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Es gibt Studien, nach denen in den nächsten Jahren rund fünf Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, aber im Gegenzug drei Millionen neu geschaffen werden. Die Frage ist: In welchen Bereichen und was müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür können? Spätestens da kommt das Konzept der vierten industriellen Revolution ins Spiel

Foto: AP/Shizuo Kambayashi

Begriffe wie Megatrend-Flexibilisierung und Industrie 4.0 fliegen uns um die Ohren. Die vierte industrielle Revolution wird allenthalben bemüht. Ein besonderes Zuckerl: Wurden die letzten drei im Nachhinein als solche festgestellt, wird sie diesmal vorausgesagt. Eine Revolution, die erreicht und eingelöst werden will. Zum Beispiel durch cyberphysische Systeme für die Produktion der Zukunft, zum Beispiel mit Innovationen in allen Bereichen auf dem Weg dorthin. Was bedeutet diese Umbruchphase für Unternehmen, und worauf haben sich Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einzupendeln?

In welche Richtung es gehen soll

In der Welt, wie wir sie kennen, ist Veränderung die einzige Konstante, und sie beschleunigt sich zusehends. Europa orchestriert die Neuformierung des industriellen Sektors mit Unterstützung der Kommunikations- und Wissensgesellschaft. Für den Wirtschaftsstandort Österreich stellt sich heute mehr denn je die Frage, in welche Richtung es gehen soll.

Produktion? Es gibt billigere Länder. Technologie? Fehlanzeige, viele guten Köpfe sind mangels nennenswerter Forschungscluster über alle Berge und das Land ein Innovation-Follower. Dienstleistung? Es gibt Studien, nach denen in den nächsten Jahren rund fünf Millionen Arbeitsplätze verloren gehen, aber im Gegenzug drei Millionen neu geschaffen werden. Die Frage ist: In welchen Bereichen und was müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dafür können?

Spätestens da kommt das Konzept der vierten industriellen Revolution ins Spiel: Weitere Automatisierung der Produktion, Digitalisierung der Prozesse, Big Data, MRT, alles, was mit "Smart" beginnt, und vor allem Innovationen sollen rasantes Wirtschaftswachstum bringen. Damit verbunden der Begriff des Start-ups, in dem viele eine Panazee für schwache Kennzahlen sehen: technologisch versierte Gruppen, bestens vernetzt, voller Produktideen im Kopf und auf der Suche nach Risiko- bzw. Wagniskapital.

Über den Tellerrand

Bei der Verknüpfung des Prozess-Know-hows, der Produktionsmittel, des Kapitals von Produktionsunternehmen und der innovativen, wendigen, IKT-affinen und User-nahen Start-ups hoffen alle auf den großen Wurf am Wachstumsmarkt Lebensqualität oder zumindest die Lösung eines Problems: Samsung suchte nach einer Lösung für Bauteile, die zur Überhitzung neigen. Wo fanden sie die Lösung? In Island gab es einen Experten, der heißes Wasser aus Geysiren bohrte. Zwei gänzlich verschiedene Geschäftsfelder, und doch hat der eine die Lösung für den anderen. Ohne Vernetzung wäre das Auffinden des Isländers schwierig gewesen und das Finden der Lösung ein langer, kostspieliger Prozess. Es gilt also, den Blick vom Tellerboden zu heben und über den Rand zu blicken.

Eine Methode der Wahl heißt Open Innovation: Unternehmen benötigen die Expertise von außen, da Wissensvermehrung und -streuung durch die Vernetzung gestiegen ist. Lösungen kommen oft aus anderen Geschäftsfeldern oder durch kreative Prozesse, für die in großen Firmen wenig Raum war. Im Idealfall sammelt Open Innovation dieses Wissen zum einen aus der Außensicht (eingebunden werden Lead-User wie Konsumenten, Kunden, Betroffene, Forschungseinrichtungen und Start-ups) und zum anderen aus der Innensicht (Mitarbeiter). Das Innen-außen-Prinzip (Coupled Process, Crowdsourcing ) lässt den Stakeholder-Dialog alt aussehen, denn Open Innovation befragt nicht nur, sondern bindet die Experten als (ökonomische) Partner ein. Diese kombinierte Innen- und Außensicht führt im Idealfall zu Stars und in jedem Fall zu Veränderungen und damit zuerst einmal zu Irritationen bis hin zu (heißen und kalten) Konflikten in den bestehenden Systemen.

