Minister Alois Stöger beschwerte sich über die ÖVP in Sachen Mindestsicherung – die rückte am Donnerstag aus, um ihm die Verantwortung für eine Lösung zuzuschieben.

Foto: Matthias Cremer

Wien – Der Streit um die Mindestsicherung hat zu einem handfesten Krach in der Koalition geführt. Sozialminister Alois Stöger (SPÖ) erklärte am Donnerstag, er sei der ÖVP "maximal entgegengekommen". Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) sei auch bereit zu einem Kompromiss gewesen, er habe diesen aber in seiner Partei nicht durchgebracht.

Konkret nannte Stöger Klubobmann Reinhold Lopatka und Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer. Pühringer hatte am Mittwoch erklärt, nach ersten schwarz-blauen Beratungen in seinem Land sei er "nicht guter Hoffnung, dass es zu einer Einigung kommt". Lopatka verlangte in der Donnerstag-Ausgabe der "Kronen Zeitung" neuerlich eine Kürzung für Flüchtlinge.

"Am Riemen reißen"

Stöger fordert nun die ÖVP auf, sie solle "sich am Riemen reißen" und hinter ihren Obmann Mitterlehner stellen. Der Sozialminister appellierte an den Koalitionspartner: "Einigt euch und nehmt nicht ganz Österreich in Geiselhaft." Und weiter richtete er der ÖVP aus: "So geht seriöse politische Arbeit nicht. Der Teufelskreis auf Kosten der Schwachen muss beendet werden", appellierte Stöger an die christlich-sozialen Wurzeln der ÖVP.

Dass die ÖVP in unterschiedliche Richtungen laufe, sei auch für die Koalition "nicht gut", sagte der Sozialminister. Auf die Frage, ob man damit Neuwahlen einen Schritt näher komme, ging Stöger nicht direkt ein, er meinte nur: "Mit Populismus kann man eine Republik nicht führen", aber mit Neuwahlen werde das auch nicht besser.

Echter Deckel

Wie es im Sozialministerium auf STANDARD-Anfrage heißt, sei die SPÖ mittlerweile zu einer echten Deckelung der Mindestsicherung bei 1.500 Euro bereit. Allerdings nur für arbeitsfähige Vollbezieher der Sozialleistung. Für Aufstocker (sie bekommen zu einem niedrigen Gehalt Mindestsicherung) sowie für Menschen, die nicht dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen (zum Beispiel Behinderte, Alleinerziehende) hätte der Deckel laut einem jüngsten Kompromissvorschlag nicht gegolten.

Diese Variante wäre aber bereits weit über frühere Vorschläge hinausgegangen. Bisher hatte die SPÖ immer darauf gedrängt, dass Mietkosten herausgerechnet werden. Die tatsächliche Mindestsicherung hätte also deutlich über 1.500 Euro liegen können.

Sockelbetrag für Asylberechtigte

Entgegengekommen wäre die SPÖ der ÖVP auch beim Thema Asylberechtigte. Sie sollten laut dem neuen Vorschlag einen Sockelbetrag von 520 Euro bekommen, der auf das normale Niveau (derzeit 837 Euro) ansteigt, wenn die Flüchtlinge eine Integrationsvereinbarung unterzeichnen. Wer Auflagen dieser Vereinbarung nicht erfüllt (Verpflichtung zu Deutschkursen, man muss AMS-Angebote annehmen), würde auf die 520 Euro zurückfallen. Hier habe man sich am Vorarlberger Modell orientiert, heißt es.

Diese Variante wäre europarechtlich möglich, glaubt man im Sozialministerium. Das oberösterreichische Modell, das inklusive Integrationsbonus nur eine Mindestsicherung von 520 Euro vorsieht, sei hingegen klar verfassungswidrig, wird argumentiert.

Kinderzuschläge sinken

Für Mindestsicherungsbezieher, die keine arbeitsfähigen Vollbezieher sind, würde die Leistungshöhe nur leicht sinken. Bei diesen Gruppen könnten laut dem neuen Stöger-Vorschlag weiterhin Mietzuschüsse über 1.500 Euro hinaus gewährt werden. Bei wirklichen Großfamilien (ab dem siebenten Kind) würden die Kinderzuschläge etwas sinken – von 15 auf zwölf Prozent des Grundbetrags.

Darüber hinaus sei auch die Einführung einer Wohnsitzauflage von fünf Jahren für Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte, die keiner sozialversicherungspflichtigen Arbeit nachgehen, sowie die Schaffung eines Integrationsjahrs (neben Sprachkursen auch Kompetenzcheck, Arbeitsvorbereitung, Bewerbungshilfe) vorgesehen gewesen, heißt es im Stöger-Büro.

