In der Innsbrucker Innenstadt will man Obdachlose mit Geldstrafen vertreiben.

Foto: Robert Newald

Innsbruck – Am Mittwoch haben die Bürgermeisterinnen-Liste Für Innsbruck und die ÖVP im Stadtsenat eine ortspolizeiliche Verordnung verabschiedet, die es Obdachlosen bei Strafe verbietet, in der Innenstadt im Freien zu nächtigen. Die SPÖ enthielt sich der Stimme, nur die Grünen waren dagegen. Die Verordnung diene dem Schutz der Obdachlosen vor Übergriffen und dem Erfrieren.

Idee der Bürgermeisterin

Die Idee zum Schlafverbot kommt von Bürgermeisterin Christine Oppitz-Plörer. In den vergangenen Monaten hat die Zahl der Obdachlosen, die in Geschäfts- oder Hauseingängen in der Altstadt nächtigen, merklich zugenommen – sehr zum Ärger einiger Anrainer und vor allem Geschäftstreibender, sagt Oppitz-Plörer. Die Stadt versuchte die unliebsamen Gäste zu vertreiben, indem abends die Schlafplätze mit Wasser bespritzt wurden, um sie so unbrauchbar zu machen. Weil das nicht fruchtete, soll nun ein generelles Schlafverbot für Ordnung sorgen. Die bis zu 2.000 Euro Strafe bei Zuwiderhandeln seien nötig, "um Druck dahinterzubringen", sagt die Bürgermeisterin. Sie gehe ohnehin nicht davon aus, dass schon am ersten Tag die Höchststrafen ausgesprochen würden.

Die Grünen und Sozialvereine sind empört über die Verordnung. "Das kommt einem Verbot von Obdachlosigkeit gleich", sagt die grüne Gemeinderätin Kathrin Heis. Michael Hennermann vom Verein für Obdachlose fordert von der Stadt Angebote statt Verboten: "Eine Verordnung zu erlassen, die das Nächtigen im öffentlichen Raum unter Strafe stellt, führt zu keiner Behebung einer Notlage, im Gegenteil verschärft sie die ohnehin dramatische Situation."

"Menschenunwürdig"

Noch drastischere Worte findet die Tiroler Bettellobby: "Es ist alarmierend, dass im 21. Jahrhundert menschenentwürdigende Maßnahmen wiedereingeführt werden sollen, die an faschistische Methoden vergangener Zeiten erinnern." Der Tiroler Caritas-Direktor Georg Schärmer "begrüßt" hingegen alles, was dazu beiträgt, dass Menschen nicht im Freien nächtigen müssen. Sofern genug Notschlafplätze zur Verfügung stehen, sei der Schritt nachvollziehbar. Die Strafe hält Schärmer jedoch für "politische Rhetorik", die nichts bringe.

Nächsten Donnerstag wird das Schlafverbot im Gemeinderat behandelt. Die SPÖ kündigte an, am Montag noch intern zu beraten, ob man dafür oder dagegen stimme. Der rote Sozialstadtrat Ernst Pechlaner war für eine Stellungnahme nicht erreichbar. In einer Aussendung macht er jedoch die Grünen in der Landesregierung für zu wenige Notschlafplätze verantwortlich. Er nennt vier Bedingungen, darunter etwa eine ganzjährige Notschlafstelle sowie eine zweite Notschlafstelle für die Winterzeit, um der Verordnung zuzustimmen.

Der Obmann des Sozialausschusses, ÖVP-Stadtrat Franz Gruber, ist "auch unglücklich, so eine Verordnung zu erlassen". Allerdings verlange die Situation "ordnungspolitische Maßnahmen". Gruber will für die Betroffenen im Gegenzug rasch Notschlafplätze schaffen: "Wenn wir etwas verordnen, bieten wir auch Alternativen. Das ist Sozialpolitik." Allerdings fehlt es seit Jahren genau an diesen Notschlafplätzen in Innsbruck, und allem Anschein nach wird die Verordnung schneller kommen als die nötigen Plätze, auf die die Vertriebenen ausweichen könnten.

