Die Entgeltkontrolle für Arbeitnehmer, etwa auf Baustellen, war eine gut gemeinte Idee. Die Folgen sind für viele Unternehmen problematisch.

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Wien – Seit 2011 kennt Österreich strenge Regelungen der Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfung. Grob gesprochen wird dadurch jede Arbeit im Inland dem auch sonst im Inland geltenden Mindestentgelt unterworfen, auch wenn sie nur sehr kurzfristig ist. Dieses strikte "Arbeitsortprinzip" soll die inländischen Arbeitnehmer und Unternehmer gegen ausländische Niedriglohnkonkurrenz schützen.

Das Arbeitsortprinzip einzuführen erschien gerechtfertigt: Das Lohngefälle zu den neuen Beitrittsländern ist hoch. Und die EU hat das grundsätzlich erlaubt, im Baubereich sogar angeordnet. Dennoch sorgen diese Regeln in der Unternehmerschaft für viel Unmut. Wieso?

Im Wesentlichen aus drei Gründen: Erstens, nur auf die Grundlöhne abzuzielen genügte nicht, auch Zuschläge und Ähnliches sind wichtig. Daher wurde ab 2015 das gesamte Entgelt verpflichtend.

Zweitens, den ausländischen Arbeitnehmern für ihren vorübergehenden Inlandseinsatz nur arbeitsrechtliche, also private Ansprüche einzuräumen reichte nicht. Was fehlte, wäre die systematische Rechtsdurchsetzung, allein oder durch Verbände. Daher griff man zur staatlichen Entgeltkontrolle: Bei Regelverstoß drohen hohe Verwaltungsstrafen.

Drittens, eine Strafdrohung nur für ausländische Arbeitgeber wäre unionsrechtlich unzulässig. Also musste man die Nichteinhaltung zwingender Entgeltregeln ganz generell für alle inländischen Arbeitgeber unter Strafe stellen. Um ein bis zwei Prozent der im Inland geleisteten Arbeitsstunden abzusichern, nämlich die aus grenzüberschreitenden Sachverhalten, werden nun alle hundert Prozent verwaltungsstrafrechtlich abgesichert.

Viele verschiedene Kollektivverträge

Für die Arbeitnehmer-Interessenvertretungen ist die staatliche Entgeltkontrolle willkommen. Für manche Unternehmer sind die neuen Regeln – sofern effektiv – ein (über)lebenswichtiger Schutz gegen Billigkonkurrenz aus dem nahen Ausland. Für manche – oder sogar viele – Unternehmer ist auch der nun im Inland verstärkte Schutz gegen Lohndumping durch Konkurrenten positiv: Nur die schwarzen Schafe sollten sich vor den neuen Strafen fürchten.

Doch so einfach ist das nicht: Anders als in Deutschland, wo ein klarer staatlicher Mindeststundenlohn für jede Arbeit auf deutschem Boden gilt (und durch Strafdrohung abgesichert ist), wurde in Österreich die Verletzung jeglicher kollektivvertraglicher oder gesetzlicher Entgeltbestimmungen unter Strafe gestellt.

Das sind sehr viele teils sehr komplizierte Regeln in vielen verschiedenen Kollektivverträgen – wenn man einmal den richtigen anzuwendenden Kollektivvertrag gefunden hat. Und die Bestimmungen, was genau unter Strafe steht, sind noch einmal komplex.

Gefühl der Erpressbarkeit

Viele Unternehmer haben nun Sorge, dass jeder strafbedroht ist, weil bei der Kollektivvertragsanwendung jeder "einmal etwas falsch machen kann". Es besteht ein banges Gefühl der Erpressbarkeit. Der Verband Druck & Medientechnik, ein Arbeitgeberverband, dessen Kollektivvertrag für branchenverbindlich erklärt ("gesatzt") worden war, hat sogar seine Kompetenz zum Kollektivvertragsabschluss durch Statutenänderung beseitigt, um seinen Kollektivvertrag rechtlich zu Fall zu bringen: Man könne es angesichts der überaus komplizierten Entgeltregelungen nicht verantworten, dass Mitgliedsunternehmen bei falscher Anwendung hohe Strafen drohen.

Diese Sorgen sind nicht unberechtigt. Die Verletzung von täglich anzuwendenden höchst komplizierten privatrechtlichen Regeln – und das waren die arbeitsrechtlichen Entgeltbestimmungen bisher – breit unter Verwaltungsstrafe zu stellen ist ein rechtsstaatliches Novum und Experiment.

Entschuldigungsgründe gibt es in der Praxis nicht – insbesondere ist es nicht der Hinweis, man habe eine vertretbare Rechtsansicht eingenommen. Solange das (arbeitsrechtlich meist unerfahrene) Verwaltungsgericht anderer Ansicht ist, wird man in zweiter Instanz bestraft. Will ein Arbeitgeber der Strafe entgehen, müsste er von vornherein in jeder Zweifelsfrage das höhere Entgelt bezahlen. Das kann so nicht stimmen.

Strafe für Einzelpersonen

Dazu kommt: Es werden nicht Unternehmen bestraft, sondern nur Einzelpersonen – also leitende Angestellte; die Mindeststrafe orientiert sich aber in Theorie und Praxis am Unternehmensnutzen. Für einzelne Manager können die Strafen existenzgefährdend sein. Gleichzeitig gibt es andere Behörden (konkret die FMA), die die rechtliche Möglichkeit der Strafübernahme durch das Unternehmen infrage stellen.

Auch verschiedene EU-rechtliche Bedenken werden erhoben: Gebotene Ausnahmen für wenig bedeutsame und kurzfristige grenzüberschreitende Einsätze fehlen. Vor allem aber versucht der österreichische Gesetzgeber bei den grenzüberschreitenden Einsätzen die "Überlassungen" (dafür gelten strengere Regeln als für sonstige Entsendungen) möglichst weit, und jedenfalls weiter als das EU-Recht, zu verstehen.

Inländische Unternehmen, die im Inland Dienstleistungen eines ausländischen Unternehmens beziehen, stehen damit in Gefahr als "Beschäftiger" der ausführenden Arbeitnehmer bezeichnet zu werden, mit erweiterten Pflichten und neuerlichen Strafdrohungen. Und ganz allgemein wird gefragt, ob all diese Regeln nicht so intransparent sind, dass sie schon deshalb grenzüberschreitende Dienstleistungen – die ja unter dem unionsrechtlichen Grundfreiheitenschutz stehen – behindern.

Zurückhaltung wäre geboten

Eine gut gemeinte Idee wurde so zu einem großflächigen Minenfeld. Gibt es einen Ausweg? Bei der bestehenden Gesetzeslage nur mit erheblicher Anstrengung. Zurückhaltende Auslegung des Überlassungsbegriffs und der Strafbestimmungen durch die Behörden wäre geboten. Eine Anerkennung der vertretbaren Rechtsansicht als Entschuldigungsgrund in Zweifelsfragen der Auslegung würde helfen; hier ist der Verwaltungsgerichtshof als Höchstgericht aufgerufen. Beides ist nicht abzusehen.

Fazit: Das Unternehmerrisiko hat in Österreich eine zusätzliche unangenehme rechtliche Facette bekommen. (Karin Buzanich-Sommeregger Stefan Köck, 8.11.2016)