Der Wiener Zeithistoriker Oliver Rathkolb war federführend am Konzept für das HGÖ beteiligt.

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STANDARD: Das Haus der Geschichte dürfte jetzt streng genommen nur noch "Räume der Geschichte" heißen.

Rathkolb: Wenn man in einer traditionellen Raumstruktur denkt, ist es um ein Drittel weniger, ja. Wenn man in Perspektiven einer modernen Ausstellungsgestaltung denkt, dann ist das das Mutterschiff, von wo aus spannende Aktivitäten gesetzt und nachhaltig betreut werden können. Man darf ja nicht vergessen, dass es in den anderen Einrichtungen im Haus – Weltmuseum, Nationalbibliothek – Räume für Wechselausstellungen gibt, mit denen man kooperieren kann. Die Stärke dieses Museums wird in der netzwerkartigen öffentlichen Interaktion liegen, mit Veranstaltungen, mit anderen Institutionen, natürlich mit den Bundesländern und Gedenkstätten wie Auschwitz-Birkenau, wo es bereits ein konkretes Projekt gibt.

STANDARD: Es soll eine Art Plattform werden?

Rathkolb: Ja, nicht nur mit einer einfachen Homepage, sondern mit einer ständigen Redaktion. Keine Einsparung möglich ist daher im Bereich der Betriebs- und Personalkosten mit insgesamt zumindest vier Millionen Euro bis 2019.

STANDARD: Dennoch: In der Neuen Burg wird nach diesem Konzept Musikinstrumenten und Ritterrüstungen mehr als dreimal so viel Platz eingeräumt wie der Darstellung der österreichischen Geschichte. Stimmt da die Relation?

Rathkolb: Warten wir bis zum Jahr 2020, dann werden wir die Besucherzahlen der ganzen Sammlungen in der Neuen Burg sehen. Sie werden insgesamt steigen. Es wird mit den anderen Sammlungen zusammengearbeitet werden. Sehr gute Gespräche laufen bereits mit dem Weltmuseum. Eine Ausstellung zum Thema "Österreich und der Orient" wird schon konkret diskutiert, auch mit dem Wien-Museum.

STANDARD: Zehn Millionen sind jetzt budgetiert, ursprünglich hätte allein die Einrichtung so viel kosten sollen. Was fällt inhaltlich weg?

Rathkolb: Weniger Fläche heißt geringere Kosten, zudem wird der Brandschutz wesentlich günstiger als bisher umgesetzt. Aber inhaltlich fällt vom Ursprungskonzept gar nichts weg. Gut gemachte 1.000 Quadratmeter hinterlassen mehr Spuren beim Besucher als 3.000 Quadratmeter, die angemüllt sind mit hunderten Objekten.

STANDARD: Woran ist das Ursprungskonzept jetzt konkret gescheitert? Am Budget, der Koalition?

Rathkolb: Am Budget.

STANDARD: Und auch der Neubau ist wieder im Spiel?

Rathkolb: Davon habe ich in der Pressekonferenz zum ersten Mal gehört. Damit wird man sich beschäftigen, aber es bleibt eine Entscheidung des Ministers. Er überlegt ja scheinbar, den Platz der jetzt errichteten Pavillons für den Parlamentsumbau einer Nachnutzung zuzuführen. Das ist eine politische Entscheidung, die weit weg ist. Dazwischen sind auch Nationalratswahlen. Aber wir werden das nächstes Jahr bei der Sitzung des internationalen Beirats, der das Projekt bis zur Eröffnung weiter kritisch begleiten wird, mit allen Beteiligten intensiv diskutieren.

STANDARD: Ihre eigene Meinung?

Rathkolb: Mein Alternativvorschlag wäre: eine gläserne kühne Überdachung des Äußeren Burgtors. Das HGÖ braucht langfristig Flächen für eine Dauerausstellung, eine Wechselausstellung und eine Sammlung. Wo und wie, darüber kann man diskutieren. Wir sind ja ein flexibles Projekt und klammern uns an keine Räume. Ich glaube, jetzt ist eine gute erste Lösung erfolgt, um das Republiksjubiläum würdig zu begehen und sich nicht zuletzt endlich mit dem sogenannten "Hitler-Balkon", einer 20 Quadratmeter großen Terrasse, auseinanderzusetzen.

STANDARD: Beim Standort Neue Burg wäre es doch auch darum gegangen, den Altbau ins 21. Jahrhundert zu holen – ihn architektonisch zu brechen.

Rathkolb: Im Rahmen der Denkmalschutzauflagen wird das ein zentrales Thema sein bei der Architekturausschreibung. Die Terrasse ist überdies ein spannender Ort für eine künstlerische Intervention. Das ist auch nach wie vor im Baubudget eingeplant.

