Peter Zacherl arbeitet in der Fabrik. Sein Arbeitszimmer hat sich der 72-jährige Architekt im ehemaligen Großraumbüro der Zacherlfabrik eingerichtet – am Firmensitz seiner Ahnen. Wenn man ihn fragt, warum, kann der sonst wortgewandte Mann auch nur das Offenkundige sagen: "Ich find's ein herrliches Ambiente."

In bester Wohngegend in Wien-Döbling steht seit mehr als hundert Jahren ein Gebäude, das wie eine Moschee aussieht, aber nie eine gewesen ist – auch wenn die Botschaft von Pakistan nur zwei Straßen weiter, in der Hofzeile, liegt. Das orientalisch anmutende Backsteinhaus in der Nusswaldgasse war vielmehr die Mottenpulverfabrik der Unternehmerfamilie Zacherl, kurz: die Zacherlfabrik.

Zacherlin statt Muezzin

Das denkmalgeschützte Bauwerk ist heute vielen Wienern ein liebgewordenes Industriemonument. Die Kuppel und die bunte Häuserfront sind mit gebrannter Keramik der Firma Zsolnay im heutigen Pécs in Ungarn geschmückt. Zwei kleine Minarette ragen in den Döblinger Himmel.

Die Firmengeschichte beginnt mit Johann Zacherl (1814-1888), einem gelernten Zinngießer. Bei seinen Reisen bis nach Tiflis merkte er, dass sich die Blüten einer Chrysanthemen-Art zu einem effizienten Mottenpulver vermahlen lassen. Der Wirkstoff Pyrethrum erwies sich als blühende Geschäftsidee. "Das Produkt war ein Renner", sagt Peter Zacherl über das Patent seines Urgroßvaters.

Geschäftstüchtig pries Johann Zacherl seine Ware, obwohl der Rohstoff in Georgien gewonnen wurde, nicht als kaukasisches, sondern als "echtes persisches Pulver" an. Das beflügelte die Fantasie der armen Leute in der Monarchie, die mit Motten, Wanzen und Flöhen zu kämpfen hatten. Auch dagegen half das "Zacherlin", so der Name des Insektenvertilgungsmittels.

Zwei kleine Minarette ragen in der Nusswaldgasse in den Döblinger Himmel.
Foto: Kapeller

Die Gestaltung der Zacherlfabrik verdankt sich der orientalisch aufgeladenen Marke des Mottenpulvers. Johann Zacherl hat die Fertigstellung Ende des 19. Jahrhunderts nicht mehr erlebt. Als Bronzefigur in Tscherkessen-Kluft steht er aber heute noch im Stiegenhaus des Bürotraktes. Sein Sohn Johann Evangelist Zacherl beauftragte den Architekten Hugo von Wiedenfeld mit dem Wiener Firmensitz in orientalischem Stil.

Vorbild: Moschee von Isfahan

Die Architektur sei auch eine Marketingstrategie gewesen, sagt sein Enkel heute. Auf dem Grundstück stand bis 1860 ein kleines Winzerhaus, dieses wich Hallen und Wirtschaftsgebäuden, und schließlich entstand ein Bürogebäude, das anfangs bloß als schlichter Backsteinquader gedacht war. "Das war meinem Großvater sichtlich zu fad", sagt Peter Zacherl, "und er hat 1892 bis 1893 dieses Gebäude, dem man in der neuen Planung ein orientalisches Gewand übergezogen hat, errichten lassen".

Das Vorbild des Bauwerks hat Markus Ritter, Professor für Islamische Kunstgeschichte an der Universität Wien, aufgedeckt. Es sei die große Moschee von Isfahan im damaligen Persien. Der französische Architekt Pascal Coste (1787-1879) habe diese in einem Buch abgebildet. Allerdings habe Coste, wie Ritter ausführte, die Schriftzeichen auf den Minaretten versehentlich anders gezeichnet als auf der Originalmoschee. In Döbling sehen die Schriftzeichen aber aus wie in Costes Illustration, nicht wie in der persischen Wirklichkeit. Die Zacherlfabrik entstand also nach Vorbild der Illustration.

Im Innenhof des Zacherl-Grundstücks steht ein Wasserturm, nach ägyptischem Vorbild errichtet.
Foto: Kapeller

Der Wasserturm im Innenhof ist wiederum jenem des ägyptischen Pavillons der Wiener Weltausstellung von 1873 nachempfunden, die Anlage gleichsam ein arabisch-persisches Potpourri.

Die Zacherlfabrik war nicht nur Produktionsstätte, sondern auch Service-Betrieb. Die Wiener schickten ihre Teppiche, Mäntel und Pelze zum Reinigen, natürlich auch mit "Zacherlin".
Foto: Archiv Peter Zacherl

1918, mit dem Ende des k. u. k. Reichs, ging es auch mit dem Boom des in Flascherln abgefüllten Zacherlins bergab. Der Markt war ungleich kleiner geworden.

Die große Fabrikhalle brannte 1945 teilweise ab, seitdem ist sie einen Stock niedriger.
Foto: Kapeller

Später wurden in der Zacherlfabrik auch Skibindungen und Thermosflaschen produziert. Das obere Stockwerk der großen Fabrikhalle brannte Ende des Zweiten Weltkriegs ab, der untere Teil wurde mit einem neuen Dach versehen. Seitdem ist die Halle ein Stockwerk niedriger.

Attraktives Grundstück

Peter Zacherl hat in den ehemaligen Büro- und Wirtschaftstrakten zwei Handvoll Ateliers für Zeichner, Maler und Bildhauer zur Verfügung gestellt. Auch einen Komponisten, ein Fotostudio und eine Restaurierwerkstatt beherbergt er. Zwei Hallen und einen beheizbaren Raum hat er freigehalten, etwa für Filmdrehs, Fotoshootings und Theaterproben.

Von 2006 bis 2013 fanden auch Konzerte und Ausstellungen statt. Michael Kienzer, Brigitte Kowanz, Tobias Pils oder Esther Stocker schufen Werke für die große Halle. 2013 erhielt Zacherl Post vom Magistrat, dass er die baulichen Auflagen für Veranstaltungen nicht erfülle. Die Umbauten hätten die finanziellen Möglichkeiten des Eigentümers überstiegen.

Architekt Peter Zacherl schafft Platz für Künstler.
Foto: Kapeller

Anfragen von Investoren, die ihm das Industriedenkmal samt Grundstück abkaufen wollen, gebe es immer wieder, sagt Zacherl. Das liege weniger an der Zacherlfabrik selbst, sondern daran, dass der Garten mit seinen alten Eiben, Ahornen und Obstbäumen teilweise Baugrund ist. "Inzwischen sind die Anfragen relativ dünn geworden. Es hat sich herumgesprochen, dass ich weder vorhabe, es zu verkaufen, noch vollbauen zu lassen." (Lukas Kapeller, 5.11.2016)