Wien – Tschaikowskys 6. Symphonie sowie dessen erstes Klavierkonzert im Programm: Wer da Pathosballungen, Kitschinfektionen und Totschlag durch Doppeloktavenbeschuss fürchtet, fürchtet oft zu Recht. Nicht so bei den Wiener Symphonikern und Vladimir Fedosejev im Musikverein. Der ehemalige Chefdirigent des Orchesters (1997 bis 2004) ist ein Mann mit einem feinen Händchen für die Großgefühle seines Landsmanns. Fedosejev zeichnete Tschaikowskys Gefühlspanoramen mit Bedächtigkeit, Genauigkeit und Liebe nach.

Wundervoll die noble Pracht des Kopfsatzes, das organische Anwachsen und Zurückgehen bei der Gestaltung des Seitenthemas, die federleichten Begleitfiguren der Streicher oder auch die Majestät des mächtigen Orgelpunktes auf der Dominante kurz vor dem Ende. Den tänzerischen zweiten Satz im Fünfvierteltakt präsentierte der 84-Jährige auf lichte, unbeschwerte Weise. Der dritte Satz war von einer grazilen Agilität erfüllt, der Höhepunkt geriet etwas handzahm.

Im vierten Satz kehrten dann die dunklen Farben wieder, die im ersten gleich zu Beginn auf so verführerische Weise angeklungen waren. Die Symphoniker schmolzen unter Fedosejevs knapper Zeichengebung zu einer glückseligen Einheit zusammen. Fernab aller Klischees war auch Andrei Korobeinikovs Interpretation des b-Moll-Klavierkonzerts (in der zarteren Originalfassung von 1879).

Der 1986 geborene Russe fesselte mit einer differenzierten, abwechslungsfreudigen Deutung des Werks, frei von sinntotem Geballere und Gesülze. Geistige Frische und emotionale Agilität und Präzision prägten sein Spiel, Fedosejev und die Symphoniker folgten den Rubati des Freiheitssinnigen virtuos. Korobeinikov gab Rachmaninows g-Moll-Prelude op. 23/5 zu, hier war der Mittelteil von grandioser Verführungskraft. Helle Begeisterung im Großen Musikvereinssaal. (Stefan Ender, 18.10.2016)