Einst rauchte und pfauchte es in Dolní Vítkovice in Mährisch-Ostrau, heute rosten die Industrieanlagen vor sich hin und sind nur noch Kulisse für Festivals und Museen.

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Der renovierte Gasspeicher in Dolní Vítkovice.

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Eine Kohlenmine in Katowice.

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Das Schlesische Museum in Katowice: Standort ist das Gelände der ehemaligen "Zeche Katowice".

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Der Wind bläst kalt in 78 Metern Höhe, der Himmel ist grau und wolkenverhangen, aber für ein paar Sekunden kommt die Sonne raus. Auch Industrieruinen wie die in Dolní Vítkovice unweit der mährischen Stadt Ostrava können in rötlich-bronzenem Glanz erstrahlen und die alten Schlote, Hallen und Lager in ein dramatisches Licht tauchen. Eine insgesamt recht geometrisch wirkende Umgebung, von Ingenieuren am Reißbrett entworfen.

"In den Vítkovicer Eisenhütten haben in den besten Zeiten 40.000 Menschen gearbeitet", sagt Fremdenführerin Irena, und aktuell befinde man sich auf dem Hochofen, dort wo jahrzehntelang bei 1.200 Grad Eisenerz aus dem Stein geschmolzen wurde, und die Arbeiter bei rund 60 Grad arbeiteten und das flüssige Erz in "Veronika" abfüllten. Veronika nannten die Arbeiter den pechschwarzen Eisenbahnwaggon, der immer noch furchterregend aussieht und jetzt am Fuße des erkalteten Hochofens parkt – für immer.

Aufstieg und Fall

Um ehrlich zu sein: Ostrava ist keine liebliche Gegend. Seiner Rohstoffe beraubt, ausgeblutet und dann links liegen gelassen: So ungefähr könnten die letzten 200 Jahre nicht nur hier, sondern auch in ganz Schlesien zusammengefasst werden. Pech oder Glück dieses Landstrichs waren die riesigen Kohlereserven in der Erde. Die ersten Minen der Gegend wurden Anfang des 19. Jahrhunderts von den lokal ansässigen Adelsfamilien gegründet, die Rudolfshütte in Vítkovice wurde 1870 von der Familie Rothschild übernommen und zum Epizentrum der industriellen Revolution ausgebaut. Tausende Männer fanden hier Arbeit.

Mährisch-Ostrau sei eine boomende, multikulturelle Stadt mit vielen Theatern, Cafés und Bars, wird Stadtführer Petr später beim Spaziergang durch Ostrava stolz erzählen. Er zeigt auch das alte Planetarium, das in der industriellen Hochzeit geschlossen wurde, weil man durch die verschmutzte Luft die Sterne nicht mehr sehen konnte.

Schmutzige Vergangenheit

Mit dem Zweiten Weltkrieg kam schließlich die Arisierung, und die Anlage wurde in "Reichswerke Hermann Göring" umbenannt, von Ostrau aus wurde die Waffenproduktion forciert. Nach Kriegsende kamen die Hütten in tschechoslowakischen Staatsbesitz und wurden 1988 wegen Unrentabilität geschlossen – Vítkovice ist heute ein Kulturzentrum, Veranstaltungsort für Muskifestivals und Museum. Für alle, die das Geschäft mit der Energie aus Kohle, dem Erz als Fortschrittsmotor und den Errungenschaften daraus nicht so ganz präsent haben, gibt es Nachhilfe im Science Center (in dem alle interaktiven Stationen tatsächlich auch funktionieren!). Hier wird von Magnetismus bis zur Wasserstoffbombe alles ganz wunderbar erklärt – auf Vorbestellung auch auf Deutsch.

Was von der Industriellen Revolution übrig blieb? Einige wenige Betriebe hat der indische Stahlmulti Arcelor Mittal übernommen, Hyundai produziert Autoteile in Ostrava, und deshalb gibt es auch eine englische Schule, sagt Petr. "Früher war der Fluss Ostrava eine braune Brühe, heute schwimmen wir drinnen", sagt er und schwärmt von den vielen neuen Restaurants und der berühmten Ausgehmeile in seiner immergrünen Stadt. Immergrün? Ja, weil der Stadtberg eine Halde für die Kohleschlacke der vergangenen Jahrhunderte ist, die Emma heißt und bis heute Wärme abstrahlt, deshalb sei auch im Winter das Gras dort grün.

