Digitalisierung, Auflösung der Grenzen zwischen Beruf und Privat, vermehrt projektorientierte Arbeit: Welche Chancen könnte die neue Arbeitswelt Frauen eröffnen?

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Christiane Funken interviewte Frauen zu deren Karriereerfolgen und -hindernissen.

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Die neue Arbeitswelt komme Frauen zugute, sagt Christiane Funken, Professorin für Soziologie an der Technischen Universität Berlin. Ihre Begründung: Digitale Tools helfen, Job und Familie zu koordinieren. Neue Organisationsformen entstehen, Kommunikations- und Teamfähigkeit – traditionell weiblich konnotierte Stärken – werden immer wichtiger. Die Details zu ihrer Theorie hat Funken in ihrem neuen Buch "Sheconomy" festgehalten. Frauen, argumentiert die Wissenschafterin darin auch, seien seit langem an eine Entgrenzung zwischen Beruf und Privatem, wie sie auch die Digitalisierung mit sich bringt, gewöhnt und somit besser in der Lage, sie zu managen.

Woran liegt es jedoch nun, dass sich all diese vermeintlichen Vorteile noch nicht in der Arbeitswelt niederschlagen? "An der Trägheit unserer Unternehmen", schreibt Funken. "Sie äußert sich in einer anstrengenden, oft schwer handhabbaren Parallelität von 'alten' und 'neuen' Arbeitsstrukturen und -kulturen."

Firmen werben zwar vielfach damit, vom Diensthandy bis zum Homeoffice alles zu bieten – Bewerber sollen über die eigene Arbeitszeit selbst bestimmen können. Gleichzeitig seien jedoch die Vorstellungen und Ansprüche dieselben: Es gehe um Kontrolle statt Entfaltung, es herrschen Anwesenheitskult und Erwartungen, die nur mit Arbeit am Wochenende bewältigbar seien. Auszeiten – wie Teilzeitarbeit und Sabbaticals – würden zwar offeriert, seien aber im Grunde nicht erwünscht.

Tief verwurzelte Vorstellungen

Die Gleichzeitigkeit von Neu und Alt zeigt sich für Soziologin Funken auch in gesellschaftlichen Rollenbildern. So viel Wert in der neuen Arbeitswelt auf Fortschritt gelegt werde, so rückschrittlich sei der Umgang mit Stereotypen. Managerinnen, die Funken für ihre Studien befragte, hätten die viel zitierte gläserne Decke "in erschreckender Konsequenz" erlebt. Diese sei eben unsichtbar und gerade deshalb sehr effizient. So könnten die Frauen oft nicht klar benennen, was eigentlich dazu geführt habe, dass ihnen der letzte, entscheidende Schritt auf der Karriereleiter verwehrt geblieben ist. Lediglich hätten sie bemerkt, dass männliche Kollegen vorgezogen wurden, aber ohne bessere Leistungen oder mehr Engagement gezeigt zu haben.

Zwar hätten Maßnahmen zur Frauenförderung wichtige Regelungen gebracht, die Ursache für unterschiedliche Aufstiegschancen liege aber woanders, schreibt Funken: in den tief verwurzelten Geschlechterklischees nämlich. "Es sind Vorstellungen, die das Zusammenleben von Männern und Frauen über Jahrhunderte weg geregelt haben. Sie sind ein essenzieller Teil von uns."

Diese Vorstellungen – oder "Mythen" – hält Funken für besonders gefährlich, weil sie häufig nicht gleich erkennbar und damit schwerer zu beseitigen seien. Der wirksamste sei der "Mythos Weiblichkeit": Er sieht Frauen mit ihrer angeblich emotionalen, fürsorglichen und zartbesaiteten Art nicht gleichermaßen geeignet für das harte Geschäft in der Chefetage. Jene, die trotzdem versuchen, dorthin vorzudringen, müssten sich wiederum in ihrer Weiblichkeit unnötig verbiegen. "Eine Frau, die sich im Führungsgerangel auf 'männliche' Art zu beweisen versucht, kann demnach keine 'richtige' Frau sein", schreibt Funken.