STANDARD: Die Umsetzungsstrategie ist doch auch an den Ort Neue Burg geknüpft. Wenn das HGÖ dort auszieht, braucht es also wieder eine neue Strategie?

Rathkolb: Genau. Dann gibt’s aber schon einen eigenen Direktor, der das Konzept selbst mit seinem Team entwickeln kann. Wenn es wirklich zu einem Neubau am Heldenplatz kommt – vielleicht soll er dann auch Platz der Republik heißen, wie Rektor Martin Fritz vorgeschlagen hat –, dann hat sich in Österreich wirklich viel bewegt. 2022 brauchen wir für so einen derartigen Neubau eines HGÖs wahrscheinlich bis zu 50 Millionen Euro auf der Basis der Studie von Claudia Haas und Lord Europe.

STANDARD: Angenommen, das HGÖ zieht dort wieder aus. Bleibt dann der "Hitler-Balkon" so etwas wie eine Außenstelle?

Rathkolb: Das muss sich die künftige Direktion überlegen. Ein anderes Szenario wäre ja, dass das HGÖ in der Neuen Burg so gut einschlägt, dass sich völlig neue Nutzungsmöglichkeiten zwischen den Sammlungen ergeben und es dort bleibt. Vielleicht wird dann ja auch der wehrhafte Ritter auf dem Jagdplateau seinen Speer einziehen und mit dem Waldheim-Pferd, das übrigens sicherlich temporär 2018 ausgestellt werden kann, eine friedliche Symbiose entwickeln.

STANDARD: Es bleibt aber der Eindruck einer Husch-Pfusch-Aktion, nur um das Datum 2018 halten zu können.

Rathkolb: Das sehe ich nicht so. Das Datum hat das Projekt immerhin beschleunigt. Die Republiksausstellung soll ein erster Wurf einer Dauerausstellung werden. Auf Beamtenebene hat man hervorragend gearbeitet, die Kosten für Tiefgarage, Bücherspeicher, Burgtor, HGÖ bereits geschätzt. Aber von dieser Bundesregierung hätte ich mir wirklich mehr Kühnheit erwartet. In Summe wären für alle Projekte etwa 110 Millionen Euro vonnöten gewesen. Das wird nun wahrscheinlich stückweise über zehn bis 15 Jahre gemacht werden und am Ende das Doppelte gekostet haben. Aber das ist Österreich, die paradoxe Republik.

STANDARD: Minister Drozda hat das jetzige "Provisorium" ja recht unverblümt als Wiener Tradition verkauft.

Rathkolb: Ja, in Österreich sind große Projekte nur schwer zu realisieren. Wenn man sich an die damaligen Streitereien ums Museumsquartier erinnert, wo heute alle glücklich sind, dann läge doch auf der Hand, dass man sich auch etwas für den Heldenplatz überlegt. Aber der Mut für eine politische Entscheidung ist scheinbar nicht vorhanden. Das liegt ja nicht an einem einzelnen Minister, sondern an der gesamten Bundesregierung. Auch gegen das Konferenzzentrum in der Uno-City wurde damals heftig gewettert. Bruno Kreisky hat es gegen massivste Widerstände durchgezogen. Heute will es niemand mehr wegdenken.

STANDARD: Die organisatorische Anbindung an die Nationalbibliothek (ÖNB) sehen manche Beobachter als Unterordnung an.

Rathkolb: Beim Haus der Europäischen Geschichte in Brüssel ist zum Beispiel das Problem, dass sie keine Sammlung haben. Es gibt ein tolles großes Gebäude, aber sie bekommen nur unter großen zeitraubenden Schwierigkeiten Leihgaben. Dort muss extra eine eigene Bibliothek geschaffen werden. Mit der Anbindung an die ÖNB haben wir hier einen riesigen Vorteil.

STANDARD: Welche Herausforderungen werden auf die künftige Direktion des HGÖ zukommen?

Rathkolb: Er oder sie muss versuchen, eine Verbindung zwischen der Geschichte der Räume und der Ausstellung herzustellen. Wenn es gelingt, die überdimensionierte Prachtstiege ins 21. Jahrhundert zu holen, mit Lichttechnik, Video und erzählstarken Objekten, dann wird das ein Erfolg.

STANDARD: Warum wollen Sie sich nicht bewerben?

Rathkolb: Ich bin kein Ausstellungsdramaturg und habe als Historiker genug Zeit in das Projekt gesteckt. Im Internet wurde ich dafür als "Volksschädling" beschimpft. Da ziehe ich mich lieber auf mein nächstes Buchprojekt einer Geschichte Europas zwischen zwei Globalisierungen zurück. Meiner Meinung nach bedarf es einer Direktion vom Format Neil McGregors. Seine Art der Geschichtsvermittlung über Schlüsselobjekte ist extrem erfolgreich und hat wirklich viel bewegt. (Stefan Weiss, 25.10.2016)