Zu wenige Notschlafplätze

Derzeit gibt es in Innsbruck eine Winternotschlafstelle mit 35 Plätzen. Das Land richtet mit den Tiroler Sozialen Diensten bis Mitte November im Stadtteil Arzl eine weitere mit 40 Plätzen in einem ehemaligen Asylquartier ein. Allerdings wurden an diesem Standort die Anrainer offenbar noch nicht über dieses Vorhaben informiert. Das kann erfahrungsgemäß zu Widerstand und Verzögerungen führen. Eine ganzjährige Notschlafstelle mit niederschwelligem Zugang, die allen Menschen und nicht nur Mindestsicherungsbezugsberechtigten offensteht, fehlt bislang.

Streetworker des Vereins für Obdachlose führten im Sommer dieses Jahres eine Erhebung durch, um die Zahl der Obdachlosen in Innsbruck zu erfassen. Im Zeitraum zwischen Mitte Juni und Mitte Juli zählten sie insgesamt 294 akut Wohnungslose und weitere 223 Menschen "in prekärsten Wohnverhältnissen". Die Sozialarbeiter weisen auf die Diskrepanz zwischen der Zahl der Betroffenen und der der zur Verfügung stehenden Notschlafplätze hin: "Die Ursache für die im öffentlichen Raum nächtigenden Personen ist in erster Linie in einem fehlenden Angebot von leistbarem Wohnraum zu finden und in einer daraus resultierenden Unterversorgung mit Notunterkünften."

ÖVP-Kritik an Sozialvereinen

Sozialausschuss-Obmann Gruber wirft den Sozialvereinen vor, zwar stets zu kritisieren, aber bislang nicht mit Lösungsvorschlägen aufgetreten zu sein. Eine Kritik, die bei den Adressaten auf Unverständnis stößt, wie Hennermann erklärt: "Von uns kommen sehr wohl seit Jahren Lösungsvorschläge." Doch damit stoße man ebenso lange auf taube Ohren: "Es gibt einerseits zu wenig Angebot an Plätzen für diese Menschen, und andererseits ist der Durchfluss in den vorhandenen Notschlafstellen zu gering."

Bürgermeisterin Oppitz-Plörer will die Zahlen der Streetworker zwar nicht in Abrede stellen, glaubt aber, dass das Angebot der Stadt ausreichen wird, sobald die zweite Notschlafstelle eröffnet ist. Erfahrungswerte aus anderen Städten würden außerdem zeigen, dass eine solche Maßnahme einige Obdachlose dazu bewegen werde, Innsbruck zu verlassen. Die Verordnung hält die Bürgermeisterin für ein probates Instrument in der Bekämpfung der Obdachlosigkeit: "Man muss manche Menschen dazu bringen, nicht im Freien zu schlafen."

Innenstadt und Wilten sollen Verbotszonen werden

Der Magistrat hat nach eigenen Erhebungen die ortspolizeiliche Verordnung zum Nächtigungsverbot für den gesamten Altstadtbereich mitsamt angrenzenden Straßenzügen empfohlen, zudem für die Ursulinenpassage sowie den Burggraben. Auch im südlichen Stadtteil Wilten am Edith-Stein-Weg sowie in der Mentlgasse seien immer wieder Nächtigende anzutreffen gewesen, und auch in den Unterführungen Karmelitergasse sowie Neuhauser Straße. Man habe dort Verunreinigungen und Geruchsbelästigungen durch die Obdachlosen festgestellt. Außerdem würden dort Nächtigende die Reinigung der von ihnen verschmutzten Bereiche erschweren.

Dass die Verordnung das Problem nicht lösen wird, räumen aber auch die Bürgermeisterin und ÖVP-Stadtrat Gruber ein. "Ich halte die Kritik für nachvollziehbar, dass sich das Problem dadurch verlagert", sagt Oppitz-Plörer. "Ich bin Realist genug, um zu wissen, dass selbst, wenn wir genügend Schlafplätze anbieten, nicht alle dieses Angebot annehmen werden", erklärt Gruber. Dennoch werde man kommenden Donnerstag dafür stimmen. Zusammen mit der FPÖ haben Für Innsbruck und ÖVP eine ausreichende Mehrheit, um die Verordnung auch ohne SPÖ zu beschließen. Die Grünen werden geschlossen dagegen stimmen. (Steffen Arora, 9.11.2016)