Manly Beach, eine begehrte Wohngegend in Sydney: Nachbarn einer Straße oder ganzer Quartiere setzen sich bei einem Glas Wein zusammen und diskutieren, wie sie gemeinsam ihre Häuser veräußern können.

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Geht alles nach Plan, ist Jo Butler in einem Jahr mehrfache Millionärin. Die Literaturagentin aus Sydney spricht ohne jegliche Sentimentalität von ihrem Haus, in dem sie seit neun Jahren wohnt: "Ich nutze eine gute Gelegenheit, das ist alles."

Butler besitzt im Stadtteil Manly Vale im Norden der Großstadt ein Eigenheim, eines von 17, die seit ein paar Wochen als Gesamtpaket auf dem Markt sind. Doch an den Häusern selbst wird ein potenzieller Käufer kein Interesse haben – sie wären dem Abbruchbagger geweiht. Es ist der Boden, der lockt.

Ein insgesamt etwa 70.000 Quadratmeter großes Grundstück entlang einer beliebten Wohnstraße, mit Sicht auf die City und das nahegelegene Meer – und das direkt gegenüber einem unverbaubaren Golfplatz. "Eine perfekte Position für einen Apartmentblock", schwärmt Andrew White, Chef des örtlichen Immobilienunternehmens Ray White Real Estate, als er bei einem Lokalaugenschein das Gebiet zeigt.

Wie ein Lottogewinn

Wenn der Deal zustande kommt, muss er sich keine Sorge machen um seine Altersrente. Die Kommission würde seiner Firma Millionen Dollar einbringen. Für Butler und ihre 16 verkaufswilligen Nachbarn käme ein Verkauf einem Lottogewinn gleich.

Würden die Liegenschaften einzeln unter den Hammer gehen, könnten die Besitzer jeweils etwa mit einer Million australischen Dollar rechnen (680.500 Euro), je nach Größe des Grundstücks vielleicht etwas mehr. Als Teil eines großen zukünftigen Baugebietes hingegen sind sie deutlich mehr wert. "Wir rechnen mit mindestens dem doppelten Preis", sagt White, "hoffentlich mehr."

Butler und White sind Nutznießer eines Trends, der in der australischen Großstadt immer mehr Freunde findet: Nachbarn einer Straße, oder gar eines Quartiers, setzen sich bei einem Glas Wein zusammen und diskutieren ihre Zukunftspläne. "Wir haben darüber gesprochen, ob und wie lange wir noch hier wohnen wollen. Viele der Leute sind älter, sie möchten in eine Alterssiedlung. Dann kam die Idee auf, ob wir nicht gemeinsam verkaufen sollten."

Der nächste Schritt sei der Gang zum Immobilienhändler gewesen, sagt Butler. Andrew White sah sofort Potenzial: Große Bauflächen sind im engen und teuren Sydney selten. "Entsprechend hoch ist das Interesse potenzieller Käufer", sagt der Makler. Seit ein paar Wochen ist das Grundstück auf dem Markt. "Die Nachfrage ist gut." Mehr will er dazu nicht sagen.

Preisanstieg in Sydney

Angetrieben vom ununterbrochenen Wachstum der Wirtschaft Australiens, aber auch von einem anhaltenden Kaufinteresse asiatischer Einwanderer und Investoren, genießt der Immobilienmarkt Sydney seit zwei Jahrzehnten einen gelegentlich spektakulären Anstieg der Nachfrage – und der Preise.

Im vergangenen Jahr legte der Wert von Häusern in Sydney durchschnittlich um 6,7 Prozent zu. In einigen der beliebtesten Stadteile – das sind jene in unmittelbarer Nähe des Meeres – sind die Kosten für alleinstehende Häuser und Wohnungen in 20 Jahren aber um mehrere Hundert Prozent gestiegen.

Wenn gar der Blick aufs Meer lockt – und sei es nur durch die untere Ecke des Klofensters -, ist selbst ein Einzimmerapartment kaum noch unter einer Million australischen Dollar zu haben.

Weniger Eigenheimbesitzer

Diese Entwicklung hat nicht zuletzt deutliche wirtschaftliche und soziale Konsequenzen. Stand Australien unter den OECD-Ländern traditionell immer weit oben, was den Eigenheimbesitz betrifft, können sich heute immer weniger junge Australierinnen und Australier eine Immobilie leisten.

Die übliche Anzahlungssumme von zehn Prozent des Kaufpreises liegt jenseits der Sparmöglichkeiten von jungen Berufstätigen, wenn sie sich mit einem Immobilienwert von 1,5 Millionen australischen Dollar konfrontiert sehen. So bleibt vielen nur die Miete. Gerade in zentrumsnahen Gebieten aber übersteigt das Angebot an Mietobjekten die Nachfrage. Denn gleichzeitig locken solide Renditen von weit über vier Prozent Investoren an, nicht zuletzt auch aus dem Ausland.

Angesicht der Knappheit an Neuland ist es realistisch, dass die Nachbarn in Manly Vale mehr erwarten können als "nur" eine Verdoppelung ihrer individuellen Verkaufspreise. Das Gebiet sei für potenzielle Käufer zusätzlich attraktiv, weil die Regierung in der Nähe eine "Park and Ride"-Busanlage bauen werde, sagt White.

Welche Wertvermehrung die Nähe zu öffentlichen Anlagen einem Projekt gibt, zeigt ein Beispiel im Stadtteil Castle Hill. In unmittelbarer Nähe einer zukünftigen Bahnstation und anderer geplanter Infrastruktur haben sich 25 Nachbarn zum Verkauf eines "Megagrundstücks" von bis zu 55.000 Quadratmetern zusammengetan.

Verkaufsunwillige Nachbarin

Beobachter sprechen von einem 100-Millionen-Dollar-Verkauf. Jeder Verkäufer könne mit bis zu vier Millionen australischen Dollar für sein Heim rechnen. Das ist ein signifikanter Aufschlag für eine Liegenschaft, die unter normalen Umständen für etwa eine Million Dollar den Besitzer wechseln würde.

Was ist, wenn ein Nachbar nicht verkaufen will? "Das hatten wir auch", sagt White. "Eine alte Frau, die schon seit 35 Jahren in ihrem Heim wohnt." In der Werbebroschüre ist ihre Liegenschaft deutlich sichtbar – eingepfercht zwischen Linien, die das Gebiet der Verkaufswilligen zeigen. "Diese Fotos müssen wir neu drucken lassen", sagt White. Denn inzwischen sei die betagte Dame auch an Bord gekommen. Was sie umgestimmt hat, wird wohl ein Geheimnis bleiben. (Urs Wälterlin aus Sydney, 29.10.2016)