Wer gut performt, ist sichtbar

Auch der "Mythos Mutterschaft" stehe Karriereambitionen oftmals diametral entgegen. "Sobald eine Frau, ob potenziell oder real, mit dem Etikett 'Mutter' versehen wird, wirkt sich dies auf die Einschätzung ihrer beruflichen Kompetenzen, ihrer zeitlichen Ressourcen und ihrer Leistungsbereitschaft aus." Aber auch Frauen, die sich gegen Kinder entscheiden, haben Probleme: "Im Vergleich zu ihren männlichen Kollegen, die ihre Karriere in den Vordergrund stellen, werden sie zumindest als emotional kälter oder hemmungslos karrieristisch wahrgenommen."

In ein ähnliches Dilemma könne Frauen ihr Führungsverhalten bringen, sagt Funken: Halten sie sich, den weiblichen Rollenbildern entsprechend, eher zurück, werde ihnen Führungskompetenz abgesprochen. Treten sie dominant auf und in Konkurrenz zu Kollegen, gälten sie schnell als "eiskalt", so die Soziologin, die rät, "sich nicht durch derartig klischeehafte Verhaltensrepertoires verunsichern zu lassen, sondern auf Individualität zu setzen". Es komme heute mehr denn je auf spezielle Stärken an, darauf, sich selbstbewusst zu positionieren. Gerade in Projekten könne man diese Fähigkeiten gut unter Beweis stellen – sie dienten als Karrierebecken. Wer gut performt, werde sichtbar. Eine einmalige Möglichkeit also, sich als Nachwuchsführungskraft zu behaupten.

Netzwerke stärker nutzen

Für den Aufstieg müssten Frauen auch stärker auf Netzwerke setzen, schreibt Funken. "Sie unterliegen der irrigen Annahme, dass Leistung, Präsenz, Qualität und Fleiß sich durchsetzen und dass sie automatisch den nächsten Schritt machen, wenn sie sich nur anstrengen." In einer Arbeitswelt, wo Arbeitsschritte immer weniger vorhersehbar sind und Teams ständig neu zusammenfinden müssen, ebnen (informelle) Netzwerke noch stärker den Zugang zu Informationen, Mentoren und schließlich auch zu Jobs. "Frauen sollten sich von der männlichen Version des Netzwerks nicht einschüchtern lassen oder gar diese Form der männlichen 'Kumpanei' oder 'Vetternwirtschaft' kritiklos übernehmen." Vielmehr sollten sie sich über tagtäglich erlebte Schwierigkeiten austauschen. "Das hat nichts mit einem 'weinerlichen Kaffeeklatsch' zu tun." Auch Unterstützer des anderen Geschlechts seien wichtig.

Neben Netzwerken fehle es Frauen auch häufig noch an der Bereitschaft, sich mit Macht anzufreunden, sagt Funken. Während Männer Konkurrenz mit Solidarität vereinbaren könnten, nehmen Frauen sie persönlich. Verantwortlich dafür macht die Wissenschafterin, dass sie als Kinder viel später in Kontakt mit Spielen der Überlegenheit kommen: Während Burschen beim Fußball um den Sieg kämpfen, tauschen Mädchen mit Freundinnen intime Gedanken aus. Die Sozialisation wirke nach: Auf pseudoheroische Rituale wollen sich Frauen meist ungern einlassen. So manche bewerbe sich gar nicht erst um eine Top-Position. Aber: "Was wir sind und was wir wollen, hat heute größeren Einfluss auf unsere Arbeitswelt als je zuvor."

Ein gewisser "Wille zur Macht"

Ohne einen gewissen "Willen zur Macht" könne man nicht mitgestalten, schreibt Funken. Macht, betont sie, bedeute dabei längst nicht mehr Rücksichtslosigkeit und Kampf. Nachdem Arbeiten zunehmend projektartig organisiert und Teams auf verschiedene Orte der Welt verteilt werden, seien diejenigen mächtig, die kommunizieren und kooperieren können – also Frauen.

Letztendlich, schreibt Funken, brauche es für nachhaltige Veränderung höchstwahrscheinlich beides: die Bereitschaft, sich einzulassen – aber auch das Bewusstsein, dass im Hintergrund andere Einflüsse wirken. "Nur wenn Frauen die Paradoxien der 'alten' und 'neuen' Arbeitswelt durchschauen, können sie das Ruder herumreißen und die ,neue Arbeitswelt' in ihrem Sinne mitgestalten. Fest steht schon jetzt: Es lohnt sich, durchzuhalten und sich nicht beirren zu lassen." (Lisa Breit, 22.12.2016)