Wien – Der Abend einer vollkommenen Überwältigung begann damit, dass man fast direkt in die akustische Ausflugschneise des Flügels des Solisten zu sitzen kam. Der große Bösendorfer war weniger Klavier als Abschussrampe klirrender Tongeschosse, an den Schalthebeln der Klangmacht waltete Sir András Schiff. Bei Schumanns Klavierkonzert präsentierte er schon die erste Erhebung des melancholischen Hauptthemas zur Subdominante derart plärrend und gehetzt, dass man zusammenzuckte.

In weiterer Folge demonstrierte er viel lautstarkes emotionales Engagement. Im 1. Satz waren auf seiner erratischen Reise bald erste Opfer zu beklagen: Das kurze Oboensolo im zweiten Thema ging im Wellenschlag seiner Begleitfloskeln flöten. Beim triumphalen Kopfthema des Finalsatzes kam Schiff vor lauter Euphorie die Stimme der linken Hand abhanden, genauso wie im eiligen Mittelsatz jede Intimität. Der lyrische Finalsatz von Schumanns C-Dur Fantasie, den der 62-Jährige als XL-Zugabe spielte, entschädigte jedoch in dieser Hinsicht.

Wer aufgrund der farblosen Art, mit der die Sächsische Staatskapelle Dresden Schiff unter der Leitung von Myung-Whun Chung begleitet hatte, auf eine begrenzt ohrenbetäubende fünfte Mahler-Symphonie gehofft hatte, der hoffte vergeblich. Der Erste Gastdirigent operierte bei der Analyse des komplexen Werkes nicht mit dem Skalpell, sondern mit dem Holzhammer, die facettenreichen Aspekte des Dämonischen waren allesamt nur plakativ.

In den Fortissimo-Stellen gebrach es Chung an Plastizität und Tiefenschärfe: alles nur laut hier, eine Geisterbahnfahrt mit dem Lärmpegel eines gefüllten Oktoberfestzelts. Eine neue Erfahrung: dass man bei Mahler rein äußerlich leiden kann. Laute Begeisterung für laute Musik im Musikverein. (end, 10.10.2016)