz Mountains und der San Francisco Bay die größte Innovationszelle der kapitalistischen Wirtschaft heranwuchs. Angetrieben vom Wissensdurst der Stanford University in Palo Alto, dem Machthunger des US-Militärs in den Basen an der Bay und der davon profitierenden Technikindustrie, die sie bei Forschungsprojekten unterstützte.

Reisen mit Fortschrittsglauben

Mittlerweile sind Computer keine Geheimwissenschaft mehr und haben in jeden Erdenwinkel Einzug gehalten. Indische Familien, asiatisch aussehende Mädchen, bebrillte Familienväter staunen im Computer History Museum noch über die Enigma-Kodierungsmaschine der Deutschen aus dem Zweiten Weltkrieg und die ersten Volkszählungscomputer der Vereinigten Staaten. Sie beugen sich über die Exponate wie Archäologen über Steinzeitrelikte – und wollen verstehen, wie der Mensch die Welt kodieren und zähmen wollte. Es geht zum Glück nicht immer um Kriege, Tech-Tourismus ist Reisen mit Fortschrittsglauben: dass alles einfacher und besser wird. Daran hielt auch Steve Jobs fest. Und alles hat eben mit diesen zwei Garagen zu tun, vor denen inzwischen Kleinbusse vorfahren.

Die andere Garage – eigentlich eher ein Geräteschuppen – steht in Palo Alto, 369 Addison Avenue, gleich an der Ecke zur Waverley Street. Theoretisch ein schöner Spaziergang vom Computermuseum durch schattige Magnolienalleen, nur fährt jeder mit Porsche, Prius oder Silicon Valleys eigener Automobilfantasie, dem Elektroauto von Tesla.

Geduckte Architektur

Der Geräteschuppen mit den fichtengrünen Türen und dem braun gestrichenen Holz gehört zu einem Haus aus dem frühen 20. Jahrhundert, errichtet im Stil von Arts and Crafts, einer Bewegung, die sich auf das Handwerk besann. Zwei Etagen, eine Veranda am Eingang, kleine Fenster, geduckte Architektur. Am Gehsteig verdecken Bäume die Sicht, alles an dem Haus wirkt wie eine Entschuldigung, dass es überhaupt gebaut wurde.

Hier lebte Ende der 1930er-Jahre David Packard mit seiner Frau, in der Garage gründete er 1939 mit seinem Geschäftspartner William Hewlett eine Firma, die zunächst Tonfrequenzoszillatoren herstellte. Das waren Geräte, die elektronische Audiosysteme testeten. Der erste Kunde war das Studio von Walt Disney, das den HP200A einsetzte, als es den Zeichentrickfilm Fantasia produzierte. Es war der Beginn eines der größten amerikanischen Technologiekonzerne: Hewlett-Packard.

Das Gebäude ist im Besitz der Firma, hinein können Besucher nur nach Voranmeldung. Touristen aus China, Indien, Deutschland und den USA bleiben trotzdem stehen in der beschaulichen Straße. Denn an der Veranda prangt eine Plakette. Darauf steht: "Geburtsort des Silicon Valley". Von hier aus, so die offizielle Version, hat der Boom seinen Lauf genommen. Was nicht ganz korrekt ist. Mit dem namensgebenden Silizium arbeitete das Unternehmen damals nicht. Aber nun hat die Welt einen Ort, an dem sie dem Ursprung der Technologiemoderne huldigen kann. Legenden bilden sich nicht nur in Palästen. Das wusste schon Steve Jobs, der als junger Mann die Leistung von Hewlett-Packard verehrte und an diesem reizenden Haus vorüberstreifte.

Jobs macht die Gegend sinnlicher

Überhaupt Steve Jobs. Er ist der Geist, der durch das Tal weht. Anekdoten über ihn machen diese etwas gesichtslose Gegend sinnlicher. Dass sein Mercedes ohne Nummernschild durch die Straßen fuhr, dass er sein Auto gern auf dem Behindertenstellplatz parkte, dass der junge Multimillionär in der Stanford Mall für die Sängerin Joan Baez, mit der er eine Affäre hatte, ein teures rotes Kleid von Ralph Lauren fand und ihr riet, es zu kaufen – aber nicht auf die Idee kam, es der nicht so vermögenden Künstlerin zu schenken.

Ebenfalls auf der Waverley Street steht das Haus von Steve Jobs, in dem er bis zu seinem Tod am 5. Oktober 2011 lebte und wo weiterhin seine Familie wohnt. Stehen bleiben dürfen die Apple-Jünger nicht. Wenn ein Van verdächtig langsam vorüberschleicht, dreht sich ein bulliger Mann auf dem Gehsteig um und starrt bedrohlich zu den Eindringlingen herüber.

Milliardär in Backstein

Etwas zurückgesetzt liegt das Anwesen von Jobs, ein Backsteinhaus wie ein englisches Cottage. Dass darin ein Milliardär 20 Jahre lang gelebt hat, lässt das Äußere nicht erahnen. Nur die Grundstückspreise lassen darauf schließen. Larry Page (Google), Marissa Mayer (Yahoo) und Mark Zuckerberg (Facebook) haben in der Nähe für ihre Häuser ebenfalls Millionenbeträge gezahlt. Das ruhige Viertel heißt bis heute Professorville – und erinnert an die Anfänge des Silicon Valley. Bereits im späten 19. Jahrhundert wurde in Palo Alto die Stanford University gegründet, ihr Lehrkörper wohnte hier, das parkähnliche Anwesen der Universität ist ein paar Minuten entfernt.

Doch viele Reisende zieht es eher zum Firmensitz von Google, wo sie die quietschbunten Gratisräder testen und sich vor hässlichen Spielplatzfiguren knipsen können. Im eigenen Souvenirshop gibt es T-Shirts mit dem Firmenlogo und ähnlich nützliches Zeug. Da beweist Apple schon mehr Klasse: Im schick gestalteten Geschäft an der Firmenzentrale stehen neben den eigenen Produkten auch japanische Keramikschalen für umgerechnet 27 Euro, von denen man gar nicht glauben wollte, dass man sie haben will. Minimalistisches Design, das Steve Jobs immer faszinierte.

Minimalist aus Prinzip

Sein Erbe ist es nun, das die Untertreibungssucht des Silicon Valley beendet. In ein paar Monaten zieht Apple aus dem Glaskasten am Infinity Loop aus und wird ein spektakuläres Gebäude in Cupertino beziehen, das der britische Stararchitekt Norman Foster entwarf. Der geschlossene Kreis aus gebogenen Glasplatten wird einen Umfang von 1,6 Kilometern und Platz für 13.000 Angestellte haben. Es wird der Monumentalbau der Tech-Gesellschaft. Wenn man den Flughafen San Jose anfliegt, sieht man den gigantischen Ring wie ein Raumschiff in der Landschaft stehen. Damit weiß endlich jeder, wie es im Silicon Valley aussieht. (Ulf Lippitz, Rondo, 7.10.2016)