Paradeiser wachsen in der Pergola der Gartenwerkstadt in Wien-Mariahilf.

Foto: Verein Grüner Daumen

Im Winter werden auf dem Dach Hochbeete gebaut.

Foto: Verein Grüner Daumen

Wien – Mehr als 100.000 Kompostwürmer leben auf dem Dach der Wipark-Garage in der Windmühlgasse im sechsten Bezirk in Wien. Sie haben es sich zwischen Kartoffelschalen und welken Salatblättern in zwei Holzkisten in der Gartenwerkstadt des Vereins Grüner Daumen gemütlich gemacht. Die Vereinsgruppe Wurmglück kümmert sich darum, dass immer genug Bioabfall vorhanden ist, den die rötlichen Tierchen zu Dünger verarbeiten. Kompostwürmer gehören zur Familie der Regenwürmer, sind aber kleiner und leben weiter oben in der Erde.

Ob die kalte Jahreszeit das Wurmglück trüben wird, beschäftigt derzeit die rund 45 Hobbygärtner der Gartenwerkstadt. In der Natur würden die wirbellosen Tierchen, um Minusgraden zu entgehen, in tiefere Erdschichten wandern, sagt Michael Graner vom Verein Grüner Daumen. Diese Möglichkeit haben sie auf dem Dach nicht; wegen der Statik sind maximal 30 Zentimeter Substrat in den Kisten und Hochbeeten erlaubt.

Überwintern im "grünen Bus"

Die Gemeinschaftsgärtner testen deshalb drei Überwinterungsmethoden. Mit dem "grünen Bus" – einer Obstkiste, die als Lockmittel mit Wurmschmankerln befüllt wurde – wird ein Teil der Kompostwürmer in die Pergola auf dem Dach übersiedelt. Einen Teil nehmen die Vereinsmitglieder vorübergehend mit nach Hause und füttern ihn mit Küchenabfällen. "Das wird kein Problem", sagt Graner. Unsicher ist, wie es dem dritten Teil des Wurmvolks ergehen wird. Er wird in den Holzkisten belassen, denn die Kompostwürmer "kuscheln sich zusammen", sagt Graner. Sinkt die Temperatur auf unter null Grad Celsius, rollen sie sich an der wärmsten Stelle mit Artgenossen zusammen und verfallen in eine Art Winterstarre. "Wenn alles gutgeht, überleben alle drei Populationen."

Die Kompostwürmer sind aber nicht das einzige Winterprojekt der Mariahilfer Dachgartengemeinschaft. Die Monate, in denen weniger klassische Gartenarbeit ansteht, werden auch genutzt, um weitere Hochbeete aus Baugittern, Kautschuk und Gartenvlies zu zimmern sowie die Holzstege auszubauen, die über die 2.000 Quadratmeter große Fläche führen. Auch eine Freiluftküche soll es bald in der Gartenwerkstadt geben.

Bildungswerkstatt

Das Projekt sieht sich als Bildungswerkstatt, die ökologische und soziale Gedanken verbindet. Regelmäßig finden Workshops und Kurse statt – etwa im Bauen von Wurmkisten oder Pilates. "Wir geben Leuten, die etwas können, die Chance zu unterrichten", sagt Graner. Teilnehmen können an den Workshops auch Nichtvereinsmitglieder.

Die Idee, einen Nachbarschaftsgarten auf dem Garagendach zu errichten, gebe es schon lang, sagt Graner, der im Haus nebenan wohnt: "Ich schaue seit 1989 auf den Schotter." Weil es in Mariahilf "zu wenig Grün" gebe, müsse man sich dieses selber schaffen. Mehrere Jahre habe der Verein mit "Politik, Wirtschaft und Baupolizei" verhandelt, bis er im Februar dieses Jahres starten konnte.

Auf dem Dach wird alles in Gruppen organisiert: Um die dacheigenen Bienen kümmert sich etwa die Gruppe Bienenglück. Die Anbauplangruppe entscheidet, welches Gemüse angepflanzt wird. Eine andere Gruppe ist für das Gartenmobiliar zuständig. Unter den Teilnehmern gebe es solche mit viel Know-how und solche mit gar keinem: "Das gleicht sich aus", sagt Graner. Für viele sei der wichtigste Aspekt der Gartenwerkstadt das Lernen.

Man probiert sich auch an Wintergemüse: Kohl, Chinakohl, Endivien- und Vogerlsalat sprießen bereits in den Beeten. "Sie brauchen eine gewisse Temperaturuntergrenze, um überhaupt zu keimen", berichtet Graner. Frost könne ihnen nichts anhaben, denn die Blätter können wieder auftauen. Und man beginnt, für das nächste Jahr vorzubereiten: Knoblauch und Zwiebeln werden gesteckt.

Kein Saisonende

"Es wäre schade, wenn die Community zerbröckelt, weil es nichts zu tun gibt", sagt Graner über die kalte Jahreszeit in einem Nachbarschaftsgarten. In der Gartenwerkstadt gebe es "eigentlich kein Saisonende". Nur über Weihnachten und im Jänner, "wenn viele auf Urlaub sind", werde "nichts los" sein. Am 1. Februar geht es mit dem Vorziehen der Chilisamen schon wieder los. (Christa Minkin, 3.11.2016)