Mirko Roschkowski, ironisch: "Ich liebe den Beruf besonders, wenn ich mit der Arbeit fertig bin."

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STANDARD: Stimmt es, dass in der Inszenierung von Renaud Doucet Offenbachs Geist herumspukt?

Roschkowski: Es ist mehr so eine Idee, die sich leise durchzieht, ich weiß nicht, ob man es im Publikum gleich erkennt. Ganz zum Schluss steht Offenbach tatsächlich im Zentrum des Ganzen, es wird auch dargestellt, wie chaotisch es war mit den ganzen Fassungen der Oper ... Auf praktischem Gebiet kann man die Arbeit von Renaud Doucet als choreografierte Personenregie bezeichnen. Die Verbindung von Aktion und Reaktion ist ihm wichtig, es muss ein Auslöser für etwas da sein, das passiert. Das klingt banal, aber es ist leider nicht so verbreitet, wie man sich das wünschen würde.

STANDARD: "Hoffmanns Erzählungen" ist eine große Ausstattungsoper – ich nehme an, da haben sich die zwei Kreativköpfe Barbe & Doucet einiges einfallen lassen.

Roschkowski: Das haben sie! Es sind komplett unterschiedliche Welten, die sie hier aufbauen: Der Olympia-Akt ist ganz verspielt, ihre Arie ist zauberhaft choreografiert, fast ein wenig albern. Die Antonia-Welt ist dann ganz anders ... Die zwei haben das Stück ja schon mehrfach gemacht, und speziell für mich ist das von Vorteil. Gerade die Partie des Hoffmann – ich singe sie hier zum ersten Mal – ist ja eine große Herausforderung, und Renaud Doucet hat mir Tipps gegeben, wo ich mich zurücknehmen soll. Auch von musikalischer Seite bin ich von Anfang an angehalten worden, meine Kräfte einzuteilen.

STANDARD: Welche Schwierigkeiten hat der Hoffmann denn genau?

Roschkowski: Es ist einfach eine Partie, die einen Sänger vollkommen fordert. Es fängt schon einmal mit der banalen Tatsache an, dass man immer auf der Bühne ist, man kann sich nie entspannen. Gesanglich muss man alles draufhaben: Bei Olympia ist eher das Verspielte gefragt, beim Antonia-Akt braucht man eine volle lyrische Stimme, bei Giulietta dann dramatische Kraft. Da muss man an seine Grenzen gehen.

STANDARD: Angenehm ist sicher, dass Sie hier im Haus schon fast heimisch sind.

Roschkowski: Ja, es ist bereits die dritte Premiere, die ich hier singe, und ich habe in drei weiteren Produktionen mitgesungen. Der kleine Nachteil, dass wir das Stück auf Deutsch machen, wird dadurch aufgewogen, dass ich mich hier zu Hause fühle und mich alle am Haus unterstützen.

STANDARD: Nun ist Hoffmanns zentrale Befindlichkeit der Rausch. Welche Erfahrungen haben Sie mit diesem Zustand?

Roschkowski: Ich sage immer: Ich liebe diesen Beruf ganz besonders, wenn ich mit der Arbeit fertig bin. Denn gerade nach Partien, bei denen man sich komplett verausgabt, fühlt man sich hinterher wie in einem Rausch! Rauschzustände anderer Art müssen aus Gründen der Disziplin ein wenig zurückstehen.

Wobei ich es aber auch als Künstler wichtig finde, das Leben auszukosten: Man soll auf der Bühne ja nicht nur aus der Theorie erzählen!

STANDARD: Sie haben auch eine Ausbildung zum Sonderschulpädagogen gemacht. Der sich kümmernde Lehrer und die, Pardon, Rampensau: auf den ersten Blick extreme Gegenwelten. Eint beide die Fähigkeit zur Einfühlsamkeit – in die Schüler und in die Figuren, die man verkörpert?

Roschkowski: Absolut. Wobei: Ich habe schon zu meiner Schulzeit meine Lehrer dafür kritisiert, dass sie den Lernstoff zu wenig geschickt verkaufen. Ich finde, dass beide, Sänger wie auch Lehrer, gute Geschichtenerzähler sein sollten. Wobei ich zu meiner Ausbildungszeit nicht davon zu träumen gewagt habe, dass ich das Singen zum Beruf machen kann.

STANDARD: Nun sind Sie als Sänger ja reproduzierender Künstler, Interpret. Stimmt es, dass Sie auch selbst schöpferisch tätig sind, auf dem Gebiet der Lyrik?

Roschkowski: Stimmt. Ich habe an der Uni Köln Deutsch als Unterrichtsfach studiert und bin dort an eine Dozentin geraten, die sich für moderne Lyrik eingesetzt hat – etwas, womit ich als Kind aus einem Arbeiterhaushalt schlicht gar nichts zu tun hatte. Ihre Begeisterung dafür ist bei mir hängengeblieben – so viel zum Thema gute Lehrer. Mich mit Sprache in ihrer ganzen Tiefe zu befassen: Das ist eine Leidenschaft. Manchmal versuche ich auch selbst, etwas Kleines zu schreiben, mit Sprache zu malen statt wie sonst mit Tönen. (Stefan Ender, 13.10.2016)