Ein Stück des Originalseiles aus dem Salzbergwerk Hallstatt.

Foto: NHM Wien/Hans Reschreiter

Das unsortierte Rohmaterial, lange Fasern Lindenbast.

NHM Wien/Hans Reschreiter

Drehen der drei Einzelstränge – die Fasern müssen einzeln eingearbeitet werden.

Foto: echtzeitMedia/Frank Findeiß

Verdrillen der einzelnen Stränge zu einem fertigen Seil.

Foto: echtzeitMedia/Frank Findeiß

Die fertige Rekonstruktion des Hallstätter Seiles.

Foto: NHM Wien/Hans Reschreiter

Das Bastseil auf dem Prüfstand.

Foto: echtzeitMedia/Frank Findeiß

Im Detail: Rekonstruktion und Test des Seils im Video.

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Ein zentrales Anliegen der Hallstattforschung ist seit jeher die Rekonstruktion des Lebens und des Arbeitsablaufes im bronzezeitlichen Bergwerk. Der Vorteil des Salzbergwerks hierbei ist, dass die Funde durch den außergewöhnlich guten Erhaltungszustand nach mehr als 3.000 Jahren immer noch viele sichtbare Details aufweisen. So sind oftmals noch Werkzeugspuren von der Herstellung oder Abnutzungen von Transport und Verwendung zu erkennen. Diese Details können häufig Rückschlüsse auf die Verwendung der jeweiligen Stücke zulassen und helfen damit, die Arbeit und das Leben im Salzbergwerk nachzuvollziehen. Allerdings ist die genaue Verwendung durch bloßes Betrachten der in der Bronzezeit hinterlassenen Spuren nicht immer ersichtlich.

Hier kommt wieder die experimentelle Archäologie ins Spiel. Durch die Herstellung von möglichst originalgetreuen Rekonstruktionen archäologischer Funde ist es möglich, auf die jeweilige Fragestellung abgestimmte Versuche an den Stücken durchzuführen, die ihren ursprüngliche Zweck, ihre Verwendung oder Details der Herstellung klären können.

Lange Tradition

Diese Herangehensweise an die Erforschung prähistorischer Lebenswelten hat in Hallstatt lange Tradition. Regelmäßig werden bestimmte Fundstücke nachgebaut und dann auf Herz und Nieren getestet, schon aus dem einfachen Grund, dass die Hinterlassenschaften der Bergleute oft einzigartig sind und es dadurch keine Vergleichsstücke gibt. Schon so mancher Fund, der als scheinbar unidentifizierbares Fragment aus dem Berg kam, konnte so einem speziellen Zweck in der bergmännischen Tätigkeit der Prähistorie zugewiesen werden.

Eine der ungelösten Fragen zum Hallstätter Bergbau ist seit jeher jedoch, wie die Bergleute der Bronzezeit die Menge an abgebautem Salz aus den in mehr als 100 Meter tief gelegenen Abbaukammern an die Oberfläche befördern konnten. Der Fund eines mit einem Durchmesser von vier Zentimetern und einer freigelegten Länge von mehr als sieben Metern außergewöhnlich gut erhaltenen Seiles gab dieser Frage neuen Aufschwung. 1992 wurde es an der bronzezeitlichen Fundstelle Christian-von-Tusch-Werk unter verstürzten Schachthölzern gefunden. Damit liegt die Vermutung nahe, dass es sich bei diesem Seil aus Lindenbast um die zentrale Fördereinheit zwischen der Abbaukammer dieses Horizontes, den darüber liegenden Kammern und der Oberfläche gehandelt haben dürfte.

Hier stellen sich natürlich viele Fragen zur Verwendung des Seiles. Wie groß war die Tragfähigkeit? Wie genau wurde es bedient? Wie groß war der Abrieb und Verschleiß, sprich: wie oft musste das Seil erneuert und ausgetauscht werden? Mit welchen Techniken wurden Seile in der Bronzezeit hergestellt? Wie hoch ist der Zeit- und Materialaufwand für die Herstellung so eines Seiles?

Von Seilern aus Mali lernen

Zur Klärung dieser Fragen bieten sich vor allem die bereits erwähnte Methode der experimentellen Archäologie aber auch der Ethnografie an. Das "Dadobat-Projekt" der Boku Wien schuf eine fundierte Basis an ethnografischen Vergleichen hierfür. Von 2006 bis 2010 wurde die Arbeit von Seilern aus Mali dokumentiert und unter archäologischen Gesichtspunkten hinterfragt. Die traditionelle Arbeit der westafrikanischen Seiler, die ihre Stücke aus der Faser des Affenbrotbaumes herstellen, ist in Arbeitsweise, Technik und Material für Vergleiche zu archäologischen Fundstücken relevant. Auch ließ man die Seiler mit dem ihnen unbekannten Werkstoff Lindenbast arbeiten, um so Vergleiche zu bronzezeitlichen Originalen herstellen zu können.

Im Rahmen der Wanderausstellung "Salz Berg Werk" wurde auf der Basis dieser Erkenntnisse 2015 in Zusammenarbeit mit dem Staatlichen Museum für Archäologie in Chemnitz, der Technischen Universität Chemnitz, der Firma ArcTech und EchtzeitMedia eine originalgetreue Rekonstruktion des Hallstätter Lindenbastseiles hergestellt, in Belastungstests geprüft und der gesamte Versuchsablauf in einem Museumsfilm festgehalten.

