Neues Image, neues Album, alte Schreibmaschine. Lady Gaga gibt sich auf ihrem Album "Joanne" konventionell. Und das nicht schlecht.

Foto: Universal Music

Wien – Digital Native. Das verhieß vor einigen Jahren noch die Unbezwingbarkeit im dritten Jahrtausend. Am Laptop entworfen, am Smartphone sozialisiert, Surfen im Netz so erfolgreich wie im Leben. Doch mittlerweile leiden sie wie alle anderen. Lady Gaga zum Beispiel, ein US-amerikanischer Superstar mit Hang zu Extremen, zog die Notbremse.

Um ihrem Namen nicht mental gerecht zu werden, ging sie in den Wald. Diagnose: digitales Burnout. Überdosis Twitter, Facebook, Instagram, Tinder, Honga, Zerfa. Ein bisschen zurück zur Natur kann da nicht schaden. Meditieren, Baumumarmen, Vogelstimmen imitieren, Laub lesen. Sie soll jetzt sogar auf einer Schreibmaschine anstatt eines Computers schreiben.

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Wieder zurück, hat sie sich imagemäßig die Sixties verordnet und inszeniert sich als blonde Schwester von Amy Winehouse, selig. Doch der Ausflug ins analoge Leben hat Spuren hinterlassen. Anstatt hochgezüchtete Klingeltonmusik zu produzieren, gibt sie es jetzt konventionell. Rock und sogar Country spielt sie auf ihrem neuen Album Joanne. Benannt nach sich selbst, ihrem zweiten Vornamen, ihrem inneren Selbst gewissermaßen. Und man muss sagen, so ein Grillkotelettkostüm passt natürlich besser in eine Barbecue-Hütte im Umland von Nashville als in die 5th Avenue. Nun muss nur noch die Fangemeinde umlernen.

Landpartie und Downtown

Was quietscht da so? Sind das die Saiten einer akustischen Gitarre? Yep. Nach zwei Songs, in denen Stefani Joanne Angelina Germanotta bereits ins Rockröhrige vorstieß, begibt sie sich mit dem Titellied auf Landpartie. Dem folgt ein Song namens John Wayne. Benannt nach dem Kuhbubendarsteller, dem Inbegriff des Machowesens der amerikanischen Pioniergeschichte. Wobei die gerne mit Geschlechterrollen jonglierende New Yorkerin darin vielleicht eine Geheimbotschaft für das dafür anfällige Publikum bereithält, lautete doch Waynes richtiger erster Vorname Marion.

Dass der Ausflug ins Hinterland nicht alle Missverständnisse ausräumt, zeigt ein Titel wie Dancin' In Circles. Eine Popnummer, in der Gaga den Downtown-Funk beschwört, quasi das Gegengift zum Square-Dance. Doch die Herzstücke des Albums sind jene, die sich am traditionellen Songwriting orientieren. Sinner's Prayer ist so ein Lied, ein bisschen durchschnittlich, wenn man das Fach nicht erst seit gestern kennt, aber okay. Leider verziert sie das Stück mit quergeblasenen Flöten und knackigen Burschen, die nichts zu sagen haben, aber "Hey!" rufen dürfen. Sinnlose Zierleisten und Rüschen.

Immerhin fügt die 30-Jährige mit diesem Album ihrem Katalog eine Handvoll Stücke hinzu, an die man sich tatsächlich erinnern kann, die nicht nur Geschepper und Geläut sind. Beistand erhielt sie von Mark Ronson (dem Amy-Winehouse-Produzenten), der Folkie Father John Misty frisiert sich im Hintergrund den Rauschebart, Josh Homme steht mit seinem Wüstenrock herum, Hey Girl singt Gaga im Duett mit Florence Welch von der Band Florence + the Machine.

Motivationsmantras

Mit Angel Down kommt es gegen Ende des Albums zu einer Offenbarung. Darin singt Gaga von ihrem Niedergang in den sozialen Medien, die sich ihr immer mehr als asoziale Machwerke offenbarten. Streicher, bedrückte Stimmung, Motivationsmantras: "I'm a Believer." Songs wie Grigio Girls gelingt ein interessanter Spagat aus Indiemusik und High-End-Produktion, und trotz einiger stilistischer Querschüsse schafft sie damit doch so etwas wie ein geschlossenes Album. Ob sie damit neue Fans gewinnt oder alte irritiert, dürfte ihr egal sein. Zumindest so lange, wie sie sich die Postings über sich spart. Möge die Übung gelingen. Om ... (Karl Fluch, 24.10.2016)