Das Ende der Stellenbeschreibung – und damit das Ende des Headhuntings? Jedenfalls das Ende der mehrheitlichen Langzeitbeschäftigung, sagt Personalberater Günther Tengel.

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STANDARD: Die Spielregeln in der Personalsuche haben sich gewaltig geändert. Eine große Spaltung ist da – sehr viele, die jetzt schon nicht mehr gebraucht werden, und wenige Gesuchte, die kaum gefunden werden können. Was bedeutet das für Personalberater, für Stellenausschreibungen?

Tengel: Wir suchen heute noch Mitarbeiter bis hin zum CEO anhand von Stellenbeschreibungen. Das ist ein Paradoxon: Die Zukunft ist unsicher, aber alle Stellenbeschreibungen, die wir bekommen, scheinen extrem sicher zu sein, in jedem Fall exakt formuliert. Ich erwarte, dass wir in ein paar Jahren kaum noch Stellenbeschreibungen haben werden. Stellenbeschreibungen, wie wir sie kennen, werden verschwinden.

STANDARD: Weil jeder alles ganz flexibel kann und der Rest extern und kostenschonend zugekauft wird und fix gar niemand mehr geheuert wird?

Tengel: Vor allem, weil der notwendige Teamzugang so nicht erfasst werden kann. Es geht immer weniger um Einzelpersonen – oder eine Ansammlung von Einzelpersonen. Es wird Teams über Unternehmensgrenzen hinweg geben, Teams, die konkurrieren und kooperieren, Teams, in denen fix Angestellte mit Selbstständigen, Projektleuten, Interimsmitarbeitern arbeiten. Diese Teams werden sehr wahrscheinlich auch den Aufgaben gemäß permanent angepasst nach Kompetenz, Alter, Struktur, Diversitätsnotwendigkeit. Was nützt denn die exakteste Stellenbeschreibung, wenn ich gar nicht definieren kann, was dieses Team, was diese Leute in zwei, drei Jahren wirklich machen werden und sollen? Perfekte Kandidaten gibt es – bekanntlich – auch immer weniger.

STANDARD: Das Ende des Headhuntings?

Tengel: Im Gegenteil: Human Resources wird ganz anders mit Headhuntern kooperieren. Ein Teil der Human Resources wird hauptsächlich Datenanalyse betreiben, ein anderer wird Coachingfunktionen übernehmen. Netzwerke werden aufgebaut werden, damit Talente nicht verschwinden, es wird aktives Abwerben und aktives Abstoßen als Dauerzustand eintreten. Was ja jetzt schon Faktum ist: Unternehmen bewerben sich bei Talenten, nicht umgekehrt.

STANDARD: Welche Veränderung geht wirklich von den Start-ups aus?

Tengel: Im Arbeitsmarkt werden sie nichts Wesentliches ändern – sie werden in naher Zukunft dafür zu wenige Menschen beschäftigen. Aber sie haben dort wesentlichen Einfluss, wo sie mithelfen, Digitalisierung in mittlere und große Unternehmen zu bringen, und damit dazu beitragen, dass diese fitter für den globalen Wettbewerb werden. Technologie-Start-ups sind global aufgezogen.

STANDARD: Die neue Welt der Personalarbeit, des Managens und Führens? Das heißt, Sie glauben an evolutionäre Weiterentwicklung, Sie erwarten nicht, dass die bekannten Strukturen völlig brechen, dass es kippt?

Tengel: Human Resources und Talent-Management werden immer noch unterschätzt – und werden überhaupt nicht unter den Risiko-Aspekten betrachtet. Die großen Veränderungen kommen natürlich – unter großen Schmerzen. Und irgendwann wird das System kippen – spätestens wenn die übernächste Generation, die ausschließlich in der digitalisierten Welt aufgewachsen ist, übernimmt. Heute sind vier Generationen in den Unternehmen, die "Macht" liegt klar bei denen, die mit den zentralen Themen der Digitalisierung sehr wenig zu tun haben, keine Erfahrung haben. Die Generation der jetzt Zehn- bis 15-Jährigen wird unsere Eckpfeiler (Disziplin, Leistung, Gehorsam) so nicht akzeptieren – wie wir leben, denken, arbeiten, wird sich radikal ändern.

STANDARD: Wir haben jetzt schon über 400.000 Arbeitslose – zigtausende Junge, die sich nicht einfädeln können in die Arbeitswelt ...

Tengel: Ja. Wir tun gut daran, diese Veränderungsprozesse zu begleiten, zu steuern – vor allem gesellschaftspolitisch. Die sogenannte Mitte wird ja auch aufgeräumt – einerseits spielt Technologie eine wesentliche Rolle, andererseits mangelt es stark an den sogenannten Social Skills, an Beziehungsfähigkeit. Dass sowohl Selbstständigkeit als auch befristete Arbeitsverhältnisse extrem zunehmen, die Langzeitbeschäftigung rapide sinkt – Studien, die ich kenne, gehen von rund 30 bis 40 Prozent Langfriststellen 2025 aus -, ist auch deutlich zu sehen.

STANDARD: Und Kompetenzen sind schnell obsolet ...

Tengel: Potenzial wird wichtiger als Kompetenz.

STANDARD: Stellvertretend für moderne Personalmanager also die Frage: Worauf kommt es an?

Tengel: Auf Motivation, Neugier, Scharfblick, Engagement und Zielstrebigkeit. Motivation ist das Wichtigste. (Karin Bauer, 7.11.2016)