Einer von mehreren österreichischen Beiträgen im Duisburger Wettbewerb: In "Holz Erde Fleisch" von Sigmund Steiner lernt die kleine Tochter des Waldbauern das Gebot der Nachhaltigkeit.


Foto: Stadtkino

In den Duisburger Einkaufsstraßen steht fast jeder dritte Laden leer. Und auch im Wohnviertel rund um den Dellplatz deutet sich die Gentrifizierung mit neuen Cafés und Galerien nur zart an. Hier liegt das Filmforum, ein Zwei-Säle-Kino mit Gastronomie, wo jeden Herbst für eine Woche Aficionados aus dem deutschsprachigen Raum zusammenkommen, um gemeinsam Dokumentarfilme zu sehen und zu besprechen. Dabei liegt der Akzent auf gemeinsam. Denn das Einzigartige der Filmwoche ist der heute luxuriöse Umstand, dass es nur eine einzige Programmschiene gibt und nach jeder Vorstellung eine lange Pause, um das Gesehene in einem Extrasaal ausführlich nachzubereiten. Zusätzlich werden diese Gespräche protokolliert und ins Netz gestellt.

Vierzig Jahre wird die Filmwoche dieses Jahr alt. Und die von den Filmschaffenden einst gefürchtete Schärfe der Befragung ist längst wohlwollender Neugier gewichen. Auch im Publikum ist Kontroverse eher rar. Der mit Safari erwartbar umstrittene Ulrich Seidl hat sich dabei durch Krankheit entzogen. Blieb als Streitfall Volker Kösters Kurzfilm Wo Feuer ist, ist auch Rauch, der ein im letzten Jahr weltweit verbreitetes Youtube-Video einer kritischen Analyse unterzieht.

Es geht um die Brandattacke auf ein Polizeiauto in Paris am 18. Juni, deren Bilder im Rahmen der Kämpfe um das neue Arbeitsrecht ins mediale Rampenlicht gerieten und Stimmung gegen Demonstranten machten. Durch Internet-Recherche fand Köster heraus, dass bei der Aktion offensichtlich beteiligte polizeiliche Provokateure durch Schnitt und Bearbeitung des Films vertuscht wurden. Diese Recherche rekonstruiert er erhellend (und hoffentlich wirkmächtig) in seinem Film, bekam aber den Vorwurf, mit seiner auf Texttafeln erzählten Version der Ereignisse selbst wieder Geschichtsklitterung zu betreiben.

Versuchsanordnungen

Bilderpolitisch immer korrekt dagegen Philip Scheffner, der in Havarie ebenfalls ein im Netz gefundenes Video (es zeigt ein treibendes Flüchtlingsboot) aufgreift, dessen drei Minuten er auf 93 aufbläst und mit einer vielstimmigen Audiocollage unterlegt. Diese Form fand der Film, der nach weltweiter Festivalreise in Duisburg den Arte-Preis erhielt, erst spät, weil die Filmemacher bei der Postproduktion von der medialen Vehemenz der Flüchtlingsströme aus ihrem ursprünglichen Konzept geworfen wurden. (Die zweite, von 3sat gestiftete Auszeichnung ging ästhetisch komplementär an Patrick Chihas barocke Stricher-Hommage Brüder der Nacht.)

Foto: Duisburger Filmwoche

In eine ähnliche historische Verschiebung geriet auch Stefan Hayns Dahlienfeuer, der an einem Tag des Sommers 2014 in einer Berliner Blumenschau mit Besucherinnen ins erstaunlich intime Gespräch über ihr Leben, die Weltlage, deutsche Geschichte und das Bildermachen kommt. Denn die Befragten sind selbst auf Blüten-Fotopirsch unterwegs. Der leise Film besticht durch die Offenheit seiner improvisierten, immer in Bewegung bleibenden Versuchsanordnung – und ist heute bereits ein historisches Dokument einer Ära, als man sich in Europa noch fern der globalen Krisenherde wähnte: eine der vielen Möglichkeiten, das Festivalmotto "Es ist Zeit" zu deuten.

Viel Zeit nimmt sich eine Sektion des Festivals, die neben der Woche am Dellplatz das ganze Jahr über visuelle Bildung in Schulen der Region betreibt: "Doxs!", so heißt die Jugendsektion der Filmwoche, feierte ihr 15-Jahr-Jubiläum und bekam dazu mit dem ECFA Documentary Award auch einen neuen, leider von Erwachsenen gekürten Preis. Die traditionelle "Große Klappe" wurde dagegen von einer 14-köpfigen Schülerjury gewählt, die mit dem britischen Rechtspopulisten-Porträt Black Sheep (Regie: Christian Cerami) dokumentarischen Sinn für den ungeschönten Blick auf die raue Welt bewies. (Silvia Hallensleben, 13.11.2016)