Verarbeitete Kriegserfahrung, Produktion "Under the Flesh".

Foto: Maqamat

Wien – Wenn Samah Tarabax zum ersten Mal auf die Trommel haut, kommt das so überraschend, dass es das Publikum beinahe von den Sesseln reißt. Wie beim Einschlag einer Bombe. Und tatsächlich geht es in dem Stück Under the Flesh des libanesischen Choreografen Bassam Abou Diab genau darum. Die kleinformatige Arbeit war am Wochenende im ersten Teil des brisanten Tanzquartier-Festivals out of b/order zu sehen, das ab 17. November fortgesetzt wird.

Abou Diab ist ein Mann mit einschlägiger Erfahrung seit dem Siebentagekrieg 1993. Mit fatalistischem Witz erzählt er und zeigen er und Tarabax, wie hilflos Menschen den verheerenden Wirkungen moderner Waffentechnologie ausgeliefert sind. Ob nun der amerikanischen Mk-84 oder etwa einer CBU-104-Clusterbombe – Abou Diab hat für die Begegnung mit diesen Knallern eine Lösung: auf dem Boden rollen, mit einem geflochtenen Band wedeln, mit folklorischem Stolz dastehen. Nicht weniger plastisch ist der Humor von Lina Majdalanie in ihrem Lecture-Solo Appendice.

Da berichtet die vor ihrer Namensänderung als Lina Saneh auch in Wien bekannt gewordene Performerin, wie sie ihren Körper nach dessen Ableben einäschern lassen will. In ihrer Heimat Libanon ist Kremation allerdings verboten. Daher wälzt sie Pläne, wie ihr Körper zu Lebzeiten stückweise amputiert werden könnte, denn Einzelteile dürfen verbrannt werden. Majdalanie zielt auf die Rechte des Individuums, was sich bestens mit der Regulierungswut unserer europäischen Kontrollgesellschaft verbindet.

Politische Körper

In beiden Arbeiten wird politische und gesellschaftliche Realität über ironisierte Körperdiskurse vermittelt. Das trifft auch schon den Punkt des Festivals. Denn beim heutigen Tanz steht die Ausleuchtung der menschlichen Leiblichkeit im Mittelpunkt künstlerischen Interesses, vor allem in Bezug darauf, wie mit dem Körper politisch und wirtschaftlich verfahren wird.

Danya Hammoud, ebenfalls aus dem Libanon, und die algerischstämmige Französin Nacera Belaza nehmen diese Analyse des Leiblichen aus der Perspektive der nonverbalen tänzerischen Choreografie vor. Hammoud, die sich vor einem Jahr im Tanzquartier mit ihrem Solo Mahalli vorgestellt hatte, lieferte jetzt in der TQW-Halle G ein grandioses Duett ab: Il y a longtemps que je n'ai pas été aussi calme. So ruhig war es schon lange nicht mehr auf einer Tanzbühne. Entsprechend radikal kommt diese Arbeit über die Bühne. Nicht etwa in der vibrierenden Nüchternheit von Eszter Salamon und Christine De Smedt in "Dance #1 / Driftworks beim Steirischen Herbst 2008, sondern mit einer so unheimlichen wie magischen Atmosphäre, in der man eine Stecknadel hätte fallen hören können.

Es ist wie die Stille im Auge eines Hurrikans. Zusammen mit der katalanischen Tänzerin Carme Torrent macht Hammoud das Verharren des Bedrohlichen nach seinem Abzug und vor seiner Wiederkehr spürbar.

Nacera Belaza dagegen gießt das Trauma des Krieges in einen düsteren Wirbel aus musikalischer und körperlicher Bewegung, der an Lucinda Childs' berühmtes Stück Dance erinnert. Hammoud und Belaza zeigen nicht nur gelungene Stücke. Sie öffnen auch ein neues Kapitel im Tanz. (Helmut Ploebst, 6.11.2016)