Sollte es tatsächlich zu keiner Lösung mit allen neun Ländern kommen, kann man sich dort auch ein gemeinsames Vorgehen von acht Bundesländern vorstellen.

Mitterlehner weist Stöger Verantwortung zu

Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP) weist die Kritik von Sozialminister Alois Stöger in Sachen Mindestsicherung zurück. In einer Stellungnahme gegenüber der APA wies er die Verantwortung für eine 15a-Vereinbarung mit den Ländern Stöger zu und meinte, dass der Sozialminister schuld sei, wenn eine solche nicht zustande komme. "Der Sozialminister verkennt ganz offensichtlich die Dinge. Er hat mit den Bundesländern eine Vereinbarung zu finden. Wir haben ihn dabei unterstützt, eine gemeinsame Lösung zu finden. Das war ein Entgegenkommen von uns", betonte Mittelehner.

Wenn Stöger auf das "vernünftige ÖVP-Paket" mit Deckelung und Mindestsicherung-Light mit Basisbezug nicht eingehe, "gibt es eben in Zukunft länderweise Regelungen. Das liegt eindeutig in der Verantwortung des Sozialministers", meinte der ÖVP-Obmann. Und: "Wenn der Sozialminister nicht in der Lage ist, eine Einigung mit allen Ländern zu erzielen, gibt es keine bundeseinheitliche Lösung. Das ist das Wesen einer 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern. Der Sozialminister muss jetzt selbst schauen, ob er eine Einigung mit den Bundesländern erzielt", lässt Mitterlehner Stöger im Regen stehen.

Ohne echte Reform wäre nach Ansicht des Vizekanzlers der Charakter der Mindestsicherung als Überbrückungshilfe nicht gewährleistet. Die Konsequenz wäre, dass die Bundesländer eigene Lösungen machen werden und die Kosten vor allem in Wien durch Sekundärmigration explodieren würden. "Auch das liegt in der Verantwortung des Sozialministers."

Auch Lopatka weist Stöger zurecht

ÖVP-Klubobmann Reinhold Lopatka trat Stögers Darstellung entgegen, er hätte – mit dem oberösterreichischen Landeshauptmann Josef Pühringer – die Koalitionseinigung über die Mindestsicherung verhindert. "Der Sozialminister hat Verhandlungen mit den Landeshauptleuten zu führen. Pühringer, Pröll, Schützenhöfer, Platter und Wallner sind die Ansprechpartner, nicht ich", sagte Lopatka.

Minister Alois Stöger (SPÖ) hätte "schon längst" das Gespräch mit den VP-Landeshauptleuten suchen sollen, "das hat er nicht gemacht". Mit Vertretern der Bundespartei – auch ihm, Lopatka – habe der Minister gesprochen. Das sei zwar durchaus sinnvoll, aber eine Einigung könne es nur mit den Landeshauptleuten geben – gilt es doch, eine 15a-Vereinbarung zwischen Bund und Ländern zu verlängern. Gelingt dies nicht, geht Lopatka davon aus, dass "wohl auch irgendwann die Bundeshauptstadt bemerkt, dass sie Druck für eine Einigung ausüben muss, denn Wien wäre das haupt-betroffene Land".

In der Sache hakt es bei den ÖVP-Forderungen nach einem vollen Bezug nur für Migranten – aber auch Österreicher – mit fünf Jahren durchgehendem Aufenthalt in Österreich sowie nach einer Verpflichtung zur gemeinnützigen Arbeit. Den ebenfalls von der ÖVP geforderten Deckel von 1.500 Euro inklusive Wohnkosten würde die SPÖ laut Stöger akzeptieren. Lopatka bekräftigte diese Forderungen einmal mehr.

Verweis auf Dänemark

Alle EU-Staaten, die von der Flüchtlingswelle betroffen sind, hätten schon Kürzungen bei den Sozialleistungen vorgenommen – Dänemark verlange etwa sogar sieben Jahre Aufenthalt in den letzten acht Jahren für den vollen Bezug -, nur Österreich nicht. Man müsse "differenzieren zwischen jenen, die im Land gelebt und Beiträge geleistet haben und jenen, die dies nicht getan haben".

