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Nach dem Luftangriff auf eine Trauerfeier im Jemen am vergangenen Samstag wurde Saudi-Arabien von den USA heftig kritisiert. Safa Al Ahmad glaubt auch danach nicht an eine Wende. Riad könnte den Krieg einseitig beenden – müsste seiner Bevölkerung das aber als einen Sieg verkaufen.

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Safa Al Ahmad glaubt, dass Saudi-Arabien seine Erwartungen an einen Sieg beziehungsweise ein Ende des Krieges im Jemen abgeschwächt hat. Außenminister Adel al-Jubeir sagte zuletzt immer häufiger, dass die Huthis eine Realität auf jemenitischem Boden sind, mit der man sich auseinandersetzen müsse.

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Die Huthi-Rebellen haben es geschafft, zehntausende Menschen im Jemen zu mobilisieren (im Bild: eine Demonstration Ende August in Sanaa). Safa Al Ahmad führt ihren Erfolg auf die Schwäche ihrer Gegner zurück.

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Der Krieg im Jemen hat erst am Wochenende wieder eine gewalttätige Wendung genommen, als bei einem Luftangriff auf eine Trauerfeier 140 Menschen getötet und hunderte verletzt wurden. 80 Prozent der Bevölkerung sind auf humanitäre Hilfe angewiesen, Millionen sind geflohen. Die meisten sind allerdings im Jemen selbst auf der Flucht – deshalb findet der Konflikt international weniger Beachtung, sagt die saudische Filmemacherin und Journalistin Safa Al Ahmad. Seit 2010 ist sie regelmäßig im Jemen, ihre Heimat Saudi-Arabien meidet sie, da sie nach einer Dokumentation über die Aufstände in Saudi-Arabien massiv bedroht und ihr Unterstützung von Terrorismus vorgeworfen wurde.

STANDARD: Nach einem Luftangriff auf eine Trauerfeier in Sanaa am Samstag – der der saudisch geführten Koalition zugeschrieben wird – haben die USA ihren Verbündeten Saudi-Arabien schärfer kritisiert als sonst. Könnte das ein Wendepunkt sein?

Al Ahmad: Ich bin ehrlich gesagt sehr skeptisch, dass ihre Lippenbekenntnisse zum Massaker vom Samstag sich auch in etwas Reales übersetzen. Die Frage ist, wie die Saudis sich das Ende dieses Konflikts vorstellen. Diese Frage ist wichtiger als ein einzelnes Massaker, weil bereits so viele stattgefunden haben – auf Beerdigungen, Hochzeiten, in Schulen und Krankenhäusern. Wenn wir es aus humanitärer Sicht betrachten, hat sie vorher noch nie etwas aufgehalten.

STANDARD: Die von Saudi-Arabien angeführte Koalition fliegt seit März 2015 Luftangriffe im Jemen, hat es aber nicht geschafft, die schiitischen Huthi-Rebellen entscheidend zu schwächen. Was müsste passieren, damit Saudi-Arabien sich zurückzieht?

Al Ahmad: Der Anspruch, den "legitimen Präsidenten" (Abd Rabbo Mansur Hadi, Anm.) zurück nach Sanaa zu bringen, erscheint immer weniger wahrscheinlich. Nur wenige Leute im Jemen glauben, dass er ein guter Präsident ist. Es wird auch schwierig, die Huthis aus Sanaa zu vertreiben ohne tatsächlich hohe Verluste auf saudischer Seite.

STANDARD: Was ist also die Alternative?

Al Ahmad: Ich glaube, es müsste eine pragmatischere politische Lösung geben. Saudi-Arabiens Außenminister Adel al-Jubeir hat in der vergangenen Monaten immer häufiger gesagt, dass die Huthis eine Realität auf jemenitischem Boden sind, mit der man sich auseinandersetzen muss – das sind ganz andere Äußerungen als am Anfang des Krieges, sie haben ihre Erwartungen abgeschwächt. Die Saudis könnten den Krieg einseitig jederzeit beenden, sie brauchen aber einen Sieg beziehungsweise müssten ihrer Bevölkerung einen Sieg verkaufen. Ich weiß wirklich nicht, wie dieser aussehen könnte. Sogar wenn die Saudis den Krieg gestern beendet hätten, gäbe es immer noch lokale Konflikte vor Ort, die weitergehen würden.

STANDARD: Die Saudis haben wohl erwartet, dass es viel schneller vorbei ist.

Al Ahmad: Dass die Saudis keinen entscheidenden Sieg erringen konnten, liegt auch daran, dass sie die tatsächlichen Begebenheiten vor Ort falsch eingeschätzt haben – die Stämme, die Dynamiken, die Machenschaften, die im Jemen vor sich gehen. Invasionen sind nie leicht. Es ist aber auch erstaunlich für mich, dass die Huthis und Ali Abdullah Saleh (Ex-Präsident, der 2012 nach Protesten sein Amt aufgab, Anm.) so lange überlebt haben.

STANDARD: Woher bekommen die Huthi-Rebellen ihre Unterstützung? Wie schaffen sie es, so viele Menschen zu mobilisieren?

