In Zeiten von Globalisierung und intensivem internationalen Wettbewerb braucht es ein flexiblere Arbeitszeiten, argumentierte Bundeskanzler Christian Kern und schickt die Sozialpartner in Verhandlungen. Dort wird vor allem über den Zwölf-Stunden-Tag debattiert. Kritiker wünschen sich hingegen eine Diskussion über eine Arbeitszeitverkürzung.

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Manche Betriebe gehen diesen Schritt selbstständig und verkürzen auf eine 30-Stunden-Woche, andere lassen ihren Mitarbeitern völlig freien Raum bei Ort und Zeit der Arbeit. Obwohl einige Unternehmen verschiedenste Möglichkeiten bieten, werden diese aber oft nicht angenommen. Häufig fehlt es an einem Vorbild und Vertrauen, stattdessen kommt es zu Neid-Debatten.

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Freitag ist ein Tag, den die meisten Berufstätigen mögen. Gedanklich ist man schon bei den Wochenendplänen, die Arbeitswoche neigt sich dem Ende zu. Nicht so beim Grazer Technologieunternehmen für Fahrrad-Promotion, Bike Citizens: Hier sitzen die Mitarbeiter am Freitagvormittag schon beim Brunch, sind auf dem Weg zu Ausflugszielen oder schlafen einfach nur gemütlich aus. Denn die Arbeitswoche dauert bei Bike Citizens nur bis Donnerstag.

Geht es um flexiblere Arbeitszeiten denkt man aktuell an den zwölf-Stunden-Tag, über den die Sozialpartner noch bis Juni diskutieren. Für Kritiker wie Jörg Flecker, Professor für Allgemeine Soziologie an der Uni Wien, geht die Debatte in die falsche Richtung. Arbeit müsse besser verteilt werden, sagt er: "Viele arbeiten lange und intensiv, andere gar nicht. Seit den 80ern ist die Arbeitszeitverkürzung ausgesetzt, vorher hat es das immer wieder gegeben." Statt über sinnvolle Beschäftigung nachzudenken werde immer davon ausgegangen, dass die Menschen für die Wirtschaft da sein sollen, sagt Flecker.

Einstimmiger Beschluss: Drei Tage Wochenende

Bei Bike Citizens hat man sich die Frage nach der "guten Arbeit" gestellt: Im Sommer 2014 traf das Unternehmen die Entscheidung, seine Arbeitswoche von fünf auf vier Tage umzustellen. Anfangs gab es noch Unsicherheit, wie Geschäftspartner auf die eingeschränkte Erreichbarkeit reagieren würden. Nach einem halben Jahr Probezeit beschloss das Team dann aber einstimmig, die Vier-Tage-Woche beizubehalten. Am Montag sei man nach einem dreitägigen Wochenende einfach viel ausgeruhter und motivierter, sagt Johanna Kolb, die bei Bike Citizens arbeitet. Das hat auch die Geschäftsleitung bemerkt: Man verzeichne weniger Krankheitstage und eine fröhliche Stimmung im Büro, sagt Daniel Kofler, CEO und Gründer von Bike Citizens. Jedes Jahr wird evaluiert – die kürzere Woche hat von den Mitarbeitern 4,7 von 5 Punkten bekommen. Natürlich sei die neue Arbeitszeit auch fürs Employer-Branding gut. "Aber viele, die sich bewerben, können sich zunächst gar nichts unter der Vier-Tage-Woche vorstellen", sagt Kofler. Inspiriert wurden die Grazer von einem Blog-Eintrag über ein US-Start-up, das es vorgemacht hat. Heute dienen sie als Vorbild: Ein befreundeter Unternehmer in Wien hat die kürzere Woche nun auch eingeführt, andere Unternehmer reagieren mit Interesse, erzählt Kofler.

