In einigen Wiener Bäckereien sind sie noch zu finden: Kümmelweckerl, die nach den bosnisch-herzegowinischen Soldaten im Ersten Weltkrieg benannt wurden.

Foto: nedad memic

Vor seiner einstigen Wohnung in der Rasumofskygasse 22 in Wien-Landstraße bekam der serbische Philologe Vuk Stefanović Karadžić 1989 eine Büste in Form einer Halbfigur. Das Denkmal war eine Spende der Stadt Belgrad.

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Eines der drei Krowotendörfel in Wien befand sich nach der Zweiten Türkenbelagerung im Bereich des heutigen Spittelbergs. Als dort erste barocke Bürgerhäuser errichtet wurden, mussten "Krowoten" in den neunten Bezirk ziehen.

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"Der Balkan beginnt am Rennweg": Kaum ein Wiener kennt diese Redewendung nicht, die dem einstigen Staatskanzler Metternich zugeschrieben wird. Tatsächlich ist die österreichische Hauptstadt wie kaum eine andere in Europa mit der Balkanregion verbunden. Aus Wien regierten die Kaiser jahrhundertelang einen großen Teil des Balkans, hier entschied sich oft seine politische Zukunft.

Bečka Škola

Wien war aber auch über Jahrhunderte die Bildungsstätte der intellektuellen Schichten der Balkanländer. Hier trafen sich etwa 1850 erstmals führende serbische und kroatische Intellektuelle und berieten über die gemeinsame Sprache, die später offiziell Serbokroatisch genannt wurde und bis zum Zerfall Jugoslawiens 1991 auch dessen Amtssprache war.

Hier legte Anfang des 19. Jahrhunderts der serbische Philologe Vuk Karadžić den Grundstein der modernen serbischen Sprache, und der kroatische Physiker Ruđer Bošković schrieb hier Mitte des 18. Jahrhunderts eines seiner grundlegenden Werke über Naturphilosophie. In Wien bekamen auch der erste promovierte Mann und die erste promovierte Frau in der Geschichte Bosnien-Herzegowinas, Safvet-beg Bašagić und Marija Kon, ihren Doktortitel. Nicht umsonst bürgerte sich so im Bosnischen, Kroatischen und Serbischen der Ausdruck "bečka škola" (Wiener Schule) ein als Bezeichnung für eine Person mit guten Manieren und ebenso guter Ausbildung.

Schimpfen an der Stadtmauer

Doch nicht nur Intellektuelle und Politiker vom Balkan trafen sich in Wien. Auch gemeines Volk trieb sich um die Mauern der Kaiserstadt herum – oft als Kannonenfutter in zahlreichen Kriegen zwischen dem Habsburger- und dem Osmanischen Reich. So besagt eine Legende, dass die Osmanen bei der Zweiten Türkenbelagerung im Jahr 1683 einen bosnischen Soldaten mit dem Kapitulationsbrief vor die Tore Wiens schickten. Dort wurde der Brief von einem habsburgischen kroatischen Wachsoldaten in Empfang genommen. Die Soldaten beschimpften einander in der gemeinsamen Sprache, und jeder kehrte danach zu seinem Heer zurück.

Vom Beginn des 17. bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts gab es an drei Orten in Wien Siedlungen, die man im Volksmund "Krowotendörfel" nannte: die früheste im Bereich der heutigen Seilerstätte an der Stelle des späteren Palais Coburg, die zweite im Bereich des heutigen Spittelbergs und die dritte in Michelbeuern am Alsergrund, hier jedoch mit slowakischen Bewohnern.

Türkenfez und Opanken

Seit dem Ende des 18. Jahrhunderts siedelten sich auch immer mehr orthodoxe Serben in Wien an, begünstigt durch das Toleranzpatent Josephs II. und Privilegien, die der Kaiser den serbischen Kaufleuten verlieh. Einer der frühen serbischen Bewohner Wiens war der Schriftsteller Dositej Obradović, der Vater der serbischen Aufklärung.

Mit der Okkupation Bosnien-Herzegowinas Ende des 19. Jahrhunderts kamen dann auch die ersten Bosnier in die Hauptstadt – die Wiener hielten sie für eine Attraktion. Das kulturgeschichtliche Wörterbuch des Altwienerischen von Mauriz Schuster und Hans Schikola definiert einen Bosniaken etwa so: "In malerischer Tracht, mit seinem dunkelroten, weithin bemerkbaren Türkenfez, mit blauer, oben weiter, unten enger Hose, mit buntem gestricktem Gürtel und braunroten Opanken stand er an belebten Straßenecken der Innenstadt und an den Pratereingängen oder ging dort gemächlich und unhörbar auf und ab."

Bis heute ist der Volksname "Bosniak" im österreichischen Deutsch als Bezeichnung für ein Kümmelweckerl erhalten geblieben. Wenn man dazu noch Bosna, serbische Bohnensuppe und Zander auf serbische Art nimmt, weiß man, dass der Balkan nicht nur in der Wiener Topografie, sondern auch am Gaumen eine nachhaltige Spur hinterließ.

Balkanherz

In Zukunft werden vielleicht noch mehr Ausdrücke aus den Balkansprachen den Wortschatz in Wien und Österreich bereichern, denn die österreichische Hauptstadt ist zweifelsohne auch die größte balkanesische Stadt außerhalb des Balkans. 99.000 Wiener haben in der ersten Generation serbische, 40.000 bosnische und 26.000 kroatische Wurzeln. Nimmt man noch die zweite und dritte Generation hinzu, liegt die Zahl der balkanstämmigen Personen in Wien noch deutlich höher.

Nach dem Zerfall des südslawischen Vielvölkerstaats entwickelte sich Wien zum bedeutendsten exjugoslawischen Exilort in Europa: Hier nennen sich noch viele Menschen "Jugoslawen" oder einfach "Jugos", hier wird ihre Sprache von Amts wegen nicht strikt ins Kroatische, Serbische und Bosnische getrennt, sondern in der Regel als eine Sprache mit drei Namen – Bosnisch/Kroatisch/Serbisch – wahrgenommen. Der Balkan-Community in Wien ist es mittlerweile in vielen Bereichen gelungen, ethnonationale Trennungen aus ihren Heimatländern zu überwinden. (Nedad Memić, 19.10.2016)