Christian Seidl macht mit 39 eine Lehre zum Baumaschinentechniker.

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Seidl kündigte seinen alten Job und fing mit einer Lehre von vorne an.

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Wien/Trumau – Wenn Christian Seidl um halb sechs Uhr morgens zu seinem Lehrbetrieb fährt, ist es zu dieser Jahreszeit noch dunkel. Mit seinem grauen Dreitagebart, der Halbglatze und seiner Brille fällt Seidl unter den Gesellen und Meistern bei der Baumaschinentechnik International GmbH (BMTI) in Trumau in Niederösterreich kaum auf – doch mit seinen 39 Jahren könnte er der Vater seiner vier Lehrlingskollegen sein.

Seit einem Jahr macht Seidl im BMTI, einer Tochterfirma der Strabag, eine Ausbildung zum Baumaschinentechniker. "Seit ich ein Kind bin, faszinieren mich große Maschinen“, sagt er. Doch diesen Traum erfüllte er sich lange nicht: Seine Mutter wollte, dass er nach der Handelsschule "etwas Gescheites“ arbeitet. Also fing Seidl im Bürgerservice einer Gemeinde zu arbeiten an. 17 Jahre lang blieb er dort, obwohl „das überhaupt nicht meins war, aber es war ein sicherer Job“. Je mehr er mit Menschen zu tun hatte, desto unzufriedener wurde er, sein Herz hatte er den Maschinen und der Technik verschrieben.

Berufliche Unzufriedenheit

Vergangenes Jahr merkte Seidl, dass sich etwas ändern muss. Er kam morgens kaum mehr aus dem Bett, häufig erbrach er sich bevor er zur Arbeit ging und abends sprach er nur selten, erzählt seine Frau. Zum Missfallen seiner Eltern kündigte Seidl und bewarb sich für unterschiedliche Stellen in der Baubranche. "Nach 300 Bewerbungen habe ich aufgehört zu zählen, bei 20 bekam ich eine Rückmeldung, doch einstellen wollte mich niemand“, sagt er. Über ein Schulungsprogramm des Arbeitsmarktservice (AMS) bekam Seidl eine Betreuerin, die sich für ihn einsetzte, stundenlang telefonierte und schlussendlich ein Bewerbungsgespräch beim BMTI auf die Beine stellte. Eine Woche später, im September vergangenen Jahres, fing Seidl seine Ausbildung an.

Wenige Lehrlinge über 30

Lehrlinge in Seidls Alter sind in Österreich eine Ausnahme: Im Jahr 2015 hatten laut Angaben der Österreichischen Wirtschaftskammer in ganz Österreich zwölf 39-Jährige einen Lehrvertrag und 49 Personen über 40 Jahren waren in einem Lehrverhältnis. Was derzeit noch eine Seltenheit ist, könnte in Zukunft bald Normalität sein. Immer weniger Jugendliche entscheiden sich für eine Lehre, daher haben besonders kleine Betriebe Schwierigkeiten, ihre Lehrstellen zu besetzen und der Fachkräftemangel ist in einigen Branchen bereits Realität.

Gerade Menschen wie Seidl, die in der Mitte ihres Berufslebens noch einmal umsatteln wollen, könnten die Lösung für die Lehrbetriebe sein. So war es auch in Trumau, wo man immer häufiger Schwierigkeiten habe, passende Lehrlinge zu finden, sagt Günther Seblatnig, Bereichsleiter in Trumau. Doch schlussendlich habe er Seidl einen Lehrvertrag gegeben, weil er "trotz eines sicheren Jobs umsatteln wollte, weil er für das Thema brennt“. So bringe er auch eine andere Motivation mit als etwa ein junger Lehrling, der innerlich noch auf der Suche ist.

Wissen, wofür man eine Lehre macht

Die Arbeits- und Lernhaltung seien eine andere. Das merkten auch Seidls Lehrmeister: "Als ich nach einem Krankenstand wieder in die Werkstatt kam, sagte man mir, man hätte mich vermisst, weil ich unaufgefordert den Besen in die Hand nehme und ich nicht zum Arbeiten begeistert werden muss“, sagt Seidl. Im Gegensatz zu anderen Lehrlingen wisse er, wofür er arbeiten gehe und dass er später einmal als Baumaschinentechniker arbeiten möchte.

"Trotzdem werden wir alle gleichbehandelt, jeder lernt ja von Null auf“, sagt der 39-Jährige, dessen Arbeit die meiste Zeit daraus besteht, große Schrauben abzuschrauben, Bagger oder Walzen zu warten, über 100 Tonnen schwere Bohrgeräte zu reinigen oder Stahlteile zuzuschneiden, wenn ein Ersatzteil fehlt. Die Arbeit in der Maschinenhalle ist körperlich anstrengend. "Das ist für die Jungen viel einfacher, die haben mehr Energie und sind gelenkiger“, sagt Seidl, der abends meist wie "tot ins Bett fällt“.

Lernen lernen

Doch viel schlimmer als die körperliche Anstrengung sei das Lernen in der Berufsschule. "20 Jahre nach der Handelssschule musste ich wieder Lernen lernen“, sagt Seidl. Er nahm Nachhilfe und bekam in Mathematik Unterstützung von seinen Lehrern, die teilweise jünger sind als er. "Beim ersten Schultag dachten alle, ich sei der Lehrer. Da habe ich mich schon alt gefühlt, aber im Endeffekt bin ich so gut in der Gruppe integriert, dass es mir kaum mehr auffällt“, sagt Christian Seidl.

Trotzdem zieht er am Wochenende nicht mit seinen Lehrlingskollegen nicht durch Bars, sondern widmet sich seiner Leidenschaft in Miniaturform: dem Modellbau von Baumaschinen aus Metall, die arbeitsfähig und bis zu 30 Kilogramm schwer sind. "Ich habe einige Baustellen zuhause stehen, weil ich nach der Arbeit einfach keine Ruhe und Zeit mehr dafür habe“, sagt Seidl.

Geringes Einkommen

Früher war das anders: Auf der Gemeinde arbeitete er weniger und kümmerte sich um den Haushalt, jetzt arbeitet seine Frau weniger, verdient aber mehr. Seine Frau könne es sich leisten, dass sie mit dem Lehrlingsgehalt durchkommen, obwohl "er im Endeffekt kaum weniger verdient als 17 Jahre auf der Gemeinde“. Das liegt daran, dass Seidl nicht die normale Lehrlingsentschädigung von 500 Euro bekommt, sondern ein Hilfsarbeitergehalt, wovon das AMS die Hälfte bezahlt. Mit Fahrtkostenzuschuss kommt er auf einen Lohn von etwa 1500 Euro brutto.

Dank der Unterstützung seiner Frau habe Seidl gelernt, dass es auch ein Arbeitsumfeld geben kann, in dem man sich wohl fühlt. Sein derzeitiges Ziel: Die Lehrabschlussprüfung zu bestehen – "nicht zwingend mit ausgezeichnetem Erfolg“ und "hoffentlich ist dann auch die Familie wieder gut gestimmt“. (Selina Thaler, 14.11.2016)