Würden sich Vizekanzler Reinhold Mitterlehner, Kanzler Christian Kern und Sozialminister Alois Stöger zusammenraufen, könnte die Mindestsicherung ohne Länder neu geregelt werden, sagen Juristen. Für einen Beschluss müssten aber Abgeordnete wie Reinhold Lopatka (vorne) mitziehen.

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Wien – Monatelang wurde über eine bundeseinheitliche Regelung der Mindestsicherung verhandelt. Eine Einigung schien längst in weiter Ferne. Am Sonntag verlautbarte ÖVP-Sozialsprecher August Wöginger nun, dass derzeit doch noch an einer Lösung gebastelt werde: Zumindest eine Ober- und eine Untergrenze wolle er festlegen. Vizekanzler und ÖVP-Chef Reinhold Mitterlehner hatte zuvor in der ORF-Pressestunde von "Gesprächskontakten" zwischen Rot und Schwarz gesprochen. Auch aus dem Umfeld von Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) ist zu hören, dass das Thema derzeit wieder debattiert werde.

Der Koalitionspartner gibt sich vorsichtiger. Schließlich war es Kanzler und SPÖ-Parteichef Christian Kern selbst, der vergangene Woche die Verhandlungen für gescheitert erklärt hatte. "Vizekanzler Mitterlehner hat lediglich informelle Gespräche bestätigt. Dem ist nichts hinzuzufügen", sagt ein Sprecher des Sozialministeriums.

Befindlichkeiten der Länder

Ein Grund, den Vertreter beider Regierungsparteien immer wieder nennen, warum eine bundeseinheitliche Regelung der Sozialleistung so schwierig sei: Die diversen Befindlichkeiten und Interessen der Länder könnten einfach nicht unter einen Hut gebracht werden. Mitterlehner erklärte am Sonntag, man dürfe es weder der SPÖ noch der Volkspartei vorwerfen, dass keine Einigung erzielt wurde, das Problem sei "die Konstellation der Bundesländer".

Mehrere gewichtige Juristen erheben diesbezüglich nun Einspruch. Den Anfang tat Rechnungshofpräsidentin Margit Kraker, die in der Kleinen Zeitung darauf hinwies: "Der Gesetzgeber müsste gar nicht den langen Verhandlungsweg mit den Ländern beschreiten." Verfassungsjurist Heinz Mayer pflichtet ihr bei. Das "Armenwesen", unter das die Mindestsicherung fällt, ist im Artikel zwölf der Bundesverfassung geregelt, was bedeutet: Der Bund hat die Möglichkeit, die "Grundsätze" in dieser Angelegenheit selbst zu regeln.

Auch Höchstgrenzen festlegen

Was ein Grundsatz ist und wie konkret ein solcher sein darf, sei "eine schwierige Frage", führt Mayer aus. Fest stehe jedenfalls: "In der österreichischen Praxis sind das häufig sehr differenzierte Regelungen." Mindestbeträge sowie eine Höchstgrenze könnten vonseiten des Bundes geregelt werden. Auch eine "Mindestsicherung light" für Flüchtlinge und andere Bezieher, die in den vergangenen Jahren keinen rechtmäßigen Aufenthalt in Österreich hatten, könne der Nationalrat beschließen, ohne die Länder einzubeziehen, sagte der Verfassungsjurist im Gespräch mit dem STANDARD.

Sein Standeskollege Theo Öhlinger erklärte ebenfalls: "Viele Grundsatzgesetze gehen bis ins kleinste Detail, man muss den Ländern nur irgendetwas offenlassen." Der Verfassungsexperte gibt allerdings zu bedenken: "Die Zustimmung im Nationalrat braucht man schon."

Alleingänge der Länder

Ob eine solche nun noch möglich wäre, ist freilich fraglich. Das schwarz-blau regierte Oberösterreich hat bereits im Alleingang eine Kürzung der Mindestsicherung beschlossen, Niederösterreich will noch diese Woche nachziehen – trotz vielfacher Kritik: Die Armutskonferenz hat berechnet, dass die geplante Deckelung bei 1500 Euro je Haushalt Familien mit Kindern, aber auch Behinderte treffen wird. "Niederösterreicher und Niederösterreicherinnen werden vielfach im selben Maße von den Verschlechterungen betroffen sein", kritisierte die Organisation.

Mitterlehner kommentierte den Vorstoß der Rechnungshofpräsidentin mit den Worten: "Guter Vorschlag", aber da die Zeit fortgeschritten sei und manche Länder längst auf eigene Faust agieren, lehne er eine Regelung der Mindestsicherung per Grundsatzgesetz des Bundes ab. Aus dem roten Sozialministerium hieß es: "Das war in den Verhandlungen schon früh Thema, doch die ÖVP wollte das damals nicht."

"Selbstmord" Neuwahlen

Die Koalition sei derzeit jedenfalls nicht in Gefahr: Neuwahlen glichen, so Mitterlehner, einem "Selbstmord mit Anlauf". Deshalb fordert der schwarze Parteichef: "Schluss mit dem ganzen Neuwahlgequatsche, das nützt niemandem!" (Katharina Mittelstaedt, 14.11.2016)