STANDARD: Sie werden oft als Legende bezeichnet. Was bedeutet dieser Begriff für Sie?

Karl Schranz: Legenden sind Menschen, die früher erfolgreich waren und jetzt halt noch ein bisschen bekannt sind.

STANDARD: Die Leute drehen sich noch immer auf der Straße nach Ihnen um. Es gibt sogar eine Briefmarke von Ihnen. Ich habe Sie kürzlich bei einem Heurigen in Wien gesehen, da hat Sie jeder angestarrt.

Schranz: Die Alten schon. Die Jungen eher nicht mehr so. Aber ich fühle mich wohl dabei. Es ist nach wie vor ein gutes Gefühl, die Sache mit der Legende.

STANDARD: Sie feiern nächste Woche Ihren 78. Geburtstag. Geradeheraus: War früher alles besser?

Schranz: Nein, ich gehöre nicht zu den Menschen, die das sagen. Im Gegenteil: Das habe ich schon verurteilt, als ich noch jung war. Man muss doch sehen, dass der Fortschritt vieles besser gemacht hat.

STANDARD: Aber nicht alles.

Schranz: Das eine oder andere war früher vielleicht besser. Auf jeden Fall war es gemütlicher. Aber wer will es schon gemütlich?

Seine Autogramme sind nach wie vor gefragt: Karl Schranz in Kitzbühel im Jänner 2016.
Foto: georg hochmuth

STANDARD: Wenn man sich die überfüllten Pisten und Parkplätze bei den Liften heute so anschaut, wäre ein bisschen Gemütlichkeit durchaus wünschenswert.

Schranz: Ich habe ein Hotel in St. Anton. Von dem leben wir. Ich wäre dumm zu sagen, dass das schlecht ist. Wenn das Skigebiet groß genug ist, sehe ich da keine Probleme.

STANDARD: Wie weit sind Sie in die Arbeit in Ihrem Hotel in St. Anton eingebunden?

Schranz: Ich bin ein bisschen repräsentativ tätig. Mehr nicht.

STANDARD: Das heißt, Sie begrüßen die Gäste.

Schranz: Nicht alle, aber die meisten.

STANDARD: Früher hatten Skirennläufer das Image des wilden, lässigen Kerls, so wie Formel-1-Fahrer ein anderes Image hatten. Denken Sie an James Hunt. Heute ist das Image viel braver und sauberer.

Schranz: Was heißt sauberer und braver? Je mehr man gefordert wird, desto mehr muss man sich konzentrieren. Das sehe ich als ganz normale Entwicklung. Außerdem trinken die Burschen heute auch noch ein Bier.

STANDARD: Früher waren es wahrscheinlich mehrere Biere.

Schranz: Das glaube ich nicht. Es war auch damals alles sehr professionell. Außerdem bin ich kein Biertrinker.

STANDARD: Sie haben lieber Wein getrunken.

Schranz: Ja, wenn ich beim Heurigen war, gern.

STANDARD: Wie hat es sich auf den Pisten mit der Political Correctness entwickelt? Früher war es so gut wie normal, Begriffe wie "Skihaserl" zu verwenden.

Schranz: Also ich habe noch nie zu einem Mädchen "Skihaserl" gesagt. Das war auch in meinem Umfeld nicht üblich. Wir haben fesche Damen als fesche Damen gesehen. Das ist heute sicher ähnlich.

STANDARD: Probieren wir es mit den Skilehrern: Die galten lange als bärige Typen, die reihenweise Touristinnen verführten. Das dürfte sich doch geändert haben, oder?

Schranz: Das glaube ich weniger. Skilehrer sind in der Damenwelt nach wie vor sehr begehrt. In Amerika haben sie sogar geschrieben, dass Skilehrer den Golflehrern den Rang abgelaufen haben.

STANDARD: Wollten Sie nie Skilehrer werden?

Schranz: Ich bin staatlich geprüfter Skilehrer und habe eine Skischule mit 300 Skilehrern geleitet. Ich weiß also, wovon ich rede.

Schranz im Zielraum des Abfahrtrennens von Kitzbühel mit Hans Enn und Harti Weirather.
Foto: apa/parigger

STANDARD: Sie sind auch Tiroler. Was halten Sie vom Spruch "Bisch a Tiroler, bisch a Mensch, bisch koa Tiroler, bisch a Oaschloch!"?

Schranz: Das ist die dümmste Aussage, die es überhaupt gibt. Das sagen die Innsbrucker, die Städter. Aber inzwischen auch nicht mehr. Auf dem Land sagt das sowieso kein Mensch.

STANDARD: Après-Ski einst und jetzt, was hat sich bei diesem Thema geändert?

Schranz: Früher gab es noch den Fünf-Uhr-Tee, bei dem jedes Hotel eine Band aufspielen ließ. Das gibt's in dem Sinn nicht mehr. Wahrscheinlich ist das heute nicht mehr finanzierbar. Heute geht man in die Disco.

STANDARD: Was halten Sie von einem Alkoholverbot auf der Piste?

Schranz: Alkohol ist in jedem Bereich gefährlich, in dem Geschwindigkeit im Spiel ist. Das müsste man sich genau anschauen. Von einem generellen Verbot auf die Schnelle halte ich nichts. Bei bestimmten Dingen sollte man es schon thematisieren.