Schweden experimentiert

Ein anderes Experiment läuft in Schweden: In mehreren Unternehmen und Einrichtungen der Stadt Göteborg wird seit mehreren Monaten nur noch sechs Stunden pro Tag gearbeitet. Die Angestellten in einem Pflegeheim, einem Krankenhaus, einer Fabrik und einem Tech-Start-up arbeiten nur noch 30 Stunden statt 40 Stunden pro Woche. Das Resümee der Betroffenen fällt positiv aus: "Früher war ich ständig erschöpft. Jetzt bin ich viel aufmerksamer. Ich habe mehr Energie für meine Arbeit und auch für meine Familie", sagt Lise-Lotte Pettersson dem Guardian. Die Assistenzschwester arbeitet in dem an dem Projekt teilnehmenden Pflegeheim. Aber nicht nur die Arbeitnehmer fühlen sich besser, auch die Gewinne würden steigen, heißt es in dem Bericht. Die höheren Personalkosten, weil mehr Mitarbeiter benötigt werden, sind dabei schon eingerechnet. Die Schweden und kleinere Unternehmen wie Bike Citizens zeigen, dass es eine Welt neben dem klassischen Acht-Stunden-Tag und der Fünf-Tage-Woche gibt. Prinzipiell sind diese Grenzen durch ständige Erreichbarkeit ohnehin schon aufgeweicht und werden kaum eingehalten.

Die meisten Unternehmen wagen auch beim Ort des Arbeitens nur zaghafte Schritte, bieten den Mitarbeitern etwa einzelne Tage im Homeoffice an. Ein Großteil arbeitet weiterhin im Büro, zeigt eine ausführliche Studie von Deloitte über flexibles Arbeiten.

Ohne Vertrauen geht nichts

Auch das Warum wird in der Studie behandelt: Werden die Spielräume für flexibles Arbeiten nicht genutzt, ist dies hauptsächlich dem fehlenden Vorbild der Führungskräfte geschuldet. "Obwohl mobiles Arbeiten in den Unternehmen sehr weit verbreitet ist, gibt es selten gemeinsame Spielregeln, klare Erwartungen oder Unterstützung für die Führungskräfte. Dies führt häufig zu heterogenem Umgang, gefühlter Unfairness, Spannungen unter Mitarbeitern wie Führungskräften sowie negativen Erfahrungen mit Homeoffice", sagt Barbara Kellner von Deloitte. Eine Kultur, die von Vertrauen und Ergebnisorientierung geprägt ist, sei laut der Expertin eine wesentliche Voraussetzung für einen funktionierenden Umgang mit alternativen Arbeitsmodellen. Aber: Nur etwa die Hälfte der Befragten würden ihrem Unternehmen eine derartige Kultur zuschreiben, die andere Hälfte sieht noch immer Kontrolle und Anwesenheitsorientierung als wesentliche Charakteristika. In diesem Sinne sieht auch ein Großteil der Befragten die größte Herausforderung in Bezug auf flexibles Arbeiten nicht in der Erarbeitung von Modellen oder in der Einhaltung rechtlicher Vorschriften, sondern in der Veränderung der Unternehmenskultur. Mobiles Arbeiten macht der einfachen Formel Anwesenheit = Leistung einen Strich durch die Rechnung, nur aufgegangen ist diese noch nicht ganz.

Neiddebatten und Rechtfertigungen

Andreas Hieger, der in Österreich für das IT-Beratungsunternehmen Qualysoft verantwortlich ist, kann von anderen Problemen in der Umsetzung berichten: Solange es früh genug abgesprochen wurde, können seine Mitarbeiter die Arbeit auch von zu Hause aus erledigen. Das führe manchmal zu Problemen – nicht mit ihm, aber unter den Mitarbeitern. "Manche beginnen sich aufzuregen, dass Person X oder Person Y so selten im Büro ist, obwohl sie ja das Gleiche tun könnten." Vertrauen braucht es eben auch unter Kollegen. Damit es nicht zu Neiddebatten kommt, führen manche Unternehmen – vor allem in der IT-Szene – ein Interface ein, wo alle Mitarbeiter via Chat, manchmal auch mit Videofunktion, zugeschaltet sind. Man sieht sofort: Alle sitzen bei der Arbeit, nur an unterschiedlichen Orten.

