Das Modell einer Wertschöpfungsabgabe ist wieder in Diskussion. Damit soll die Finanzierung des Sozialstaates, die Kritiker durch den technologischen Wandel gefährdet sehen, sichergestellt werden. Die Digitalisierung unserer Wirtschaftswelt, insbesondere der Industrie, wird gerne als Sündenbock herangezogen, geht es darum, die Ursachen für drohenden Arbeitsplatzverlust zu finden. Der selbststeuernde Roboter trage die Schuld, dass unser Sozialsystem in Zukunft nicht mehr zu finanzieren sei. Der Roboter? Weit gefehlt!

Natürlich ist es gerechtfertigt, über die künftige Aufrechterhaltung eines Sozialsystems nachzudenken. Allerdings wird bei dieser Diskussion nur ein Aspekt des Gesamtsystems herausgegriffen und damit letzten Endes die falsche Frage gestellt. "Woher bekomme ich mehr Geld zur Systemerhaltung?", ist ein grundlegend verkehrter Ansatz. Vielmehr muss die Frage lauten: "Wie kann ich die zur Verfügung stehenden Mittel mit größtmöglicher Effizienz und Treffsicherheit einsetzen?" – und damit den hohen Lebens- und Sozialstandard in Österreich bewahren.

Die Einbeziehung von Faktoren wie Abschreibungen und Zinsen in die Berechnungsgrundlage für diese Abgabe würde sich negativ auf Investitionen und Innovationen auswirken. Gerade diese sind für die Industrie in Österreich, einem Land mit hohen Sozial- und Umweltstandards und ohne nennenswerte Rohstoffe, von größter Bedeutung im internationalen Standortwettbewerb. Außerdem schafft die Wertschöpfungsabgabe durch Berechnung, Einhebung und Kontrolle mehr Bürokratie. Und auch das Argument, es handle sich bei der Wertschöpfungsabgabe nur um eine Umschichtung und keine Mehrbelastung, will der gelernte Österreicher nicht recht glauben. Solange im öffentlichen Bereich nicht reformiert und gespart wird, werden die Budgetlöcher immer zu Begehrlichkeiten nach Zusatzeinnahmen führen.

Die Abgabenquote ist in Österreich ohnedies signifikant höher als in Deutschland und der Schweiz und liegt auch über dem EU-Durchschnitt. Auch heilige Kühe wie der überzogene Föderalismus müssen geschlachtet werden, bevor es zu spät ist. Bereits Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war die Rede von der großen bevorstehenden Verwaltungsreform. Passiert ist freilich nichts, außer dass im Jahr 1995 mit der EU eine weitere Ebene hinzugekommen ist. Also Reform auf Österreichisch: statt weniger, noch mehr an Verwaltung.

Eine Wertschöpfungsabgabe ohne Strukturreformen und schon gar in einem österreichischen Alleingang ist im internationalen Standortwettbewerb das falsche Signal. Gerade im Zusammenhang mit der zunehmenden Digitalisierung würde diese Abgabe die besonders innovativen Unternehmen behindern und damit die Chancen, die die österreichische Industrie aus dem Thema Industrie 4.0 lukrieren kann, wieder einschränken. Im Übrigen hat jeder große Technologiewandel und jede industrielle Revolution zu einer Vermehrung des Wohlstandes geführt und das wird bei der Digitalisierung, wenn man sie nicht behindert, genauso sein.

Auch zur "Rettung des Pensionssystems" soll die Wertschöpfungsabgabe dienen, aber auch hier gilt, dass das Pensionssystem nur durch eine Reform zu retten ist: Wir Österreicher müssen in Summe länger im Erwerbsleben bleiben, unser Pensionsantritt muss sich an die steigende Lebenserwartung anpassen.

In der Diskussion über Industrie 4.0 und ihre Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt lohnt sich ein Blick auf jene Betriebe, die in den vergangenen Jahren intensiv in Digitalisierung investiert haben. Genau jene Unternehmen – viele davon Leitbetriebe der Elektro- und Elektronikindustrie, die dank ihrer visionären Unternehmensstrategie auch international erfolgreich sind – stocken ihre Belegschaft auf. Die Digitalisierung schafft Jobs, es werden nur teilweise andere sein als diejenigen, die wegfallen. Da muss mit Qualifikationsmaßnahmen vorgekehrt werden. Das Bildungssystem ist gefragt, das völlig neu gestaltet werden muss. Kein Unternehmen könnte sich einen so mangelhaften Return-on-Investment leisten wie unser Ausbildungssystem.

Arbeit wird uns nicht ausgehen: Das Industriewissenschaftliche Institut rechnet mit zusätzlichen 13.000 Beschäftigungsverhältnissen allein in unserer Branche. Ein weiterer Aspekt fällt in der Diskussion über die Arbeitslosenquote zumeist unter den Tisch: Trotz (oder gerade wegen) der massiven Entwicklungen in Richtung Automatisierung in den letzten zwanzig Jahren gibt es heute so viele unselbständig Beschäftigte wie noch nie in diesem Land. Und noch ein wichtiger Punkt: Die Digitalisierung der Industrie wird stattfinden, ob das der österreichischen Politik passt oder nicht. Man hat freilich dabei die alles entscheidende Wahl, ob man diese Entwicklung unterstützt und die sich daraus ergebenden Chancen nutzt oder ob man behindert und damit die Chancen verschläft.

Seit 160 Jahren steigt die Produktivität, dennoch sind mehr Menschen als je zuvor in Österreich beschäftigt. Unternehmen, die in Zukunftstechnologien investieren, können erfolgreich wirtschaften und Beschäftigung schaffen. Eine Wertschöpfungsabgabe, ohne Hausaufgaben zu erledigen, ist im internationalen Standortwettbewerb das falsche Signal. Ohne Investitionen in Industrie 4.0 bleibt die Produktion nicht in Europa. Und ohne Innovationen wird unser Wohlstand nicht aufrechtzuerhalten sein. (Lothar Roitner, 3.11.2016)