Wie eine Kopie entsteht

Die Gewinnung des Rohmaterials erledigen die beiden Archäotechniker Wulf Hein und Rolf Palm von ArcTech. Dafür werden Borke und Bast vieler Linden abgezogen und anschließend mehrere Wochen in Wasser eingelegt. Bei diesem Prozess, "Rösten" genannt, zerlegen Mikroorganismen Teile des pflanzlichen Materials, wodurch sich der Bast löst und verarbeitungsfähig wird. Anschließend werden die acht Kilogramm Lindenbast sortiert, die Fasern auf die gewünschte Breite geteilt und in Bündeln zusammengefasst. Danach erst kann das eigentliche Drehen des Seiles beginnen.

Hierfür werden zuerst, entsprechend dem Original, drei einzelne Stränge gedreht. Man startet mit einem Bündel an Fasern, die in eine Richtung ineinander verdreht werden und arbeitet kontinuierlich einzelne Fasern in den Strang ein. Es ist wichtig, einzelne Fasern und keine Bündel zuzugeben, da man ansonsten Schwachstellen im Seil erzeugen würde. Die notwendige, gleichmäßige Spannung wird gehalten, indem der Anfang des Stranges an einem Stock befestigt und dieser mit den Füßen kontrolliert wird.

Seile im Test

Danach werden die je zehn Meter langen Einzelstränge zu einem fertigen Seil zusammengeschlagen. Stark gedrehte, gespannte Fasern, die die gleiche Drehrichtung haben, verbinden sich miteinander, wenn sie sich berühren, und drehen sich dabei von selbst in die entgegengesetzte Richtung ein. Um diesen Effekt nutzen zu können, müssen die von uns in der gleichen Drehrichtung gefertigten drei Einzelstränge sowohl die gleiche Spannung als auch die gleiche Stärke der Drehung haben. Auch hier ist vor allem wieder die Gleichmäßigkeit der Spannung, aber auch der Winkel der einzelnen Stränge zueinander von großer Bedeutung. Stimmen diese Parameter nicht, wird das Seil ungleichmäßig und die Belastungsfähigkeit sinkt. Dazu ist es notwendig, dass eine Person die Winkel und die Spannung der einzelnen Stränge kontrolliert und die drei anderen Personen an den Strängen steuert. So entsteht nach und nach eine neun Meter lange Kopie des Hallstätter Bastseiles.

Im nächsten Schritt muss diese Rekonstruktion bereits beweisen, was in ihre steckt. Dazu reisen wir an die Technische Universität Chemnitz. Das Institut für Fördertechnik und Kunststoffe entwickelt und testet normalerweise Faserseile, die in Bergbau und Industrie eingesetzt werden. Unsere Rekonstruktionen der mehr als 3.000 Jahre alten Seile aus dem Hallstätter Salzbergwerk sollen dort dieselben Strapazen durchlaufen wie moderne Förderseile. Dabei wird sowohl die vier Zentimeter dicke, als auch mehrere dünne Seilrekonstruktionen getestet, die die Archäotechniker zusätzlich angefertigt hatten.

Bis der Strang reißt

Die Prüfmaschinen werden programmiert, die Kameras zur Dokumentation eingerichtet und das erste Teilstück des Seiles eingespannt. Der Schlitten setzt sich in Bewegung, die Bastfasern knistern, das Seil wird immer länger – bis der erste Strang unter einer Belastung von mehr als 600 Kilogramm mit lauten Knallen reißt. Auf das gespannte Erwarten der Ergebnisse folgt ein Stich ins Herzen der Rekonstukteure ob dieser unumgänglichen Zerstörung ihres Werkes. Das nächste Stück des Seiles bringt es auf knappe 860 Kilogramm Zugbelastung, das dritte gibt bei rund 500 Kilogramm klein bei. Diese Werte sind unter dem Aspekt zu betrachten, dass unsere Rekonstruktion ein wenig dünner als das Original und sicher bei weitem nicht so gleichmäßig und geübt gefertigt ist.

Anschließend werden die dünnen Seile in eine Wechselbiegemaschine eingespannt, die bei circa 50 Kilogramm Belastung das Verhalten des Seiles unter dynamischer Belastung testet. Dabei werden die Seile sechs mal pro Minute über eine Rolle hin und zurück gelenkt, womit zum Beispiel die Abnutzung bei der Umlenkung über Rollen und Haspeln simuliert wird. Es zeigt sich, dass sogar die dünnen Seile problemlos einer Belastung von mehr als 70.000 Umdrehungen standhalten können.

Neue Fragen

Mit diesen Ergebnissen haben wir eine gute Annäherung an konkrete Zahlen zur Herstellung und Tragfähigkeit der Hallstätter Bastseile, wobei uns und die Techniker der TU Chemnitz die Rekonstruktionen durchaus positiv überrascht haben. Aber auch eine Menge neuer Fragen. Das Original muss einer Bruchlast von mehreren Hundert Kilogramm standgehalten haben. Was also hat die Bronzezeitler bewogen, es im Betriebsabfall liegen zu lassen? Waren die Lasten, die sie durch die Schächte transportierten so groß, dass die Verwendung nicht mehr möglich war? Wollte man nicht riskieren, dass beim Herunterlassen eines langen dicken Grubenholzes, das Seil reißt und ein Teil der Schachteinbauten durch das herabstürzende Holz zerstört wird? Doch wie wir nicht müde werden zu betonen, ist das nun einmal der Prozess der Forschung. Jede beantwortete Frage, stellt viele neue. Das heißt für uns: zurück ins Bergwerk, an die Werkbank und den Schreibtisch. Die Forschung ruht nicht. (Hans Reschreiter, Fiona Poppenwimmer, 10.11.2016)