Durch Wearables wird alles sichtbar und steuerbar, wer sich in Unternehmen überwachen lässt wird häufig belohnt. Frederick W. Taylor hätte es sich nicht besser vorstellen können.

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Im Jahr 1911 entwickelte der US-amerikanische Ingenieur Frederick Winslow Taylor sein Konzept der wissenschaftlichen Betriebsführung (" Scientific Management"). Dahinter stand grob gesagt die Idee, jeden Arbeitsschritt streng zu takten und den Arbeiter seiner geistigen Leistung zu entheben. "Alle Denkarbeit muss aus dem Betrieb herausgenommen und in der Planungsabteilung konzentriert werden." Taylor ließ ab 1882 großangelegte Zeit- und Bewegungsstudien durchführen, wobei der optimale Bewegungsablauf eines Arbeitsvorgangs ermittelt werden sollte. Sinn und Zweck war schon damals die lückenlose Überwachung der Arbeiter. Taylors Modell sah sich massiver Kritik durch die Gewerkschaften ausgesetzt, die darin eine Dehumanisierung und Entfremdung der Arbeit sahen. Die Methode konnte sich nie vollständig durchsetzen, da sie zu mechanistisch gedacht war und menschliche Faktoren für den betriebswirtschaftlichen Erfolg außer Acht ließ.

Was geht nicht?

Doch mit der Digitalisierung der Arbeit und elektronischen Datenverarbeitung stehen heute ganze andere Mittel und Wege bereit, einen Taylorismus 2.0 ins Werk zu setzen. Mit Wearables, internetfähigen Geräten wie etwa Fitness-Trackern, können Schrittzahl, Puls oder Stresslevel gemessen und ausgelesen werden.

Der japanische Mischkonzern Hitachi hat im vergangenen Jahr einen ID-Badge vom Format einer Kassette präsentiert, den man sich wie ein Namensschild ans Revers heftet und der das "Wohlbefinden" der Mitarbeiter messen soll. Das Gerät verfügt über einen Beschleunigungssensor, der nach Angaben des Unternehmens 50-mal in der Sekunde Daten sammelt und verschiedene Bewegungen wie Gehen, Nicken und Tippen erkennt. Diese Daten werden aggregiert (insgesamt wurden fünf Milliarden Bewegungspunkte von 468 Angestellten erfasst) und mit dem Glücksniveau der Gruppen verglichen, das nach der Allgemeinen Depressionsskala, einem standardisierten Fragebogen zur Erfassung emotionaler Zustände, berechnet wurde.

Dabei kam heraus, dass das Glücksempfinden mit der Dauer der physischen Bewegung abnimmt (die Kurve ist nach dem Mount Fuji modelliert). Je kürzer die Bewegungen sind, desto glücklicher die Mitarbeiter. Hitachi identifizierte in seiner Studie einen Zusammenhang zwischen dem Glück der Gruppe und ihrer Produktivität.

Boni für die sportlichen Mitarbeiter

Die US-Firma Percolata geht noch einen Schritt weiter: Sie hat spezielle Traffic-Sensoren entwickelt, die die Bewegungen der Kundschaft und Angestellten messen. Mithilfe hochempfindlicher Geräuschsensoren und Bewegungsmelder kann exakt festgestellt werden, wer sich wann zu welcher Uhrzeit wo aufhält. Wie oft läuft Mitarbeiter X am Kaffeeautomaten vorbei? Wer ist wann am Kopierer? Wer verkauft am meisten Waren? Die Sensoren sehen alles. Auf einem cloudbasierten "Analytics Dashboard" sind die Leistungsdaten in Echtzeit für das Management einsehbar.

Davon hätte Taylor nur träumen können. Das Unternehmen behauptet, dass durch seine Sensoren der Umsatz mit demselben Ressourceneinsatz um knapp zehn Prozent steigt. Zu den Kunden von Percolata gehören unter anderen die Supermarktkette Seven Eleven, der spanische Mobilfunkanbieter Telefónica sowie die Restaurantkette The Counter. Die Technologie ermöglicht es Arbeitgebern, ihre Angestellten auf Schritt und Tritt zu verfolgen: von den GPS-Trackern für Zulieferer bis zur Software, die analysiert, welche Webseiten die Mitarbeiter während der Arbeitszeit aufrufen.

Ein weiteres Beispiel: Der Mineralölkonzern BP hat unter seiner Belegschaft 24 000 Fitbit-Tracker verteilt. Im Rahmen eines "Wellnessprogramms" können die BP-Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für verschiedene Aktivitäten Punkte (sogenannte "Wellnesspunkte") sammeln. Wer zum Beispiel eine Million Schritte geht, erhält 500 Wellnesspunkte. Wer sich einem "biometrischen Screening" unterzieht, bekommt auf einen Schlag 125 Punkte. Jeder Angestellte, der sich für das Programm anmeldet, erhält eine Gutschrift von 1000 Dollar für sein Gesundheitssparkonto, der Ehepartner profitiert ebenso davon. Wer 2000 Wellnesspunkte gesammelt hat, bekommt einen Gutschein im Wert von 100 Dollar für verschiedene Bonusaktionen (unter anderem iTunes).

Es ist ein fein justiertes Anreiz- und Belohnungssystem, das wie eine Mischung aus Dave Eggers (The Circle) und George Orwell (1984) anmutet. Wer sich überwachen lässt, wird belohnt. Eine perfide Logik. Das ist genau jener tayloristische Gedanke, das Lohnsystem, das aus Taylors Sicht nicht genügend Anreize zu Leistungssteigerungen bot, zu ergänzen. Doch der Preis dafür ist hoch. Die Angestellten werden in ihrer Arbeit komplett auslesbar und steuerbar.

Menschen als Datenpunkte

Unter dem Deckmantel der Gesundheit wird ein Kontrollregime ins Werk gesetzt, das die Arbeitnehmer zu bloßen Datenpunkten macht. Der Arbeitgeber weiß genau, welcher Mitarbeiter wie viele Schritte geht. Das ist nicht nur unter datenschutzrechtlichen und ethischen Gesichtspunkten bedenklich. Es vermittelt auch ein falsches Bild von Produktivität: Wer viele Schritte geht, ist noch lange nicht produktiv. Der Lagerist, der planlos zwischen Regalen umherirrt und die Ware erst im zehnten Anlauf findet, leistet effektiv weniger als jemand, der die Ware gleich auf Anhieb findet. Dafür ist die Technologie blind. Und doch ist Arbeitgebern jedes Mittel recht, ihre Mitarbeiter immer stärker zu überwachen.

Der Management-Dozent Chris Brauer, der am Goldsmiths, University of London, lehrt, sagt eine Zukunft voraus, in der das Management vor einem Bildschirm sitzt und in Echtzeit biometrische Daten wie die Schlafqualität oder den Pulsschlag der Angestellten beobachtet. Hat Mitarbeiter X in letzter Zeit wenig geschlafen? Geht Kollege Y spät ins Bett? Kommt Abteilungsleiter Z mit hohem Puls ins Büro? Das alles wird durch Wearables sichtbar. Und steuerbar. Frederick W. Taylor hätte es sich nicht besser vorstellen können. (5.11.2016)