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Die bosnische Flagge hängt an dem geschädigten Regierungsgebäude in der nordbosnischen Stadt Tuzla. Das Bild stammt von 8. Februar 2014, als in Bosnien wegen steigender Arbeitslosigkeit große Proteste gegen die Regierung stattfanden.

Srdan Zivulovic/Reuters

Die Podiumsdiskussion über Bosniens rechtliche und institutionelle Rahmenbedingungen im Haus der EU fing am Freitagvormittag mit ermutigenden Tönen an: "In den letzten Jahren sehen wir in Bosnien eine positive Entwicklung in Richtung einer besseren Verfassung, und wir arbeiten weiterhin daran", sagte der EU-Politikkoordinator für Albanien und Bosnien und Herzegowina, Alberto Cammarata. "Wir müssen sicherstellen, dass die Justiz als ein vereintes System funktioniert und dass dieses die Bevölkerung von einer aktiven Teilnahme nicht ausschließt", sagte er.

Große Angst vor Spaltung

Adelheid Wölfl, STANDARD-Korrespondentin für Südosteuropa, schilderte ein anderes Bild: "In Bosnien herrscht eine große Angst vor der Spaltung des Landes," sagte die in Sarajevo lebende Journalistin. "Die Menschen fühlen sich nicht mehr sicher. Sie haben das Gefühl, dass sie als Bürger keine Rechte haben. Sie verlieren ihren Glauben an die Demokratisierung und an die internationale Gemeinschaft. Unter der Bevölkerung herrscht das Gefühl, dass es keinen Staat mehr gibt."

Europäische Standards in Bosnien schwer anwendbar

Auf die Frage, ob das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit eine Bedingung für den EU-Beitritt sei, antwortete Rechtsprofessor Tomislav Borić von der Universität Graz: "Geschichtlich betrachtet waren Menschen in dieser Region immer gegen den Staat. Ein Prinzip der Rechtsstaatlichkeit hat es im demokratischen Sinne noch nie gegeben." Die europäischen Standards seien an sich gut, es bleibe aber die Frage, wie man sie an ein derart anderes System wie in Bosnien anpassen sollte. "Für eine funktionierende Rechtsstaatlichkeit muss Bosnien eine große Modernisierungsphase durchleben." In einem Land, in dem man etwa ein Diplom monetär leicht erwerben kann oder wo es kaum einen Immobilientransfer gibt, dürfte das noch etwas dauern, meinte Borić. "Wir sollten trotzdem positiv, unterstützend und vor allem geduldig bleiben."

Bosniens viele Realitäten

Der nächste Diskussionsteilnehmer distanzierte sich noch weiter von Cammaratas einleitenden Worten. "Die Realität in Bosnien ist nicht nur eine", sagte Vedran Džihić, Senior Researcher am Österreichischen Institut für internationale Politik. "Es gibt so viele Realitäten; die eine, in der die bosnische Bevölkerung lebt, die perfekte Realität der obersten Politikerkreise und noch unzählige andere." Daher sei es schwierig einzuschätzen, was in Bosnien wirklich passiert.

"Die Übermacht der Politik ist in Bosnien ein großes Problem. Die ganze Regierung ist eine klientelistische Schirmherrschaft, ein Machtnetzwerk, das bei jeder Wahl 'demokratisch' wiedergewählt wird." Džihić betonte, dass in Bosnien eine Enttäuschung über die EU herrscht. "Menschen zweifeln an den Fähigkeiten der EU und sehen keine oder nur ganz geringe Verbesserungen. Eine richtige Vorgangsweise und eine Lösung 'von außen' zu finden, ist aber an sich extrem schwierig", sagte er. "Die Ausblicke sind derzeit finster. Wenn es der EU gelingt, ihren eigenen Kern neu zu erfinden und zu definieren, wird das aber auch für Bosnien eine positive Wende herbeiführen." (Anja Malenšek, 22.10.2016)