Ja, auch das ist eine Rolex, und zwar eine ganz spezielle. Denn Popeye hat nicht jeder auf dem Zifferblatt seiner "Yacht Master".

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Das Astrolabium auf der Rückseite der "Portugieser Sidérale Scafusia" von IWC kann personalisiert werden.

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Die "Referenz 57260" von Vacheron Constantin ist die komplizierteste Uhr der Welt. Sie wurde einem Sammler auf den Leib geschneidert.

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Ein klingendes Beispiel für eine Auftragsuhr ist die "Minute Repeater Tourbillon GMT" von Panerei

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George Bamford konnte es kaum fassen. Zum Geburtstag hatte er von seinen Eltern eine klassische Rolex "Daytona" mit schwarzem Zifferblatt bekommen und war mächtig stolz auf diesen "Heiligen Gral" an seinem Handgelenk. Bis zu jener denkwürdigen Dinnerparty, als der Spross eines schwerreichen englischen Unternehmers – sein Vater, Lord Anthony Bamford, steht dem Baumaschinenkonzern JCB vor – feststellen musste, dass sein "Gral" doch nur ein profanes Gefäß ist: Alle trugen die gleiche Uhr. "Etwas, das ich für den Höhepunkt gehalten hatte, erwies sich als relativ normal", erinnert er sich.

Noch am selben Abend, schildert der damals als Auto- und Modefotograf tätige Bamford, sei ihm die Idee gekommen, Rolex-Modelle zu individualisieren. Mit einem Materialspezialisten von JCB entwickelte er eine schwarze Ummantelung, die er auf eine "Submariner" auftrug, um sie optisch zu etwas Besonderem zu machen. Zufrieden mit dem Ergebnis ging er auf Urlaub. Als er zurückkam, hatte er 25 Bestellungen – und eine Geschäftsidee: Das Bamford Watch Department (BWD) war geboren. "Not" macht eben erfinderisch. Und erfolgreich.

Uhrentuning

Seit seiner Gründung 2003 hat das Unternehmen verschiedene Produktlinien entwickelt. Motive aus Star Wars, die Peanuts und andere Comic-Helden wie Popeye fanden bereits ihren Weg auf die eine oder andere Rolex. Aber auch Zeitmesser von Panerai und Patek Philippe wurden bereits von BWD "getunt". Zumindest optisch, denn die Werke bleiben meistens unberührt.

Nach dem Motto "Wenn Sie es sich vorstellen können, bauen wir es", kann der Kunde, sollte er auf der Website mit integriertem Konfigurator nicht fündig werden, auch direkt in die Firmenzentrale nach London kommen, um sich seinen persönlichen Zeitmesser designen zu lassen. "Wer will schon als der Klon eines anderen herumlaufen?", fragt George Bamford fast kokett.

Individuellere Entscheidungen

"Bespoke" heißt das Zauberwort, das Firmen wie BWD zur Anlaufstelle für Uhrenliebhaber aus aller Welt macht. Denn das Massenprodukt – immerhin verkauft Rolex jährlich, je nach Schätzung, 800.000 bis eine Million Uhren – durchläuft eine kulturelle Evolution hin zum unverwechselbaren Original. Wenn die Massen ihre Grundversorgung haben, wollen sie das, was ihnen die Industrie versagen musste: Originalität. Das, was die herrschende Klasse früher immer ganz zuvorderst wollte: Exklusivität.

Ein Trend, der in sogenannten "reifen Luxusmärkten" der westlichen Welt immer stärker zu spüren ist, wie Marketingstrategen schon seit längerem feststellen. "Luxuskunden werden in ihren Entscheidungen zunehmend individueller. Hersteller wie Händler müssen ihre Strategien weiterentwickeln, um sich im Markt nachhaltig zu behaupten", meint dazu Josef Ming von der Unternehmensberatungsfirma Bain & Company.