Dass der Zug zwischen Ostrava und Katowice ziemlich langsam fährt, hat einen Grund. Überall in Mähren und Schlesien gab es Kohlebergwerke, der Boden ist ausgehöhlt und deshalb gibt es keine Hochgeschwindigkeitstrassen, sie würden so wie einige Häuser hier einfach einbrechen. Wer sich von der menschlichen Maulwurfnatur überzeugen will, fährt ins schlesische Zabrze, unweit der Industriestadt Katowice.

Unter Tage

Früher gab es in der Region 70 Kohleminen, heute sind es nur mehr elf. Eines der stillgelegten Bergwerke in Zabrze heißt Guido und ist ein Erlebnispark für Bergwerkinteressierte. Mit dem originalen Lift geht es 380 Meter in die Tiefe. Das alles wird noch so gesteuert wie seinerzeit, und zwar mit einer Glocke. Wer in der bimmelnden Halle auf den Lift wartet, tut es mit polnischen Schulkindern. "Wir sind stolz auf die Mine, sie ist unser kulturelles Erbe", sagt die hübsche Karolina, deren Vater noch in der Mine gearbeitet hat und allen in der Gruppe das obligatorische "Szczęść Boże" (sprich: schtschenschtsch bosche, Glück auf!) beibringen will – fürs authentische Erleben. Nur die Kinder finden das gut.

Zwei Stunden lang wird Karolina Maschinen erklären. Da werden hämmernde Ungetüme eingeschaltet und klappernde Förderbänder in Bewegung gesetzt. Das ist laut. Und ja, damals sei es auch sehr staubig gewesen, "viele Bergleute sind an Staublungen gestorben, als Helden", betont sie lächelnd und lotst die Gruppe durch die Schächte zu einer Hängeseilbahn, die in der Bergwerkskantine endet. "Sauerbraten mit Knödel in 380 Metern Tiefe, das gibt es nur bei uns", sagt sie. Die Mine Guido sei bei der Bevölkerung auch ein beliebter Ort für Hochzeiten, schwärmt sie, und sie kann es sich auch selbst ganz gut vorstellen, dort den Bund der Ehe zu beschließen. Ihrem Vater würde es gefallen, wenn die Tochter diese Bergmannstradition fortsetzt.

Wechselhafte Geschichte

Mateusz in Katowice spricht lieber über die Zukunft und die Digitalisierung, die in Katowice Einzug gehalten hat und Hochhäuser aus dem Boden hat schießen lassen. Mateusz lebt gern hier, es ist eine moderne leistbare Stadt, sagt er, und wenn die Intergame, ein Event für Gamer, stattfindet und in der Spodek-Arena tausende Zuschauer den weltbesten Gamern beim "World of Warcraft"-Spielen zusehen, dann fühle er sich mit seinen 28 Jahren auch schon ein bisschen alt, gesteht er.

Die Spodek-Arena auf dem ehemaligen Bergbaugelände sieht aus wie ein Ufo, das eben gelandet ist. Nur wenige rote Backsteinbauten von damals sind hier in Katowice übrig geblieben, und wenn, dann als Dekoration. Zum Beispiel am Eingang des Schlesischen Museums, das die wechselhafte Geschichte dieses Landstrichs dokumentiert. Einst preußisch, dann russisch, dazwischen exterritorial und jetzt polnisch.

Aufbruchsstimmung

Mateusz versteht sich als Schlesier und ist froh, dass er auf seinem Mobiltelefon die Sprache "silesian" einstellen kann. Schlesisch ist ein Ethnolekt, lernt man im Museum, und mit der Digitalisierung, meint er, reden viele hier immer öfter und offener über die Unabhängigkeit von Schlesien. Industrie habe man auch, Fiat produziert Autos in Katowice.

Mateusz jedenfalls fühlt Aufbruchsstimmung, gerade auch unlängst in der neu gebauten Konzerthalle von Katowice bei einem Klavierabend. Er war mit der Freundin dort, "eine fantastische Akustik, Spezialisten aus Japan haben den Saal gebaut", schwärmt er. Kunst sei besser als Kohle, sie bringt heute mehr Geld. (Karin Pollack, 6.11.2016)