Al Ahmad: Ihr Erfolg hat weniger mit ihrer Macht zu tun als damit, wie unfähig die jemenitische Regierung war. Es liegt also mehr an der Schwäche ihrer Gegner. Sie waren auch sehr pragmatisch, als sie sich mit Ali Abdullah Saleh verbündet haben. Der Jemen ist eines der ärmsten Länder der Region, es geht also bereits um einen Staat, der nicht im besten Zustand ist. Hinzu kommt eine korrupte Regierung. Es ist also leicht, Leute zu finden, die wütend auf den Staat sind. Die Huthis begannen mit berechtigter Kritik: Alle sind sich einig, dass die Regierung korrupt ist. Für die Huthis war es einfach, Präsident Hadi als jemanden darzustellen, der das Leiden der Bevölkerung nicht versteht – sie haben all die richtigen Dinge gesagt, denen niemand widersprechen würde.

STANDARD: In der Diskussion in Saudi-Arabien wird der Krieg "ausländischem Einfluss", also dem Iran angelastet. Gibt es auch eine Debatte abseits davon, die die Unzufriedenheit der jemenitischen Bevölkerung widerspiegelt?

Al Ahmad: In Saudi-Arabien ist das relativ kurzsichtig geworden. Es findet keine anspruchsvolle Debatte über den Krieg statt – weil es verboten ist, den Krieg zu kritisieren, und weil es keinen unabhängigen Journalismus in Saudi-Arabien gibt. Selbst wenn man also etwas sagen wollen würde, das der offiziellen Linie widerspricht, kann man das nicht. Es gibt zwar immer noch Huthi-Angriffe an der Grenze zu Saudi-Arabien, aber diese Gefahr ist natürlich nicht mit der Gefahr Saudi-Arabiens für den Jemen gleichzusetzen.

STANDARD: Einige fordern die Teilung des Landes in einen schiitischen Norden und einen sunnitischen Süden. Wäre das eine Option?

Al Ahmad: Im Süden wollen sie sicher glauben, dass das eine Option ist. Die Emirate und Saudi-Arabien sind nicht ganz einer Meinung darüber, ob eine Spaltung funktionieren würde. Die Zentralbank müsste nach Aden in den Süden verlegt werden – das wäre ein enormer Schritt. Ich weiß nicht, ob es logistisch überhaupt möglich ist. Damit würde eine der wenigen Institutionen, die tatsächlich noch funktionieren, entfernt werden.

STANDARD: Sehen Sie noch eine Chance für die Friedensgespräche, die zuletzt im August zum Stillstand gekommen sind?

Al Ahmad: Sie sind zwei Monate lang in einem Hotel in Kuwait gesessen und haben keine konkreten Ergebnisse zustande gebracht. Ich war in der Stadt Taaz, als die Waffenruhe angekündigt wurde – an diesem Tag gab es mehr Opfer als an den Tagen zuvor. Man vertraut der anderen Seite nicht, es gibt keinerlei guten Willen. Ich bin nicht sehr optimistisch, was Waffenruhen und Friedensgespräche angeht. Ich glaube, Saudi-Arabien hätte die Möglichkeit, das einseitig zu lösen und den Krieg zu beenden. Ich habe Angst, dass der Krieg schon so lange dauert und dass es schon so viele Tote gegeben hat, dass die Struktur der Gesellschaft selbst zerstört wird.

STANDARD: Was sind die Folgen für die Menschen vor Ort?

Al Ahmad: Die Frage ist: Wie lange können die Menschen noch so überleben? 80 Prozent der Bevölkerung brauchen humanitäre Hilfe. Die menschlichen Kosten dieses Krieges sind so heftig – in einem so kurzen Zeitraum. Das ist eine verheerende humanitäre Krise. Der Jemen ist ein wunderschönes, altes Land. Es sind nicht nur die Menschen, die es trifft, sondern auch ihre Geschichte und Architektur. Die Infrastruktur selbst ist stark geschwächt – und es handelte sich schon zuvor um keine sonderlich fortgeschrittene Infrastruktur. Gleichzeitig ist es so isoliert. Es gibt keine massiven Fluchtbewegungen aus dem Jemen hinaus, die meisten sind Binnenflüchtlinge, sind also im Jemen selbst auf der Flucht. Die Menschen sind sehr arm, sie können es sich nicht leisten, das Land zu verlassen. Wir sprechen also nicht von einem "syrischen Szenario", in dem es das Problem der Welt wird. Der Konflikt weitet sich nicht außerhalb des Jemens aus, das macht es schwieriger, Druck auszuüben, den Krieg zu beenden, weil es keinen externen Druck gibt. Niemand außer den Jemeniten selbst ist betroffen.

STANDARD: Könnte der "Islamische Staat" in diesem Chaos Fuß fassen?

Al Ahmad: Der IS ist vor Ort, aber nicht so groß wie AQAP (Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel, Anm.). Sie haben bereits Angriffe durchgeführt, sind aber viel limitierter als Al-Kaida. Al-Kaida kämpft an vorderster Front, der IS eigentlich nicht. Al-Kaida nutzte den Krieg und den Kampf gegen die Huthis als Mittel für Rekrutierungen. Und ihr Einfluss könnte sich noch vergrößern. (Noura Maan, 14.10.2016)