Die Spitze der Pyramide

In seinem Buch "The Bling Dynasty" hat Erwan Rambourg, Geschäftsführer der Bank HSBC, eine "Markenpyramide" erstellt, die an die bekannte Bedürfnispyramide des US-amerikanischen Psychologen und Motivationsforschers Abraham Maslow angelehnt ist. Während bei Maslow die Selbstverwirklichung (und später noch die Transzendenz) an der Spitze aller Bedürfnisse steht, ist bei Rambourgs "Markenpyramide" "Bespoke" das höchste der Gefühle. Marken wie Louis Vuitton oder Rolex spielen in dieser Sphäre keine Rolle. Es sei denn, der Koffer von LV ist maßgeschneidert, dann sieht die Welt gleich anders aus.

Vielleicht ist das auch der Grund, warum der "Grüne Riese" Bamford noch nicht mit Klagen überzogen hat. Denn egal, wie sie aussieht, eine Rolex bleibt eine Rolex. Außerdem kauft BWD die Uhren ganz normal über den Fachhandel ein. Und sobald die Uhr modifiziert wird, ist der ursprüngliche Hersteller sowieso aus dem Schneider, sprich: Die Garantie verfällt, diese und das Aftersale-Service liegen bei BWD. Alteingesessene Marken können darüber nur milde lächeln. "Wir machen seit fast 260 Jahren Uhren nach Maß", sagt Dominique Bernaz, Direktor des "Atelier Cabinotiers" bei Vacheron Constantin, der ältesten durchgehend in Betrieb befindlichen Uhrenmanufaktur der Welt. Dort kümmert man sich um jene speziellen Kunden, die Einzelstücke in Auftrag geben.

Das "Atelier" wurde zwar erst 2006 gegründet, aber im Kern stimmt die Aussage: Denn es wurde notwendig, um die zunehmende Zahl einschlägiger Anfragen organisatorisch zu bündeln. Vacheron Constantin fertigte schon Uhren für ägyptische Könige und vermögende Industrielle wie James Ward Packard, den Gründer der Packard Motor Company und einen der anspruchsvollsten Uhrensammler des frühen 20. Jahrhunderts. Voriges Jahr erregte die Manufaktur mit einer schlicht "Referenz 57260" betitelten Taschenuhr großes Aufsehen in der Community. Sie ist als die komplizierteste Uhr der Welt bekannt.

Den Charakter betonen

Die rund ein Kilogramm schwere Uhr vereint 57 Komplikationen in ihrem Gehäuse. Ein amerikanischer Sammler hatte sie in Auftrag gegeben und soll dafür rund fünf Millionen Schweizer Franken (rund 4,6 Millionen Euro) hingeblättert haben. Drei Meisteruhrmacher waren acht Jahre damit beschäftigt, dieses Wunderwerk von mechanischer Uhr zusammenzubauen. "Wir arbeiten momentan an rund 30 'Bespoke'-Uhren", schildert Bernaz weiter. Sie alle hätten gemeinsam, dass sie von echten Connaisseurs in Auftrag gegeben worden seien. "Sie alle wollen etwas Einzigartiges ihr Eigen nennen", antwortet Bernaz auf die Frage, wer denn ein typischer Auftraggeber sei. Sie seien zwischen 40 bis 50 Jahre alt und brächten viel Geduld mit. Das nötige Kleingeld wohl auch.

"Diese Menschen wünschen sich ein Accessoire und ein Ausdrucksmittel, um ihre Persönlichkeit und ihren Charakter zu betonen", meint David Seyffer, Direktor des IWC Museum in Schaffhausen. Auch dort gibt es eine Spezialitätenabteilung, die sich um ausgefallene Sonderwünsche kümmert.

"Wir beobachten grundsätzlich einen Trend zu mehr Personalisierung. Viele Käufer äußern den Wunsch nach einem andersfarbigen Armband oder einer alternativen Zifferblattfarbe", schildert Seyffer. Aber auch am oberen Ende der Skala steige das Bedürfnis nach einem ganz individuellen Stück Luxus. Ein Produkt wie die "Portugieser Sidérale Scafusia" von IWC kommt diesem Wunsch nach: Ein Astrolabium auf der Rückseite des Zeitmessers zeigt jeden Abend den Ausschnitt des Nachthimmels an, wie er an einem vom Kunden gewählten Standort (ganz egal, wo auf der Welt) gerade sichtbar ist. Das soll auch gegen Heimweh helfen. (Markus Böhm, RONDO Exklusiv, 13.11.2016)