In manchen Gängen finden sich noch Hinweise auf eine Zeit, als die Bassena der beliebteste Treffpunkt im Haus war.

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Was sich hinter der Fassade von manchem Wiener Zinshaus verbirgt, ist wie ein Blick in eine längst vergangene Zeit: Das WC befindet sich am Gang und wird von mehreren Parteien im Haus geteilt, die Dusche befindet sich, wenn es sie überhaupt gibt, in der Küche.

Für manche Wiener ist das aber bis heute Alltag, wie auch eine Userdiskussion auf derStandard.at zu dem Thema vor kurzem zeigte: "In der Früh und am Abend gibt es oft Schlangen vorm Klo oder Rudelbildung am Gang, wenn jemand in der Küche in Ruhe duschen will", berichtete etwa User "Joplaya31".

11.000 solcher Substandardwohnungen gibt es in Wien laut Zahlen der Stadt noch. Das entspricht einem Prozent des Wohnungsgesamtbestandes. Tendenz sinkend. Hans Jörg Ulreich, Bauträgersprecher in der Wirtschaftskammer, glaubt das jedoch nicht: "Diese Zahlen hinterfrage ich massiv."

Er schätzt, dass es in Wien noch immer 40.000 bis 50.000 solcher Wohnungen gibt. Als Geschäftsführer der Ulreich Bauträger GmbH – spezialisiert auf Altbausanierung – würden ihm solche Kategorie-D-Wohnungen "laufend" unterkommen: "In welchem Elend Menschen in einer Stadt wie Wien hausen müssen, ist unglaublich."

Schwierige Bürokratie

Er berichtet von Menschen, die ihre Wohnung seit Jahrzehnten mit einem an eine Gasflasche angeschlossenen Gasherd heizen, die keine Wasserentnahmestelle in der Wohnung haben – und schon gar keine Dusche – oder die ihre vier Wände nicht verlassen können, weil sie im Rollstuhl sitzen und es keinen Lift gibt. "Das sind Menschen, die völlig alleingelassen werden", sagt Ulreich und spricht von einer "Zwei-Klassen-Wohnbaupolitik".

Für Gemeindewohnungen würden sich Betroffene nämlich oft nicht qualifizieren, für den sozialen Wohnbau würden ihnen die Eigenmittel fehlen. Obendrein seien viele von der Bürokratie überfordert. "Als Bauträger, der sich mit Sanierung beschäftigt, bräuchte man eigentlich Sozialarbeiter."

Rein technisch betrachtet wäre heute bei der Sanierung aber alles möglich: Ein Gründerzeithaus mit Substandardwohnungen kann laut Ulreich auf einen Niedrigstenergiestandard saniert werden – in der Theorie. Praktisch sei das aufgrund von gedeckelten Mieten und in Gründerzeitvierteln nicht erlaubten Lagezuschlägen aber nicht möglich: "Diese Vermieter sind keine Miethaie", betont Ulreich. "Das sind meist alte Leute, die mit weniger als einem Euro Miete pro Quadratmeter ihr Haus kaum erhalten können und die Bürokratie nicht schaffen. Ein solcher Vermieter kann seinen Bewohnern kein Bad einbauen."

Neuvermietung als Ausnahme

"Heute sind Substandardwohnungen keine relevante Größe mehr", meint hingegen Eugen Otto, Geschäftsführer von Otto Immobilien. Die meisten dieser Wohnungen seien schon seit 25 bis 30 Jahren belegt, erzählt er – vorrangig von Österreichern und Menschen aus Ex-Jugoslawien.

Am häufigsten kommen ihm solche Wohnungen im 14., 15., 16. und 17. Bezirk unter. "Und überall dort, wo sie verfügbar werden, wird in diesen Wohnungen der Standard angehoben", sagt Otto. Meist werden dabei Wohnungen zusammengelegt. "Dadurch sind Wien aber in den letzten Jahrzehnten hunderttausende kleine Wohnungen verlorengegangen", argumentiert Ulreich.

"Neuvermietungen von Wohnungen mit WC am Gang sind heute im Gegensatz zu vor zehn Jahren eher die Ausnahme", sagt Wolfgang Kirnbauer vom Mieterschutzverband. Einzig, wenn der Vermieter gerade nicht die Mittel für eine Sanierung hat, wird die Wohnung befristet vermietet. In solchen Fällen rät der Jurist zum Nachrechnen: "Die Miete ist dann oft überhöht. Aber da es keine gesonderte Strafe gibt, nimmt der Vermieter das Risiko der Rückzahlung in Kauf." Dass Vermieter eine Standardanhebung machen und den Mietern dann eine Mietzinserhöhung aufzwingen, sei rechtlich in der Regel nicht durchsetzbar und komme daher auch kaum vor.

Teure Haussanierung

Ein viel größeres Problem: Die Mieter würden mit einer Erhöhung des Hauptmietzinses aufgrund einer "vom Vermieter durchzuführenden, unmittelbar heranstehenden größeren Erhaltungsarbeit" (Paragraf 18 des MRG) eingedeckt – etwa aufgrund von in der Bauordnung vorgeschriebenen Wärmesanierungen. "Schlichtungsstellen errechnen da manchmal für Substandardwohnungen Mieten von 10 bis 15 Euro pro Quadratmeter, ohne dass in solchen Wohnungen auch nur irgendetwas verändert wird", erzählt Kirnbauer. Manche Hausbesitzer hätten sich darauf regelrecht "spezialisiert".

Ulreich versucht, Bewohnern solcher Wohnungen Alternativen in bereits sanierten Häusern im Bezirk anzubieten: "Man muss sich ihr Vertrauen aber erst erarbeiten", sagt er. "Denn viele können sich ein anderes Wohnen gar nicht mehr vorstellen." (Franziska Zoidl, 9.11.2016)