Marcel Koller: "Schlussendlich haben die Serben ein Tor mehr geschossen, doch ich glaube, ein Unentschieden wäre gerecht gewesen."

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Wien – Teamchef Marcel Koller geht auf Krücken. Das bereits viermal operierte linke Knie ist völlig kaputt, der Meniskus hat sich verselbständigt, schwimmt durch die Gegend. Der Knorpel ist ein einziger Schaden, die Kreuzbänder schlenkern. Zu diesem physischen Schmerz gesellte sich auch ein seelischer, jener aus Belgrad vom Sonntagabend.

Koller hatte Montagmittag das 2:3 in der WM-Qualifikation gegen Serbien öffentlich zu verarbeiten. Zur Vorbereitung hat sich der 55-Jährige die Partie noch einmal auf Video angeschaut, Hut ab. "Es gab auch gute Dinge", sagte er, allerdings mussten aufgrund des Resultats die "schlechten" thematisiert werden. "Ich habe die Kompaktheit vermisst, in der Vorwärtsbewegung und bei Ballbesitz wurden Fehler gemacht, wir waren nicht gut organisiert."

All diese Dinge müssten intern abgearbeitet werden. Fakt ist: Österreich hat in den ersten drei Partien der WM-Quali bereits sechs Gegentreffer kassiert, in der gesamten EM-Ausscheidung, also in zehn Spielen, waren es sechs. Warum, Herr Koller, hat man etwa die Basics verlernt? "Nein, das ist Kopfsache. Im Fußball passiert alles im Kopf. Es kommt auf Sekundenbruchteile an. Die Wege nach vorne sind die einfachen. Zurück ist halt immer ein Scheißweg. Ich kann nicht in sie hineinprügeln, dass sie immer nach hinten laufen. Da geht es um Wahrnehmung und das richtige Bewusstsein." Es sei zu simpel, die drei Gegentore nur der Defensive anzukreiden.

Baustellen

Nach dem 2:2 gegen Wales hatte der Schweizer gesagt: "Die Mannschaft ist erwachsen geworden." Nun musste er relativieren: "Man wird nicht an einem Tag, durch ein Spiel erwachsen." Koller hat sich ein paar Themen oder Baustellen selbst eingebrockt. "Die werden von der Öffentlichkeit, den Medien geführt. Nicht von mir." Das Experiment mit Kevin Wimmer (Stammreservist in Tottenham) als linken Verteidiger wurde nicht für beendet erklärt. "Es wäre zu einfach, ihm die Schuld zu geben."

David Alba nimmt bei Bayern München diese Position ein. Im Team ist er im Mittelfeld gesetzt (mit wechselnden Misserfolgen), das ist für Koller in Stein gemeißelt, da fahren alle Züge der österreichischen Bundesbahnen drüber. Koller ist es leid, danach gefragt zu werden, obwohl er zumindest ausweichend antwortet und nicht mit der Krücke wirft. "Links hätte Alaba weniger Ballkontakte. Österreich ist nicht Bayern München." Abgesehen davon habe Alaba "eine gute Leistung" geboten.

Mittelfeldmotor

Weshalb Alessandro Schöpf nicht endlich einmal der Startformation angehört, zum Beispiel anstelle des seit Monaten formlosen Zlatko Junuzovic, bleibt eines von Kollers Geheimnissen. "Leuten das Vertrauen zu entziehen, ist keine Lösung." Schöpf sei sicher einer, "der sofort ins Spiel findet. Es war oft so, dass einer in der Nationalmannschaft das Tief überwunden hat. Wenn sich am Tief nichts ändert, muss man aber diskutieren und handeln."

Koller geht davon aus, dass die Mannschaft in der Lage sei, Selbstkritik zu üben. "Nicht bei Interviews nach dem Match, sondern im stillen Kämmerlein. Ich schließe Überheblichkeit aus. Sie wissen ganz sicher, dass die Niederlage nicht nur Pech war." Dass einige, etwa Aleksandar Dragovic und Julian Baumgartlinger, bei ihren Klubs nur Ersatz sind, sei bitter "aber nicht zu ändern".

Der Teamchef erwähnte noch, dass Österreich in Belgrad zwei Elfer zugestanden wären und in der Nachspielzeit ein Rückpass vom Schiedsrichter nicht als solcher gewertet wurde. "Schlussendlich hat der effizientere Gegner ein Tor mehr geschossen."

Am 12, November geht es in Wien gegen Irland weiter. Bereits 44.000 Karten sind verkauft. Möglicherweise muss sich Koller noch davor einer Knieoperation unterziehen. Er wollte bis Dezember warten. Ein "Scheißweg". (Christian Hackl, 10.10.2016)