Anita Zieher als Rosa Luxemburg.

Foto: Reinhard Winkler

"Politisches Theater meint für mich: sichtbar machen, was nicht sichtbar ist", sagt Regisseurin Sandra Schüddekopf.

"Uns geht es um eine Art Verknüpfung von Theater und Wissensvermittlung", sagt die Schauspielerin Anita Zieher.

STANDARD: Das Portraittheater widmet sich seit zehn Jahren außergewöhnlichen Frauen, zuletzt Rosa Luxemburg. Warum ihr und warum in dieser Form?

Anita Zieher: Wir haben in diesen zehn Jahren Frauen porträtiert, Schriftstellerinnen, Wissenschafterinnen, Philosophinnen, aber noch keine Politikerin. Dafür war es jetzt an der Zeit. Uns war in unseren Arbeiten immer schon der Aktualitätsbezug wichtig. Rosa Luxemburg hat gesagt: Unpolitisch sein heißt politisch sein, ohne es zu merken.

Sandra Schüddekopf: Wir arbeiten immer mit Originalzitaten. Im Zuge der Recherche ist uns klargeworden, wie umstritten und facettenreich Rosa Luxemburg war. Das ist nicht so leicht darzustellen auf der Bühne. Also erzählen wir ihre Geschichte anhand von mehreren Lebensläufen, Biografischem, Privatem, Theoretischem, Politischem. Uns interessiert dabei nicht so sehr die Fachdebatte innerhalb der Linken, das Stück ist ja für ein breites Publikum gemacht.

Zieher: Ich spiele Rosa Luxemburg, aber die Percussionistin Ingrid Oberkanins ist dabei wie eine Gesprächspartnerin für mich, sie ist auch Rosa, aber eben musikalisch dargestellt.

STANDARD: Sie haben den Gegenwartsbezug betont. Wie äußert sich das?

Zieher: Wir wurden zum Beispiel bei einer Aufführung in Freistadt gefragt, ob es sich hier um Texte von heute handelt. Wenn es um ArbeiterInnenrechte oder Menschenrechte geht, ist der Text sehr aktuell.

Schüddekopf: Rosa Luxemburg hat in ihren Reden sehr viele Menschen mobilisiert, das wollten wir auf der Bühne hörbar machen.

STANDARD: War das auch die Ursprungsidee bei der ersten Produktion 2006 über Hannah Arendt?

Zieher: Da näherte sich ja ihr 100. Geburtstag, und ich habe recherchiert – und da war nichts im Gange! Also haben wir gemeinsam mit Brigitte Pointner eine Idee entwickelt und im Zuge dessen dann auch den Verein Portraittheater gegründet. Viele denken ja heute, das ist ein eigenes Genre. (lacht) Dabei wollten wir ursprünglich nur eine Lesung machen.

STANDARD: Und dann ist es doch ein Stück geworden?

Zieher: Ja, "Hannah. Verstehen. Ein Dialog mit Hannah Arendt". Wir haben damals mit einer Cellistin gearbeitet. Uns hat immer das Spartenübergreifende interessiert. Wir hatten viele unterschiedliche PartnerInnen, auch VideokünstlerInnen. Uns geht es um eine Art Verknüpfung von Theater und Wissensvermittlung. Das hat vor zehn Jahren kaum jemand gemacht.

Schüddekopf: Jetzt ist das sehr gefragt. Wir waren anlässlich des 650-Jahre-Jubiläums der Universität Wien zum Beispiel im Juni eingeladen, sieben Wissenschafterinnen in 20 Minuten zu porträtieren. Wir haben das in einer Art Speakers Corner gelöst mit Drei-Minuten-Porträts, eine Herausforderung.

Zieher: Das Ziel ist es ja in erster Linie, neugierig zu machen. Es soll eine Anregung sein, sich überhaupt mit diesen Frauen zu beschäftigen.

Schüddekopf: Auch Humor ist uns wichtig, wir wollen die Leute ja nicht erschlagen.

STANDARD: "Geheimsache Rosa Luxenburg" ist eine Koproduktion mit dem Theater Drachengasse, aber auch der Arbeiterkammer Oberösterreich. Ist Ihre Arbeit volksbildnerisch?

Schüddekopf: Ja.

Zieher: Ja, noch immer. Vor zehn Jahren war politisches Theater total out. Uns ist einmal gesagt worden, wir seinen "pädagogisch", so, als wäre das etwas total Ekliges.

Schüddekopf: Dabei meinen wir "pädagogisch" nicht bevormundend, wir nehmen die ZuschauerIn in ihrer Autonomie ernst. Politisches Theater meint für mich: sichtbar machen, was nicht sichtbar ist. Wir leben ja in der Illusion, in einer Gesellschaft zu leben, in der alles sichtbar ist. Politisch, wie ich es verstehe, ist: andere Körperbilder, andere Lebensgeschichten, als sie uns täglich in TV oder sozialen Medien vorgeführt werden, auf die Bühne bringen.

STANDARD: Was war die größte Schwierigkeit, was der größte Erfolg in diesen zehn Jahren?

Schüddekopf: Ich bin erst seit fünf Jahren dabei.

Zieher: Die größte Schwierigkeit war immer wieder die Finanzierung. Wir suchen zusätzliche, zielgruppenspezifische Projektpartner, bei "Curie_Meitner_Lamarr_unteilbar" war das zum Beispiel das Wissenschaftsministerium. Der größte Erfolg: dass wir mehr spielen denn je. Derzeit drei Produktionen gleichzeitig.

Schüddekopf: Wir waren in Polen, Brüssel und Antwerpen, am Cern in Genf, wir spielen in Hamburg, Temeswar und Teheran.

STANDARD: Gibt es schon eine Entscheidung, wem das nächste Stück gewidmet sein wird?

Schüddekopf: Können wir das schon verraten?

Zieher: Es gibt noch mehrere Möglichkeiten. Wir wollen nach den Sternen greifen – es wird wahrscheinlich um Astronominnen gehen. Und diesmal werden wir auch Lebende porträtieren und nicht nur als ExpertInnen hinzuziehen wie bisher. (Tanja Paar, 23.10.2016)