Anja Plaschg alias Soap & Skin sorgt im Wiener Konzerthaus für stürmische Andacht.

Foto: APA/Pfarrhofer

Wien – Es zählt wohl mit zum größten Ballast der abendländischen Kultur, dass Tod und Trauer gern mit Erhabenheit und Würde gekoppelt werden. Dazu gesellt sich ein Weiheton in Moll, irgendwo mittig zwischen den Trauermärschen von Chopin und Beethoven angesiedelt, also ziemlich erdschwer und gleichzeitig schon dort hinaufschwebend, wo das Licht herkommt, dank dem man unten sehen kann, dass die Welt nicht gut eingerichtet ist. Natürlich aber haben Tod und Trauer rein gar nichts mit Würde zu tun. Der Tod ist ein Skandal. Der Tod und seine Hinterbliebenen sind rechtschaffen nur eines, sie sind jämmerlich.

Auch deshalb muss man wissen, dass die künstlerische Umsetzung dieser letzten Dinge immer nur geschehen kann, wenn man sich vom wahren Gefühl nicht allzu sehr leiten lässt, sondern sich aus der Distanz ein wenig selbst beobachtet und während der Kunstausübung bewusst posieren lässt. Das Pathos und die übersteigerte Rührseligkeit kann man meist erst im Alter schärfer trennen. Gerade in der Popmusik aber wird man in jüngeren Jahren von dieser Kunst auf dem schmalen Grat zwischen Erhabenheit und Erbärmlichkeit meist schlicht und einfach überwältigt.

Anja Plaschg alias Soap & Skin hat in ihrer Diskografie einen Tonträger stehen, der Marche funèbre titelt. Sie gilt schon jetzt trotz ihrer Jugend als eine der größten Schmerzensfrauen des Pop. Seit ihren Anfängen Ende der Nullerjahre hat sich die von vornherein international ausgerichtete und hochangesehene österreichische Musikerin auch zunehmend dem Schauspiel zugewandt. Zuletzt sah man sie heuer in Ruth Beckermanns Film Die Geträumten.

Ein interessanter Plot, weil sich Anja Plaschg hier während der Einspielung eines Hörspiels sozusagen selbst spielt, wie sie Ingeborg Bachmann spielt. Die tauscht sich mit dem Schriftstellerkollegen Paul Celan in Briefen über Liebe, Sehnsucht, Verzweiflung und immer wieder über die Kunst aus. Ebenso wie Anja Plaschg mit ihrem Schauspielerkollegen Laurence Rupp abseits der Mikrofone.

Dies führt uns zur etwas falben und im Herbst des Lebens stehenden Bühne im Großen Saal des Wiener Konzerthauses. Die Frage, ob das Spiel neben dem dank der Texte Bachmanns und Celans pathetischen Spiel nun authentisch oder inszeniert ist, wirft hier auch ein interessantes Licht auf das ausverkaufte und vom Publikum in stürmischer Andacht und mit frenetischer Gänsehaut gefeierte Konzert Anja Plaschgs.

Die Trompeten von Jericho

Sie besingt, beflüstert und bebrüllt als Soap & Skin, grüblerisch am Klavier und Klappcomputer kauernd, die großen Themen und letzten Fragen. Mit Streichquintett, zwei Männern an den Trompeten von Jericho sowie Peter Frisée an der großen Orgel des Konzerthauses (It's Götterdämmerung, Baby!) geht es um Tod, Schmerz und das Ende. Nur selten dringt Licht in diese dunklen Songwelten. Meist kämpft sich senkrecht von oben nur ein einsamer Suchscheinwerfer durch den Bühnennebel zur Künstlerin.

Im Saal raunt und rumort es. Alle sind bewegt. Man weiß nicht, ob es der Schmerz oder dessen Inszenierung ist, das in diesem Pop der letzten Tage die Künstlerin so sehr leiden macht. Songs wie ihre eigenen, dem deutschem Kunstlied (Schubert, Schumann, Strauss) zugeneigten Klavierballaden im ersten – und im zweiten Teil heftig an das Tor der Aussegnungshalle pumpernde Trip-Hop-Studien von Robert Johnsons Me and the Devil oder der syrische Trauergesang Omar Souleymans in Mawal Jamar ("He did not bury me, he did not bury me. He buried the pain in my heart but did not bury me") sind jedenfalls eines: großes Spektakel. Plaschg tanzt dazu, als hätte sie einen Bombengürtel umgeschnallt. Intensiv, künstlich, wahrhaftig, aufgesetzt. (Christian Schachinger, 4.10.2016)