Im Dokumentationsarchiv Funk gibt es nicht nur 4.700 Manuskripte, etwa von Hörspielen, auch Fotos von Radiohörern sind dabei.

Foto: Dokumentationsarchiv Funk

Als die Schauspielerin Rosa Albach-Retty zum ersten Mal im Radio sang, weinte sie, weil sie dachte, sie habe kein Publikum – das Gegenteil war der Fall. Es hörten sie mehr Menschen denn je zuvor.

Foto: Dokumentationsarchiv Funk

Wien – Vor etwa eineinhalb Jahren räumten die Mitarbeiter des Dokumentationsarchivs Funk (Doku Funk) gründlich auf. In den Archivhallen in Wien-Liesing, An den Steinfeldern 4A, fanden sie Erstaunliches. Hinter einer Mauer aus Aufbewahrungsboxen gammelten seit Jahrzehnten unzählige Manuskripte herum. Hörspiele, Features, Geschichten – alles aus den aus den Anfangsjahren des Rundfunks.

"Das war ein sensationeller Fund von großer historischer Bedeutung", sagt Wolf Harranth, Kurator des Dokumentationsarchivs. Über die Anfangszeit des Rundfunks, die mit 1923/24 angesetzt wird, ist nicht viel bekannt. Die mitwirkenden Künstler und Journalisten sprachen ins Mikrofon, und damit hatte es sich. Analoge Aufnahmetechniken – beispielsweise Wachsplatten oder später Bänder – waren noch nicht erfunden. Und dass alles automatisch aufgezeichnet wird, wie es heute im digitalen Zeitalter selbstverständlich ist – davon war man noch Jahrzehnte entfernt.

Fünf Kubikmeter Papier

Die Mitarbeiter von Doku Funk jedenfalls krempelten angesichts des Unterlagenberges – immerhin knapp fünf Kubikmeter Papier – die Ärmel hoch. Eine erste Bestandsaufnahme liegt jetzt nach einigen Monaten Arbeit vor: Es handelt sich um 4.700 Manuskripte – Hörspiele, Essays, Features. Teilweise sind die Papiere in sehr schlechtem Zustand.

Man müsste schnellstens beginnen zu digitalisieren, erläutert Harranth. Ein Stück- und Personenregister gehörte angelegt; eine Zeitleiste, was wann gesendet wurde. Dann kann auch mit der wissenschaftlichen Aufarbeitung begonnen werden.

Doch wie immer spießt es sich am Geld. An dem Datenschatz, der da schlummert, hätten viele großes Interesse – Personen ebenso wie Organisationen oder auch die Wissenschaft. Allein wer die Kosten übernimmt, ist fraglich.

Rechtlich sind die Manuskripte laut Harranth Leihgaben des ORF, denn der ORF ist die Nachfolgegesellschaft der Ravag, der Radio Verkehrs AG. Diese hielt ab 1924 die erste Rundfunklizenz. Doch waren die Hilfeleistungen des ORF bis dato eher ideeller denn finanzieller Natur. So erhielt DER STANDARD sogar unterschiedliche Aussagen dazu, auf wessen Konto die erste Homepage dazu eigentlich geht. Harranth meint, der Doku Funk – ein Verein, der Archivierungsaufträge des Österreichischen Rundfunks übernimmt – habe den Internetauftritt allein gestemmt. Radiodirektor Karl Amon lässt dem STANDARD ausrichten, dass der ORF "selbstverständlich auch beim derzeit laufenden Archivierungsprojekt dabei" ist. Und auch bei der Erstellung der Homepage, auf der die Manuskripte nach ihrer Digitalisierung online zur Verfügung gestellt werden sollen.

"Mein" Manuskript

Die Kosten dafür, Manuskripte und Regiebücher aufzubereiten, sind nicht vernachlässigbar. Harranth spricht von knapp 500.000 Euro, die aufgewendet werden müssten. Da die Unterlagen in teilweise sehr schlechtem Zustand sind, hat er begonnen, einen Sponsorenaufruf auf Basis von Patenschaften zu starten. Mit hundert Euro pro Manuskript ist man dabei. Um diesen Betrag wird ein Original konserviert, mit Volltextsuche digitalisiert und professionell archiviert. Die Gegenleistung: Jede Patenschaft wird namentlich ausgewiesen und muss künftig in akademischen Arbeiten oder bei vergleichbarer Nutzung zitiert werden. Jeder Pate erhält ein Faksimile des Typoskripts zur privaten Nutzung.

Die Gegenleistung für die Gesellschaft, wenn die Unterlagen gerettet und einsehbar sind, ist klar: Wissen über das junge Medium Radio, das in seinen Anfängen einen ähnlichen Hype auslöste, wie er anlässlich der Einführung des Internets zu beobachten war. Denn das Radio schlug ein wie die sprichwörtliche Bombe und zog eine Fülle von Dienstleistungen und Services – künstlerischer und technischer Natur – nach sich.

Die Schauspieler, die hier das erste Mal auftraten, schrien sich die Lunge raus: Sie konnten sich nicht vorstellen, dass sie über die Technikkastln Menschen erreichten. Als die beliebte Schauspielerin Rosa Albach-Retty das erste Mal im Radio sang, weinte sie. Sie glaubte, kein Publikum mehr zu haben – und erreichte doch mehr denn je.

Das Radiogeschäft boomte von Anfang an. Im Jahr 1924 gab es schon 30.000 Empfangsgeräte. Und aus denen sang Hermann Leopoldi "Vom Hausknecht bis zum Direktor, ein jeder sitzt beim Detektor". (Johanna Ruzicka, 27.10.2016)