Zarte Poesie und elementare Wucht: Aus der Serie "Ones" (1,62 mal 2,25 m), entstanden in den Jahren 2012/13. Hubert Scheibl erforscht mit den Mitteln der Malerei deren unendliche Möglichkeiten.

© Hubert Scheibl, Foto: Ditz Fejer

Ein weiteres Werk aus der Serie "Ones".

© Courtesy Galerie Thaddaeus Ropac, Salzburg/Paris

Wien – Ob er denn für die Serie Nicotine on Silverscreen tatsächlich Nikotin als Malmittel verwendet habe, fragt eine Besucherin. Und welche Auswirkungen dieser Rauchinhaltsstoff auf die Bilder habe? Hubert Scheibl lächelt: "Zumindest beschleunigt Nikotin die Endlichkeit unseres Lebens." Und, ja, der Titel sei – wie im Übrigen viele andere – eine Metapher. Wofür? Ist Ansichtssache.

Hubert Scheibl, "Das ist eine sehr schöne Zeichnung, Dave..." (2001: Odyssee im Weltraum), 2008.
© Hubert Scheibl

Denn alle seine Bildtitel - viele Zitate aus Filmen wie Stanley Kubricks 2001: Odyssee im Weltraum oder Matrix – sind bestenfalls anspielungsreiche Hinweisschilder für Sehreisen zu den Elementarteilchen der verschatteten, gischtenden, aufgewühlten, vielschichtigen, auf- und eingekratzten Scheibl-Welten. Deren Schöpfungsprozesse können Besucher übrigens mittels virtuellen Atelierbesuchs nachvollziehen: Wer im letzten Raum eine astronautenähnliche Brille überstülpt, fliegt in einem schwindelerregenden 360-Grad-Schwenk durch das lichtdurchflutete Künstlerlabor.

Bewegung als Form

Fly heißt die den Geist, die Fantasie und alle Sinne beflügelnde Personale mit 34 Arbeiten der letzten Jahre (am Dienstag eröffnet übrigens auch die Wiener Galerie Charim eine Scheibl-Ausstellung). Das titelgebende Werk ist das einzige mit einem klar identifizierbaren Inhalt, einer Ratte. Es ist mit 1,75 mal drei Meter, im Vergleich zu den monumentalen Formaten, nahezu klein.

Hubert Scheibl "Fly" (2005/06).
© Hubert Scheibl

Raum, Zeit, Bewegung sind Scheibls Parameter. Malerei als bildgewordene Körperspur, Bewegung als Form: "Die Hand", sagt Scheibl, "lügt nicht". Der Rainer- und Weiler-Schüler, Jahrgang 1952, Teilnehmer der Biennalen von São Paulo und Venedig und in den 1980ern einer der Neuen Wilden, pinselt keine leicht lesbaren Geschichten auf die bis zu drei mal zwei Meter großen Leinwände. Sondern er erforscht mit den Mitteln der Malerei deren unendliche Möglichkeiten, ihre zarte Poesie und elementare Wucht, ihre Abgründe und Melodien. "Seine Malerei bildet nicht ab, sie ist", schreibt Kurator Mario Codognato im Katalog. (Jedes Exemplar ist übrigens durch Scheibls individuelle Cover-Gestaltung ein Unikat.)


Wer unbedingt will, kann freilich auch Versatzstücke unserer sichtbaren Welt erkennen, Kaskaden, wiesengrüne Seen, weißglühende Vulkane, Blüten, Gestänge, Federn, Bänder – und, tatsächlich, einen Schuhabdruck. Immer einmal muss Scheibl bei seinen Riesenformaten ins Bild steigen.

Raum-Bild-Sequenzen

Wie ein von Zigarettenrauch fleckiger, über die Jahre grautrüb gewordener Spiegel wirft ein wandfüllendes Ölgemälde aus der Nicotine -Serie die Besucher gleich beim Eingang wieder auf die eigene Existenz zurück. Verschleiert den Blick auf das dahinterliegende Geheimnis. Auf eine den Bildern adäquate Ausstellungsarchitektur, stimmige Raum-Bild-Sequenzen, die Scheibl diesem White Cube der Orangerie eingepasst hat. Im Unteren Belvedere und nicht etwa im 21er-Haus auszustellen war Scheibls ausdrücklicher Wunsch. Denn nur hier sah er die Chance, die seinen Bildern im wahrsten Wortsinn angemessene Rauminstallation verwirklichen zu können.

Hubert Scheibl "Nicotine on Silverscreen" (2009).
© Hubert Scheibl, Foto: Christian Schindler

Ungewöhnlich tief, nur wenige Zentimeter über dem Boden, dicht an dicht hängen die Werke. Kein Ausweichen. Kein Wegschauen. Kein Entrinnen. Sondern extreme Nähe. Osmose zwischen Mensch und Kunst. Die Betrachter werden von den Bildern förmlich an- und aufgesogen, bis sie durch die Farbschichten hindurch – ja, worauf stoßen? Auf eine innere Wahrheit, die Kunst und nur Kunst vermitteln kann.

Oder, in Scheibls Worten: "In der Alchemie des Sehens ist die Grenze unserer Bilder die Grenze unserer Welt. Das Bild wirkt oft wie ein 'Gedächtnisrestl', eine Spur, die über das hinausweist, was zu sehen ist. Meine Arbeit ist eine forschende Bewegung, die sich mehr intuitiv unbekannten Energiefeldern und -formen nähert. Ein ständiges Oszillieren zwischen hüben und drüben." (Andrea Schurian, 14.11.2016)