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Rumen Radew bei der Stimmabgabe.

Foto: REUTERS/Stoyan Nenov

Sofia – Wie angekündigt ist die Minderheitsregierung des konservativen bulgarischen Ministerpräsidenten Bojko Borissow am Montagvormittag zurückgetreten. Borissow hatte die Zukunft der Regierung vom Ausgang der Präsidentenwahl abhängig gemacht. Diese hat Regierungskandidatin Zezka Zatschewa mit mehr als 20 Prozentpunkten Abstand deutlich gegen den Oppositionskandidaten Rumen Radew verloren.

Eigentlich hatte bis vor wenigen Wochen niemand ernsthaft gedacht, dass die Präsidentschaftswahl zur Halbzeit der Legislaturperiode eine politische Wende bringen würde. Der Wahlsieg der Regierungkandidatin galt als sicher, was nach einer aus Überheblichkeit erst im letzten Moment verkündeten Nominierung zu einem äußerst langweiligen Wahlkampf geführt hatte.

Rücktritt der Regierung

Nach zehn Wahlsiegen in Folge war der Regierungschef siegessicher. So drohte Borissow bereits im Vorfeld seinen Rücktritt an, sollte seine Mitte-rechts-Partei Gerb mit Parlamentspräsidentin Zatschewa als Anwärterin auf den höchsten Posten im Land die erste Wahlrunde am 6. November verlieren. Die 58-jährige Juristin scheiterte vor einer Woche an Radew, der als Kandidat der oppositionellen Sozialisten ins Rennen geschickt wurde. Nun verlor sie auch die Stichwahl. Die Wähler hievten mit über 59 Prozent den parteilosen Luftwaffengeneral ins Präsidentenamt.

Am Montagvormittag reichte die Regierung ihren Rücktritt ein. "Wir haben offensichtlich keine Mehrheit mehr in dieser Volksversammlung", sagte Borissow zuvor und sprach sich für Neuwahlen aus. Nach Schuldzuweisungen gegenüber dem Juniorpartner im Kabinett, dem zersplitterten konservativen Reformblock, wie auch der Patriotischen Front, die das Kabinett ohne Koalitionsvereinbarung unterstützte, räumte Borissow auch interne Fehler für die erste Wahlniederlage der Gerb seit deren Gründung vor zehn Jahren ein.

Der Wahlsieg des Oppositionskandidaten erschien nach der ersten Wahlrunde als sehr wahrscheinlich. Das ließ die politischen Beobachter nicht länger ausschließen, dass Borissow das Handtuch werfen wird, zumal er das schon einmal getan hat. Beleidigt von den Straßenprotesten gegen seine restriktive Budgetpolitik trat er 2013 wenige Monate vor Ende seiner Amtszeit zurück und stürzte das Land in eine Phase der politischen Instabilität.

Regierungsbildung

Angesichts dessen kommentierte der scheidende Präsident Rossen Plewneliew, ein Regierungsrücktritt führe nicht automatisch zu Neuwahlen. Die Verfassung sieht die Möglichkeit vor, dass das Staatsoberhaupt drei Parlamentsfraktionen hintereinander mit der Regierungsbildung beauftragt und das Parlament erst dann auflöst, wenn es sich in diesen drei Anläufen auf kein Kabinett einigen kann. Das Grundgesetz schreibt vor, dass der Präsident die stärkste politische Kraft im Parlament mit der Regierungsbildung beauftragt. Mit 84 Abgeordneten im 240-köpfigen Parlament wäre das Borissows Gerb. "Wir werden uns unter keinen Umständen an einer nächsten Regierung in diesem Parlament beteiligen", sagte Borissow.

Zweitstärkste Kraft ist die sozialistische BSP, die Nachfolgerin der Kommunisten. Sie verfügt über 38 Sitze und käme nur über komplizierte Koalitionsvereinbarungen mit den übrigen Kleinstparteien zu einer Mehrheit. In einem ersten Kommentar in der Wahlnacht sagte der stellvertretende Parteivorsitzende Janaki Stoilow, die Sozialisten würden auf die Regierungsbildung verzichten. Darüber hinaus sind die Wunden nach dem vorzeitigen Scheitern der Vorgängerregierung immer noch nicht geheilt: Nach monatelangen Regierungsprotesten wurde das Kabinett von Premier Plamen Orescharski nach nur einem Jahr im Amt 2014 zum Rücktritt gezwungen.

Trotz des deutlichen Siegs bei der Präsidentenwahl verkörpert die BSP in der Bevölkerung immer noch die kommunistische Vergangenheit. Das ist auch der Grund, weshalb sich die Parteizentrale für einen parteilosen Kandidaten wie Radew entschieden hatte. Darüber hinaus betonen Beobachter, dass das Ergebnis der Präsidentschaftswahl keinesfalls mit dem Zuspruch verglichen werden darf, den die Parteien bei einer Parlamentswahl bekommen würden.

