Hubert Winkels war nach Franziska Augstein ("SZ"), Andreas Breitenstein ("NZZ") und Elke Schmitter ("Spiegel") heuer als Kritiker bei der Buch Wien zu Gast.

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STANDARD: Kann man Bücher lieben?, fragen Sie in Ihrem gleichnamigen Buch. Ihre Antwort fällt differenziert aus. Obwohl oder gerade weil sich bei Ihnen zu Hause tausende Bücher stapeln?

Winkels: Ich habe in dem Buch versucht, mein Leben mit Büchern als materiellen Gegenständen zu beschreiben. Seit meinem 15. Lebensjahr sammle, horte, stapele ich Bücher und mache jeden Tag eine Art freiwilligen Bibliotheksdienst, bis mir irgendwann alles zu viel wurde und ich aufgrund einiger Umstände anfing, Bücher eher zu hassen. Ich wollte wieder einen Freiraum haben, weil ich nicht mehr klarkam, sozusagen zugewachsen war von Büchern. Man könnte sagen, es ist nur möglich, Bücher zu hassen, wenn man sie geliebt hat. Ja, man kann sie lieben, und einzelne begleiten einen durchs Leben. Umgekehrt aber: Es gibt viele Menschen, die ein Lieblingsbuch haben und im Grunde ihre Lebenseinstellung auf ein Buch zurückführen. Das gilt für mich nicht, ich gehöre nicht zu denen, die Bücher affektiv zu Ikonen ihres eigenen Lebens stilisieren. Dafür bin ich wahrscheinlich doch zu nüchtern.

STANDARD: Früher, schreiben Sie aber, konnte man mit Belesenheit noch Frauen beeindrucken.

Winkels: Das stimmt, ich habe so meine Ehefrau kennengelernt – und auch darüber geschrieben. In meinen Zwanzigern herrschte die linksintellektuelle Aufbruchkultur, in der Adorno, die Frankfurter Schule, aber auch Foucault, Lacan und Derrida eine große Rolle spielten. Damals war mit dem Lesen ein Gefühl von Avantgarde und Boheme verbunden, das die Autoren, zum Beispiel Foucault, durchaus auch vertraten. Das waren keine Stubengelehrten, sondern öffentliche Erscheinungen mit Charisma. Sexualität in Verbindung mit Politik und Alltag war ein Thema, Psychoanalyse und Marxismus wurden ineinandergeschraubt, und aus dieser Welt, in der sich Theorie mit Literatur verband, konnte man eine Lebensform machen, die andere mitgerissen hat. Nicht nur, was die Liebe betrifft, sondern auch in Freundschaften oder Gruppen. Das war die Zeit, in der ich Lesen und Denken gelernt habe. Die Idee, dass Lesen mit allem zu tun hat und nicht nur mit irgendeinem einzelnen Segment, hat mich nie mehr losgelassen. Es geht immer um alles.

STANDARD: Sie sind als Autor, Kritiker und Redakteur seit 40 Jahren im Geschäft. Was hat sich verändert?

Winkels: Ich würde sagen, dass die allgemeine Akzeptanz und Bedeutung einer literarischen Kultur im weiteren Sinn, die alle Lebensbereiche durchdringt, stark abgenommen hat, was natürlich auch, aber nicht nur mit dem Medienwandel zu tun hat. Die Selbstverständlichkeit von Kritik, also des Be- und Hinterfragens, ist geschwunden. Umgekehrt werden ablaufende Prozesse wie selbstverständlich akzeptiert. Das ist eine Krankheit, die alle Lebensbereiche erfasst. Es wird optimiertes Funktionieren angestrebt.

STANDARD: Sie sprechen von Affirmation ...

Winkels: Man kann jetzt beispielsweise beobachten, und das verstört mich zutiefst, dass sich nach dem Wahlerfolg Trumps viele – und nicht nur Politiker – zu überlegen scheinen, wie man sich am besten den neuen Verhältnissen anpasst. Das wäre spätestens bei Feuilletonisten nicht mehr zwingend nötig, die nun teilweise überlegen, ob sie vielleicht, geblendet durch ihren starken Linksliberalismus, den Rechtspopulismus nicht ernst genug genommen haben. Diese Selbstkritik ist eine Anpassungsgeste, die etwas Devotes hat. Das stört mich, man muss das Unheil benennen und diesen Vorgang in seiner ganzen brutalen und unanständigen Härte wahrnehmen und nicht sofort neu justieren und schauen, wie es dann weitergeht. Dieses Bedürfnis, sich letztlich gleitend und smart neuen Verhältnissen anzupassen, stört mich.

STANDARD: Wo sehen Sie die Potenziale und Probleme der Buch Wien?

Winkels: Um mit dem Problem anzufangen, ich beobachte, dass die Präsenz der Buch Wien in der Stadt durch Plakate, Aushänge etc. und auch in den Medien zu schwach ist. Man mag sagen, es handelt sich um eine eher kleine Messe, trotzdem sind derart viele hochklassige Autoren hier, dass man sich wundert, warum eine Stadt wie Wien das nicht stärker kommuniziert. Um zwei Vergleiche heranzuziehen: Die lit.Cologne in Köln, wie teilweise die Buch Wien auch ein Lesefest, hat die ganze Stadt im Griff. Auch in Leipzig ist das so – jedoch nicht in Wien. Vielleicht auch, weil Wien so unendlich reich an alter und gegenwärtig ablaufender Kultur ist. Hier sehe ich auch die Potenziale, falls es gelingt, die Vielzahl von Veranstaltungen und Lesungen etwas präziser zu choreografieren und zu planen. Es reicht nicht, einfach Autoren einzuladen, was ich den Organisatoren auch nicht unterstelle, ich will nur sagen, dass ich da große Möglichkeiten sehe – auch, was die Veranstaltungsorte betrifft. Und in dieser Hinsicht, also der Verknüpfung von Stadt, Thema und Autor, wird ja schon viel gemacht, etwa wenn Peter-André Alt im Wien-Museum am Karlsplatz seine neue Freud-Biografie vorstellt. (Stefan Gmünder, 14.11.2016)