STANDARD: Was ist denn so ein bestimmtes Ding?

Schranz: Zum Beispiel, wenn ein paar Verrückte, Alkoholisierte nach einem Hüttenbesuch ins Tal rasen. Da könnte man vielleicht eine gesetzliche Korrektur andenken. Wie gesagt, das müsste man diskutieren. Andererseits sollte jeder Vernünftige wissen, dass eine Versicherung im Falle eines Unfalls unter Alkoholeinfluss eventuell aussteigt.

STANDARD: Mit Carvern und anderen technischen Entwicklungen im Skibereich ist auf der Piste vieles anders geworden. Jeder kann heute mehr oder weniger Ski fahren. Aus der Sicht des Hoteliers sehen Sie das bestimmt als begrüßenswert.

Schranz: Auf alle Fälle, auch wenn es noch ein paar Baustellen gibt, zum Beispiel die schweren Schuhe für Frauen. Auch bei den Bindungen könnte man sich noch das eine oder andere einfallen lassen.

STANDARD: Haben Sie etwas gegen Snowboarder?

Schranz: Aber nein.

STANDARD: Schon einmal probiert?

Schranz: Ja, aber ich war schon zu alt.

STANDARD: Wie viele Tage pro Winter stehen Sie noch auf den Skiern?

Schranz: Kommt aufs Wetter an. Ich schätze 35 bis 40 Tage.

STANDARD: Welcher ist der allerschönste Berg der Welt?

Schranz: Viele würden vielleicht das Matterhorn nennen, aber ich sage der Patteriol bei uns zu Hause (3056 Meter, Anm.). Der steht mitten im Tal und ist ein wunderschöner Dreizack.

STANDARD: Wie oft waren Sie oben?

Schranz: Nur einmal, als Bub. Wenn ich einmal auf einem Berg war, bin ich nicht mehr oft hinauf. Die anderen rundherum hab ich auch alle gemacht.

STANDARD: Als Skirennläufer verdient man heute sehr viel mehr als zu Ihren Zeiten. Ärgert Sie das nicht?

Schranz: Die verdienen nicht sehr viel mehr heute, sondern das Zig-fache. Dagegen waren wir "Armutschkerln", wie der Wiener sagen würde. Aber ich war nie neidisch. Ich war damals sehr zufrieden und bin es auch jetzt.

STANDARD: Ich habe gelesen, dass Sie als sehr eigensinnig und stur galten. Stimmt das?

Schranz: Ja, das stimmt. Wenn ich nicht eigensinnig und stur gewesen wäre, hätte ich nach meinen Niederlagen vielleicht aufgehört. Ich habe jedoch weitergekämpft. Damit bin ich immer gut gefahren, und ich kann mich am Morgen im Spiegel anschauen und mir sagen: "Pass auf, du hast das so gemacht, bist damit so und so weit gekommen, und somit ist es in Ordnung."

STANDARD: Sie waren dreimal Weltmeister und haben zweimal den Gesamtweltcup gewonnen. Trotzdem erinnern sich die meisten Menschen vor allem an den Olympia-Ausschluss von 1972 und das Bild von hunderttausenden Menschen auf dem Wiener Ballhausplatz nach Ihrer Rückkehr. Warum eigentlich?

Schranz: Das müssen Sie die Leute fragen. Ich weiß das nicht. Ohne es vergleichen zu wollen, aber vielleicht hängt es damit zusammen: Menschen erinnern sich an große Ereignisse, sei es der Atombombenabwurf oder 9/11. Mein Ausschluss war etwas Extremes. Die Olympia-Leute haben gewusst, dass alle Skirennläufer etwas verdienen und keine Amateure sind. Dann haben sie mich ausgeschlossen. Das war eine Beleidigung für das ganze Land. Noch dazu war ich Favorit.

STANDARD: Wären Sie heute ein junger Mann, würden Sie wieder Skirennläufer werden?

Schranz: Natürlich! Klar! Ich würde alles wieder so machen, bis auf ein paar kleinere Sachen. Aus ein paar Dingen muss man lernen. Wer nicht lernt, der ist blöd.

Karl Schranz und Wladimir Putin anlässlich dessen Besuchs im Österreich-Haus bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi 2014.
Foto: apa/öoc/spiess

STANDARD: Sie kommen gerade aus Moskau zurück. Es heißt, Sie seien ein enger Freund von Wladimir Putin. Stimmt das?

Schranz: Ja, ich glaube schon.

STANDARD: Haben Sie ihn auf Ihrer Reise getroffen?

Schranz: Nein, dieses Mal nicht. Wir waren eine größere Wirtschaftsdelegation aus Tirol und haben eine ganze Reihe anderer Leute getroffen, zum Beispiel den stellvertretenden Ministerpräsidenten Dimitri Kosak.

STANDARD: Putin wird ja vor allem in den letzten Jahren sehr kritisch betrachtet. Wie sehen Sie das politisch?

Schranz: Ich äußere mich nicht zur Politik, weil ich nicht den Einblick habe. Aber die Einstellung der westlichen Presse sehe ich schon. Die lautet: Amerika ist gut, Russland ist schlecht. So kann es auch nicht sein. (Michael Hausenblas, RONDO, 10.11.2016)