Bures mahnt Regierung

Nationalratspräsidentin Doris Bures (SPÖ) mahnt im Krach um die Mindestsicherung die Regierung zur Sachlichkeit: "Da geht es um die Ärmsten der Armen", betonte Bures am Donnerstag. "Ich appelliere, an den Verhandlungstisch zurückzukehren", um zu einer Lösung zu kommen, unterstrich die Nationalratspräsidentin. Gemeint hat Bures damit durchaus beide Regierungsparteien, wie sie auf Nachfrage erklärte. Es handle sich um einen "Konflikt auf dem Rücken der Ärmsten". Es brauche eine einheitliche Regelung der Mindestsicherung für ganz Österreich.

Wehsely kritisiert ÖVP

Doch auch die Wiener Sozialstadträtin Sonja Wehsely (SPÖ) übte in Sachen Mindestsicherung einmal mehr Kritik an Vizekanzler Reinhold Mitterlehner (ÖVP). Dass dieser den Kurs der ÖVP Niederösterreich und Oberösterreich mittrage, obwohl bereits eine Einigung am Tisch liege, zeige, "wie wenig Durchsetzungskraft er noch hat", meinte Wehsely in einer Aussendung am Donnerstag. Darüber, dass es angesichts der aktuellen Situation in der Mindestsicherung Veränderungen brauche, bestehe mit allen Beteiligten Einvernehmen. "Diese Veränderungen wären möglich, ohne die ureigenste Funktion der Mindestsicherung – die Existenzsicherung – infrage zu stellen", betonte Wehsely. Innerhalb der Soziallandesreferenten gebe es eine klare Mehrheit "für eine sachdienliche Lösung". "Das von der ÖVP offensichtlich provozierte Scheitern der Mindestsicherung insgesamt ist fahrlässig und ohne Not", so Wehsely.

Oberösterreich und Niederösterreich für eigenen Weg

Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer (ÖVP) und Niederösterreichs ÖVP-Klubobmann Klaus Schneeberger haben ihre Regelungen zur Mindestsicherung und ihr Nein zu den Vorschlägen von Sozialminister Alois Stöger verteidigt. Oberösterreich hat bereits seit Sommer eine eigene Regelung in Kraft, in Niederösterreich soll eine heute in den Landtag eingebracht und Mitte November beschlossen werden. Pühringer sieht beim Modell Stögers (SPÖ) keine Einsparungen: "Unterm Strich kommt wieder das Gleiche heraus", meinte Pühringer am Donnerstag Rande eine Pressekonferenz in Linz.

Stöger könne auch nicht erwarten, das "wir unsere Reform wieder in den Abfallkübel werfen". Das schwarz-blaue Oberösterreich hat bereits im Sommer eine Kürzung der Mindestsicherung für Asylberechtigte beschlossen und nicht abgewartet, bis zwischen Bund und Ländern eine neue 15a-Vereinbarung für alle Bezieher ausverhandelt wurde. Zu Stögers Beurteilung, das oberösterreichische Modell sei verfassungswidrig, meinte er nur knapp: "Wir überlassen es den Richtern, was hält und was nicht."

Zurückgewiesen hat er, dass ÖVP-Chef Reinhold Mittelehner zu einem Kompromiss in Sachen Mindestsicherung bereit gewesen wäre: "Davon weiß ich nichts", so der Landeshauptmann.

Gerechtigkeit als oberstes Gebot

Neue soziale Gerechtigkeit sei in Niederösterreich "oberstes Gebot", stellte ÖVP-Klubobmann Schneeberger zum Plan Niederösterreichs fest, ab 1. Jänner die Mindestsicherung zu deckeln und sie für Personen zu reduzieren, die in den letzten sechs Jahren weniger als fünf Jahre hier gelebt haben. Jeder in Österreich verstehe, "dass jemand, der arbeiten geht, nicht der Dumme sein darf". Nur Stöger "verschließt beharrlich seine Augen vor der Realität".

Schneeberger bezeichnete es zudem als "nicht gerecht, dass jemandem, der sich in den letzten sechs Jahren nicht mindestens fünf Jahre davon in Österreich aufgehalten hat, schon der volle Betrag der Bedarfsorientierten Mindestsicherung zusteht". Aber statt Gerechtigkeit herzustellen, vertrete Stöger einen Standpunkt, der rechtlich nicht nachvollziehbar sei. Die verfassungsrechtlichen Bestimmungen würden vorsehen, "dass jedem Bürger eine Grundsicherung zusteht. Wie hoch die ist, obliegt dem Gesetzgeber", merkte Schneeberger an. Weil Niederösterreich nicht zwischen In- und Ausländern unterscheide, sei die Wartefrist bei der "Mindestsicherung light" auch nicht verfassungswidrig, entgegnete der Klubobmann.