Warum Kooperation so wichtig ist

Unterschiedliche Kulturen, ein anderes Mindset oder Denkweisen sind gute Voraussetzungen für Neues. Das stresst und fordert von Großorganisationen besondere Fähigkeiten ein: Offenheit, Neugierde, aber auch Empathie, Verständnis, Flexibilität – kurz: die Fähigkeit zur Kooperation. Start-ups verfügen zumeist über Spezialwissen, besondere Techniken, handeln selbstverantwortlich und bilden dabei neue Formen der Zusammenarbeit in spezifischen Organisationsstrukturen heraus aus – eine davon die allseits gehypte Holacracy. Wenn stark hierarchisch strukturierte Organisationen auf Schwarmorganisationen treffen, entsteht vor allem eines: ein weites Lernfeld für beide Seiten.

Kooperation wird als Form gesellschaftlicher Zusammenarbeit zwischen Personen, Gruppen oder Institutionen verstanden, wobei es unterschiedliche strukturelle Bedingungen für Organisation (Unternehmenskultur, Form der Führung, Arbeitsgestaltung) und Personen (Werte, Einstellung, Persönlichkeitsmerkmale, Sozialisierung) gibt, damit Kooperation überhaupt erst möglich wird. Und: Kooperation setzt faire Bedingungen voraus, es muss Gegenseitigkeit, es muss Reziprozität gegeben sein.

Innovation braucht Kooperationen nach außen: mit anderen Unternehmen oder For-schungseinrichtungen – und Know-how und Ressourcen ("cross-innovation") und Kooperationen nach innen: Vernetzung und Aktivierung der Kooperationsbereitschaft der eigenen Mitarbeiter. Die Bereitschaft zur Kooperation in und zwischen Organisationen darf nicht vorausgesetzt werden. Es ist mitunter ein langer Weg, bis Hygienefaktoren und Motivatoren richtig stimmen. Schlimmer noch: Glaubt man Studien (auch jener der Hay Group), dann sind Mitarbeiter nicht nur der größte Kostenfaktor, sondern ein veritables Risiko: Durchschnittlich engagieren sich nur 66 Prozent der Mitarbeiter. Niemand wird ernsthaft glauben, dass sich dieser böse Befund verbessert, wenn nun zusätzlich ein Open-Innovation-Prozess ungebremst auf ein eher traditionell verfasstes Unternehmenssystem trifft und Flexibilität ohne Ende gefordert wird.

Ohne Frauen wird das nichts

Hinzu kommt, dass bereits der Weg zur vierten industriellen Revolution stark die männliche Handschrift trägt und einmal mehr auf die Hälfte der Talente – nämlich jene der Frauen – weitgehend verzichtet wird. Diese Unvernunft lässt sich aus dem Forba-Trendreport 2016 destillieren und bedeutet nichts Gutes für das revolutionäre Geschäft.

Denn Innovationsökosysteme brauchen die Vielfalt, wollen Innovationen entwickelt und erfolgreich ökonomisiert bei möglichst vielen unterschiedlichen User-Gruppen landen. Das Zukunftsbild vierte industrielle Revolution lautet – der Fraunhofer-Studie folgend – hohe Produktvielfalt bei geringer Losgröße, das zuverlässige und flexible Eingehen auf Kundenwünsche bei gleichzeitiger Berücksichtigung der wirtschaftlichen Kenngrößen. Zur Erinnerung: Neben dem Geschlecht gibt es noch Kategorien wie kultureller Hintergrund, Alter, sexuelle Orientierung und so weiter und so fort – viele unterschiedliche Blickwinkel und einen riesigen Markt. (8.4.2017)