"Wen man nicht vor Angst stirbt, lacht man sich tot." Fans des einst in den USA extrem beliebten "Autopolo" (hier ein Wettkampf im Jahr 1919) konnten das Aussterben dieser Mensch und Maschine verschleißenden Sportart nicht verhindern.

Foto: Liebeskind-Verlag

"Eistennis" war speziell um 1910 in New York en vogue. Allerdings nicht lange.

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Mit einem Schuss aus der "Entenkanone" konnte man einen ganzen Schwarm töten.

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Nach heutiger Definition handelt es sich bei Sport um eine Betätigung, die aus Freude an der Bewegung und dem Spiel zur körperlichen Ertüchtigung ausgeübt wird. Weil Sport auch von Männern praktiziert wird, kommen noch Regeln und der Wettkampf dazu. Früher sah man das sehr oft anders. Sport leitet sich vom französischen "desporter" ab und bedeutet "sich vergnügen". Wie man noch sehen wird, hat Zerstreuen in diesem Zusammenhang allerdings nichts mit Bedenken zu tun. Sport kann auch Mord sein.

Der Londoner Autor Edward Brooke-Hitching ist in einem Antiquariat aufgewachsen und Dokumentarfilmer mit Hang zu exzentrischen Themen. Soeben ist von ihm in Großbritannien mit "The Phantom Atlas: The Greatest Myths, Lies and Blunders on Maps" ein neues Buch erschienen. Ein Thema, das im populärwissenschaftlichen Genre zwar nicht ganz neu ist, man erinnere sich etwa an den "Atlas der legendären Länder" von Judyth A. McLeod, das aber Leserschaft garantiert. Schabernack geht immer. Gerade eben hat der deutsche Autor Dirk Liesemer übrigens parallel ein "Lexikon der Phantominseln" veröffentlicht.

Vom "Fuchsprellen" zum "Autopolo"

Im "Phantom Atlas" also spürt Brooke-Hitching historischen Landkarten lange vor der Zeit von Google-Earth nach. Diese bilden eine Welt ab, die so nie existierte. Die Kartografen früherer Zeiten bezogen ihre Erkenntnisse vielfach aus den randwissenschaftlichen Einflussbereichen Hörensagen und Fantasie. Fiktive Inseln, nicht existente Gebirge und Völker, das Eldorado der Spanier, diese Abteilung.

Mit der jetzt auf Deutsch vorliegenden "Enzyklopädie der vergessenen Sportarten" erstellte Brooke-Hitching 2015 allerdings tatsächlich so etwas wie eine durchaus seriöse Grundlagenarbeit im wissenschaftlich bisher nur wenig erfassten Bereich historischer (und meist nicht zu Unrecht) untergegangener Sportarten. Die Initialzündung dazu kam einerseits mit der Meldung, dass dem Golfsport in den letzten Jahren offenbar insgesamt fünf von 30 Millionen kaufkräftigen Spielern verlorengegangen sind und, wenn die Entwicklung so weitergeht, eine Sportart offensichtlich nicht unsterblich ist und in Vergessenheit geraten kann.

Außerdem entdeckte Brooke-Hitching im 1719 erschienenen Buch "Der vollkommene teutsche Jäger" die Abbildung eines Freizeitvergnügens namens "Fuchsprellen", in dem es darum geht, dass Adelige mittels Tüchern die armen, strampelnden Tiere, aus welchem Grund auch immer, möglichst hoch himmelwärts schleudern. Möglicherweise handelte es sich hier um eine einmalig in Buchform dokumentierte Vorform des heutzutage auch schon wieder vergessenen zweifelhaften US-Wirtshausvergnügens des "Zwergenweitwurfs" aus den 1980er-Jahren mit damals wenigstens dafür bezahlten kleinwüchsigen Freiwilligen.

Edward Brooke-Hitchings Neugier war geweckt. Weitere Forschungen zum Thema in Bibliotheken und Antiquariaten öffneten schließlich die Büchse der Pandora. Immerhin galt Sport etwa im alten Rom – mit seinen Menschen- und Tierjagden im Kolosseum oder mit in riesigen, künstlichen Wasserbecken nachgestellten Seeschlachten mit bis zu 19.000 beteiligten Akteuren und 100 Schiffen – auch als politische Manifestation von Macht.

Von den brutalen Freizeitvergnügungen etwa der Wikinger, die wegen "Knochenwerfens" oder "Hautziehens" über einem Feuer ihren Einsatz oft mit dem Leben bezahlen mussten und den Schwimmsport als Ertränkungsringkampf unter Wasser schätzten, ist in dieser Enzyklopädie die Rede. Ganz zu schweigen vom niederländischen "Aalziehen", dem italienischen "Katzenkopfschlagen" oder der Jagd mit der "Entenkanone". Man erfährt also viel über jeweilige Moralvorstellungen.

Autopolo und Skibalett

Warum Sportarten auch wieder "aussterben", liegt nicht nur an deren irgendwann aus zivilisatorischen Gründen abgelehnten Grausamkeiten oder Gefahren für Leib und Leben. Manchmal sind Sportarten einfach wegen ihrer Lächerlichkeit wieder verschwunden.

Spektakulär etwa "Tennis auf dem Eislaufplatz", "Ringen mit Oktopussen", "Pfeil-und-Bogen-Golf", "Feuerwerksboxen" oder das in den USA bis 1930 enorm populäre und hochgradig gefährliche "Autopolo". Letzteres könnte man heute so in einem "Mad-Max"-Film nachstellen. Dennoch unvergessen schließlich das noch in den 1990er-Jahren umgehende "Skiballett", das "Telefonzellenstopfen" oder das "Fahnenmastsitzen".

Frühe Formen des Ballspiels wurden auch aus politischen Gründen abgelehnt oder gar verboten. Zwar kämpften in England im 16. Jahrhundert ganze Ortschaften gegeneinander. Als "Tore" dienten jeweils die Dorffriedhöfe. Trotzdem wollte die Obrigkeit lieber, dass sich junge Männer mit "sinnvollen" paramilitärischen Tätigkeiten wie Bogenschießen und Schwertkampf beschäftigten. Ein puritanischer Autor merkte damals an: "Fußball fördert Neid und Hass ... manchmal Handgreiflichkeiten, Mord und sehr viel Blutverlust." (Christian Schachinger, 27.11.2016)