Verschiedene Szenarien möglich

Welche Partei der Präsident als dritte mit der Regierungsbildung beauftragen wird, steht ihm zur freien Wahl. Wenn es auch dann nicht zur Regierungsbildung kommt, sollten nach Auflösung des Parlaments vorgezogene Wahlen anberaumt werden. Doch genau das wird ohne eine Deutung des Verfassungsgerichts wohl kaum möglich sein, denn die Verfassung weist eine Lücke auf. "Artikel 99 des Grundgesetzes besagt, dass der Präsident das Parlament nicht auflösen und keine Neuwahlen ansetzen darf, wenn ihm weniger als drei Monate bis Ablauf seiner Amtszeit verbleiben", sagte die ehemalige Verfassungsrichterin Emilia Drumewa in bulgarischen Medien. Der Präsident dürfe lediglich eine Interimsregierung ernennen. Plewneliew ist bis 20. Jänner im Amt. Somit erwartet man, dass erst Radew vorgezogene Wahlen ansetzt, die laut Verfassung nicht vor dem 20. März stattfinden können.

Der Regierungsrücktritt heißt auch nicht automatisch, dass sich das Kabinett Borissow verabschiedet. Beobachter halten es für möglich, dass das Parlament gegen den Rücktritt stimmt. So würde der Ministerpräsident sein Wort halten, bei einer Wahlniederlage zurückzutreten. Zugleich riskiert er aber, dass die Unglaubwürdigkeit seiner Regierungspartei sich nur noch vertieft.

Ein ebenfalls mögliches Szenario ist, dass der Regierungsrücktritt vom Parlament zwar verabschiedet wird, die Gerb aber mit einem anderen Ministerpräsidenten und nur in einer Koalition mit den nationalistischen Fraktionen der Patriotischen Front und der Ataka-Partei ein Kabinett bildet. Der gemeinsame Kandidat der Nationalisten, Krassimir Karakatschanow, hatte in der ersten Wahlrunde immerhin rund 15 Prozent der Stimmen erzielt. Vor einer Woche hat Karakatschanow bereits entsprechende Andeutungen gemacht: "Besser als Neuwahlen wäre eine Regierung im Rahmen des jetzigen Parlaments, die sich auf die nationalen Interessen des Landes konzentriert."

Zwischen beiden Wahlgängen hatte Borissow alle Register gezogen, um das Ruder herumzureißen. Das Motto seiner Medienauftritte: entweder politische Stabilität mit Zatschewa als Präsidentin oder populistischer Kurswechsel. Dafür spricht auch das Ergebnis aus dem mit der ersten Wahlrunde am 6. November zeitgleich abgehaltenen Referendum zum Wahlrecht, bei dem sich mehr als 3,5 Millionen Bürger gegen das jetzige politische System aussprachen. Mit überwältigender Mehrheit von durchschnittlich 80 Prozent sprachen sich die Wählerinnen und Wähler für die Einführung der Mehrheitswahl und einen drastischen Einschnitt bei den Parteisubventionen aus.

Referendum

Zwar reicht die Wahlbeteiligung nicht aus, dass aus dem Referendum automatisch ein Gesetz wird, dafür aber muss das Parlament entscheiden. Die zwei größten politischen Kräfte – Gerb und BSP – haben bereits ihre Unterstützung für diese Änderung des Wahlrechts erklärt. Borissow kommentierte die Unzufriedenheit der Bürger vom politischen System, die sich im Ergebnis des Referendums niedergeschlagen hat. Er sprach sich in der Wahlnacht für Verfassungsänderungen aus, ohne auf weitere Einzelheiten einzugehen.

Das Referendum ist das Produkt eines populären Fernsehshowmasters, der mit populistischen Parolen für das Mehrheitswahlrecht und die Streichung der staatlichen Parteisubventionen geworben hat, ohne die Auswirkungen auf das unreife parteipolitische System in der neuen Demokratie Bulgarien zu erläutern. Mehr noch – der Showman Slawi Trifonow lässt die Frage nach einer möglichen politischen Karriere noch offen.

Zu den Populisten, die in Bulgarien traditionsgemäß relativ viele Wählerstimmen auf sich vereinen, gehört diesmal auch der Geschäftsmann Wesselin Mareschki, der in der ersten Runde der Präsidentschaftswahlen rund zehn Prozent der Stimmen bekam. Auch seine politische Zukunft ist noch ungewiss. Gewiss ist aber, dass ein mögliches Erstarken der Populisten im nächsten Parlament das Land in eine neue Phase der politischen Instabilität bringen würde. (red, APA, 13.11.2016)