SPÖ-Landesrätin propagiert steirisches Modell

Die steirische Soziallandesrätin Doris Kampus (SPÖ) hat in der Diskussion um die Mindestsicherung für die Anwendung des steirischen Modell in ganz Österreich plädiert. Die Bundesregierung wäre gut beraten, dies umzusetzen statt zu streiten. Letzteres hätten die Menschen nämlich satt, sagte Kampus am Donnerstag in einer Aussendung.

Die nunmehrige steirische Regelung sehe zwar keine Deckelung oder Kürzung dieser Sozialleistung, aber strengere Auflagen und raschere Sanktionsmöglichkeiten vor, etwa bei der Weigerung Arbeit anzunehmen. "Eine Kürzung um 25 Prozent ist künftig auch ohne Ermahnung möglich", so Kampus. Für anerkannte Flüchtlinge ist eine Integrationshilfe vorgesehen. Die steirische Landesregierung habe sich dazu bekannt, dass es für Menschen mit geringem Einkommen zu keinen Einschnitten bei der Mindestsicherung in der Höhe von maximal 837 Euro komme. "Diese Sozialleistung stellt sicher, dass sich die Menschen das Nötigste leisten können, um zu überleben. Davon etwas wegzunehmen, würde ihnen die Existenzgrundlage entziehen", stellt Kampus klar.

Anerkannte Flüchtlinge erhalten eine Integrationshilfe in der Höhe von 628 Euro. Die Differenz zur Mindestsicherung wird in Form von Sachleistungen gewährt, vor allem bei Miet- und Energiekosten. "Für anerkannte Flüchtlinge ist der Erhalt der Integrationshilfe mit Auflagen und Bedingungen verbunden", so Kampus. Dazu zählt die Verpflichtung, Deutsch- und Wertekurse zu besuchen. Bei Weigerung kommt es auch zu einer Reduzierung der Sozialleistung.

Unverständnis von der Opposition

Mit Unverständnis reagierte die Opposition auf den Streit der Regierungsparteien zur Mindestsicherung. Die Grünen appellierten, an den Verhandlungstisch zurückzukehren. Die Neos bekräftigten die Forderung nach einer bundeseinheitlichen Lösung und das Team Stronach forderte gemeinnützige Arbeit statt einer automatischen Mindestsicherung für Asylberechtigte.

Die Grünen halten eine Nicht-Einigung der Regierungsparteien für inakzeptabel. Bundessprecherin Eva Glawischnig appellierte an die ÖVP einzulenken und meinte, wenn der Streit dazu führe, dass zehntausende Menschen ab Jänner ohne finanzielle Absicherung dastehen, ja sogar ihre Krankenversicherung verlieren, "dann muss endlich Schluss sein".

Neos-Sozialsprecher Gerald Loacker sprach von einem "Verantwortungs-Schwarzer-Peter-Spiel zwischen SPÖ, ÖVP und den Ländern". Eine Reform sei zu wichtig, als dass man sie durch Streitereien auf die lange Bank schiebt und riskiert, dass es zu unterschiedlichen Regelungen in den Bundesländern kommt. "Wenn wir zulassen, dass jedes Bundesland an einer eigenen Lösung zimmert, dann droht eine Verdrängungspolitik der Länder im Sozialhilfebereich", warnte Loacker.

Team Stronach Klubobmann Robert Lugar will die Mindestsicherung ohne Gegenleistung für Flüchtlinge abschaffen. "Wer bei uns leben will, der muss sich seinen Lebensunterhalt hier verdienen."

Auch Foglar appelliert

ÖGB-Präsident Erich Foglar appellierte an alle Beteiligten, eine soziale und vernünftige Einigung zu erzielen. "Um Armut in Österreich auch in Zukunft zu bekämpfen, muss die Mindestsicherung weiterentwickelt werden. Die aktuelle Flüchtlingssituation darf nicht als Vorwand für schleichenden Sozialabbau missbraucht werden", mahnte er.

Volkshilfe-Direktor Erich Fenninger rief dazu auf, den Streit nicht auf dem Rücken der Betroffenen auszutragen. Fenninger appellierte vor allem an die ÖVP und ihre Landeshauptleute ihre christlich-sozialen Wurzeln nicht zu vergessen. Er verwies darauf, dass die Mindestsicherung das letzte soziale Sicherungsnetz sei, das nicht nur zum Wohl der Betroffenen sondern zum Wohl der gesamten Gesellschaft erhalten werden müsse. (APA, go, 20.10.2016)