Mühlhausen in Thüringen lädt zu gemütlichen Spaziergängen in seiner orginal erhaltenen mitteralterlichen Kulisse ein. Hier wirkte der Lutherkritiker Thomas Müntzer.

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Das sanierte Lutherhaus in Eisenach (Thüringen).

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Die Lutherstube auf der Wartburg in Eisenach.

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Magneten mit dem Porträt Martin Luthers aus einem Cranach-Gemälde werden im Lutherhaus in Eisenach als Souvenir angeboten.

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Eine ungewöhnliche Konstruktion erwartet derzeit die Passanten auf dem Karlsplatz in Eisenach: Ein kleines rosa Haus thront auf einem Sockel, der offenbar Teil eines Denkmals ist. Gerüsttreppen führen in das Innere. Betritt man den Raum, prallt man mit einer gut drei Meter großen Bronzefigur zusammen, die in einem mit geblümter Wäsche überzogenen Bett steht: Martin Luther.

Unter dem Titel "In Bed With Martin Luther" hat der japanische Künstler Tatzu Nishi um das heroisierende Standbild aus dem 19. Jahrhundert eine Installation geschaffen, die den deutschen Theologen und Urheber der Reformation im Vorfeld des Jubiläumsjahrs 2017 – zumindest im Wortsinn – näherbringen soll (noch bis 17. Dezember zu sehen). "Die spinnen doch", kommentiert ein vorübergehender älterer Herr.

Vielschichtiges Bild

Es luthert allerorten kräftig in Thüringen. Hier und in den heutigen deutschen Bundesländern Sachsen und Sachsen-Anhalt hat er gelebt und gewirkt. Doch in ihrem Landstrich habe er seine Wurzeln, beharren die Thüringer.

Es ist ein vielschichtiges Bild, das zum Jubiläum "500 Jahre Reformation" geboten wird. Luther der Rebell, der Bibelübersetzer, der Kirchenspalter, der Judenhasser, der Bach-Inspirator. Kaum ein Thema wird im Freistaat ausgelassen. Was dankenswerterweise (soweit ersichtlich) fehlt, ist die Verklärung seiner Person und seiner Schriften, wie sie über Jahrhunderte erfolgte. Dafür treibt die Souvenirkultur Blüten: vom Playmobil-Manderl über Socken mit Luthersprüchen bis zum Tintenklecks-Kräuterlikör.

Erste deutsche Predigt

Doch ein Luther allein machte noch keine Reformation aus, deren Auslöser die ausufernde Praxis des Ablasshandels der römischen Amtskirche war. Da gab es welche vor, mit und nach ihm. Zum Beispiel Thomas Müntzer, Zeitgenosse und der Prediger, der in Mühlhausen den ersten Gottesdienst in deutscher Sprache hielt. Abseits der bekannten Lutherpfade lohnt sich daher ein Abstecher in den nördlich von Eisenach gelegenen Ort.

Wenn er auch nicht mehr jene Popularität besitzt wie zu DDR-Zeiten – was in dem mittelalterlichen, von schweren Bombardements im Zweiten Weltkrieg weitgehend verschont gebliebenen Fachwerkstädtchen mit seinen vielen Kirchen über Müntzer und seine Geschichte zu erfahren ist, zeigt eine andere Facette der Reformation.

Alternative Reformationskonzepten

Anfangs ein Bewunderer Luthers, kam es zum Bruch, da Müntzer, der in der Mühlhauser Marienkirche predigte, nicht nur eine Reformierung der Kirche, sondern auch eine Umwälzung der politischen Verhältnisse anstrebte. Als Müntzer sich an die Spitze des Thüringer Bauernaufstands stellt, wettert der obrigkeitstreue Luther: "(…) man soll sie zerschmeißen, würgen, stechen, heimlich und öffentlich, wer da kann, wie man einen tollen Hund erschlagen muss."

Die am 31. Oktober eröffnete Ausstellung "Luthers ungeliebte Brüder" im Bauernkriegsmuseum in der Kornmarktkirche setzt sich mit Müntzers und anderen alternativen Reformationskonzepten auseinander.

Ein ebenso lohnender Ausflug abseits des Luther-Tourismustrubels ist das etwa 50 Kilometer von Mühlhausen entfernte Bad Frankenhausen. Mitte Mai 1525 standen hier 8.000 mit Dreschflegeln und Spießen ausgestattete Bauern und Bergknappen einem 6.000 Mann starken Fürstenheer aus mit Hellebarden und Schwertern bewaffneten Landsknechten und Reitern gegenüber. Ein blutiger Kampf, bei dem mehr als drei Viertel der Bauern ihr Leben verloren. Müntzer wurde gefangen genommen und wenig später enthauptet.

Panorama der Menschheit

Der Künstler Werner Tübke unterlief den Auftrag der DDR-Regierung, den Bauernaufstand in einem Monumentalbild als "frühbürgerliche Revolution in Deutschland" umzusetzen. Stattdessen schuf er in dem heute auch als "Sixtinische Kapelle des Nordens" bezeichneten Panoramamuseum oberhalb der Kyffhäuserstadt ein Werk (14 Meter Höhe, 123 Meter Umfang), das mit den Grundthemen der Menschheit wie Liebe, Hass, Gewalt und Unmoral konfrontiert und keinen Betrachter unberührt lässt.

Doch, um es mit Luther zu sagen: Es ist besser, mit eigenen Augen zu sehen als mit fremden. (Karin Tzschentke, 9.11.2016)