Sophie Martinetz, Geschäftsführerin von Seinfeld Professionals, hat bei ihren Mitarbeitern erlebt, dass viele zu Beginn sehr zurückhaltend sind und Angst haben, dass sie als Vorgesetzte denken könnte, sie würden weniger arbeiten. "Meistens dauert es zwei bis drei Monate, bis die Flexibilität in den Köpfen der Menschen angekommen ist", sagt Martinetz. Zu Beginn bekomme sie bei jeder Kleinigkeit ausführliche Mails, wann und wo man wie viel arbeite. "Die Leute denken, sie müssten sich rechtfertigen für einen Vormittag daheim oder früheres Gehen. Aber wenn sie merken, dass ich nicht reagiere, legt sich das."

Arbeiten, wenn Arbeit da ist, war auch für Martinetz ein Leitsatz bei der Gründung des Unternehmens, das innovatives Kanzleimanagement und Infrastrukturdienstleistungen anbietet. Ein Projekt ist etwa "Northcote Recht": Die Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte arbeiten selbstständig, der einzige "Chef" ist der Mandant. "Ein Geschäftsmodell, dass für jene Anwälte ausgerichtet ist, die aus dem üblichen 80-Wochenstunden-Wahnsinn austreten wollen." Auch im Back-Office ist die Arbeit bedürfnisorientiert möglich: 30 Stunden an vier Tagen oder 20 Stunden in drei Tagen, 27 Stunden in drei Tagen – wie das die Mitarbeiter brauchen, sagt Martinetz. "Es ist nicht immer einfach, aber es zahlt sich aus. Wenn Unternehmen es nicht ermöglichen, unterschiedliche Lebensbereiche unterzubringen, sondern wenn geopfert werden muss und nichts richtig gemacht werden kann, dann entsteht große Unzufriedenheit." Wer die besten Leute wolle, der müsse da ansetzen, sagt die Juristin.

Alte Muster, alte Ängste

Auf vielen Ebenen leicht einzuführen, aber oft schwer umzusetzen, hat das flexible Arbeiten in Österreich also noch nicht wirklich die symbolische Stechuhr abgelöst. Für das Beratungs- und Forschungsinstituts EAF Berlin hat Katharina Schiedrig untersucht, weshalb Führungskräfte lieber Präsenz zeigen. Die Antwort: Sehr viele von ihnen würden immer noch Karriereeinbußen befürchten, wenn sie aktiv nach flexiblen Modellen fragen. In der Befragung zeigte sich, dass gut jede dritte Führungskraft denkt, dass sich die Karrierechancen verschlechtern würden.

Leider werde gute Führung noch immer mit Präsenz und permanenter Verfügbarkeit gleichgesetzt, heißt es im Fazit von Schiedrig. Die Politikwissenschafterin leitet am EAF das Projekt "Flexship: Flexible Arbeitsmodelle für Führungskräfte". Wie können Unternehmen gegensteuern? Systematische und transparente Pilotprojekte statt Einzelfalllösungen, schlägt Schiederig vor. Wichtig sei auch die Analyse, wo man steht, was von Führungskräften gewünscht wird und was die konkreten Hindernisse sind. Oft werde vergessen, dass eine Arbeitszeitreduktion ja auch ein Reduzieren des Arbeitsvolumens bedeute, Interessenkonflikte seien da vorprogrammiert.

Möglichkeiten und Grenzen ansprechen

Dass die Etablierung einer Vertrauenskultur in einer Deloitte-Studie bereits vor vier Jahren als größte Herausforderung der Flexibilisierung von Arbeitszeit und Ort genannt wurde, hat sich bis heute – trotz einiger individueller Vorstöße – bewahrheitet. Schiederig, Kofler, Martinetz und Hieger betonen alle angesichts der Probleme, die eine Umstellung begleiten könnten, die Wichtigkeit der Kommunikation und des genauen Informierens über die eigenen Möglichkeiten und Grenzen der Flexibilität. (23.2.2017)