Kann die Mehrheit irren? Ja, sie kann. Die allermeisten Antidemokraten dieser Welt sind durch demokratische Mehrheiten an die Macht gekommen. Das gilt für Viktor Orbán wie für Recep Tayyip Erdogan, Wladimir Putin hat eine solide Mehrheit seiner Mitbürger hinter sich, und der philippinische Präsident, Rodrigo Duterte, wird von einer demokratischen Mehrheit getragen.

Adolf Hitler war zunächst demokratisch legitimiert, und als er in Österreich einmarschierte, gab es zwar keine faire Volksabstimmung, aber vermutlich dennoch eine Mehrheit für den Anschluss. Vox populi, vox Rindvieh, sagte ein österreichischer Gentleman damals angesichts der jubelnden Menge auf dem Wiener Heldenplatz.

Und jetzt also Donald Trump. Praktisch die gesamte politische Elite des Landes hielt seinen Sieg für unmöglich, praktisch die gesamte politische Elite war gegen ihn, Intellektuelle, Künstler, Journalisten, honorige Bürger. Aber eben diese Elite hat verloren. Trauen die Menschen dem Rüpel mehr zu als der politischen wie geistigen Nachfolgerin von Barack Obama? Diese jedenfalls wollten sie nicht. Man fühlt sich an einen Sager aus dem letzten österreichischen Präsidentschaftswahlkampf erinnert, als ein FPÖ-affiner Passant gefragt wurde, ob er meine, dass die Freiheitlichen es besser machen würden als die derzeitigen Regierungsparteien. Seine Antwort: Nein, aber denen andern g'hört a Watschen.

Vor Jahren erregte der US-Politologe Francis Fukuyama Aufsehen mit seinem Buch Das Ende der Geschichte. Seine These: Die liberale Demokratie hat ein für alle Mal gewonnen. Rechtsstaat, unabhängige Justiz, Pressefreiheit und Minderheitenschutz sind in großen Teilen der Welt verwirklicht und werden anderswo als allgemeingültiges Ideal angestrebt. Das ist inzwischen widerlegt. Der Historiker Philipp Blom vertritt die Auffassung, die liberale Demokratie sei keineswegs die Norm, sondern die große Ausnahme in der Menschheitsgeschichte. Die Epoche zwischen dem Ende des Zweiten Weltkriegs und der Gegenwart war ein goldenes Zeitalter, das sich nun dem Ende zuneigt.

Das Ende der liberalen Demokratie, wie wir sie kennen, heißt freilich noch nicht Diktatur. Ungarns Premier Orbán ist Anhänger der Demokratie, allerdings der "illiberalen Demokratie". In Russland spricht man von "gelenkter Demokratie". Demokratie ist nicht mehr Demokratie, es gibt Alternativen. Und ein großer Teil der Menschen, die mit dem Status quo – oft berechtigterweise – nicht zufrieden sind, suchen nach etwas anderem als dem, was die derzeitigen Eliten ihnen vorschlagen.

Was der nächste US-Präsident sich unter Demokratie vorstellt, ist noch nicht wirklich klar. Jedenfalls etwas, das sich sehr von dem unterscheidet, was bisher darunter verstanden wurde. Er liegt dabei auf Linie mit rechtspopulistischen Bewegungen, die in Europa an Boden gewinnen. Trumps Sieg wird die Rechtspopulisten in Deutschland, Österreich, Italien, den Niederlanden, in Dänemark, Ungarn, der Slowakei und etlichen anderen Ländern beflügeln. Und deren Gegner? Sie sollten jedenfalls angesichts des Trump-Erfolgs nicht kapitulieren, sondern nachdenken und dagegenhalten. (Barbara Coudenhove-Kalergi, 9.11.2016)