Zwei Cannabisstauden im Garten haben: das befürwortet der spanische Arzt Mariano García de Palau, von Joints hält er aber nichts.

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Ein schmerzfreies Leben war für Carola Pérez (37) unvorstellbar. Seit einem Steißbeinbruch, den sie im elften Lebensjahr beim Inline-Skaten erlitt, unterzog sie sich elf Operationen. Schlussendlich wurde der kompliziert gebrochene Knochen schlichtweg entfernt. Doch chronische Schmerzen brachten Pérez bis zu einem Punkt, als sie unter dem Einfluss opiathaltiger Schmerzmittel ihre eigenen Eltern um aktive Sterbehilfe bat. Sie hatte es satt: "Ich war in einem Tunnel, in dem es keinen Funken Licht mehr gab", sagt sie.

Heute leitet Peréz als Mitbegründerin von Dosemociones, eine NGO für Patientenberatung zur medizinischen Nutzung von Cannabis. Denn es war ein Tee aus Cannabisblüten und Milch, der ihr erstmals nach mehr als einer Dekade "das Gefühl der Erleichterung, der Ruhe gab". Peréz war für einige Stunden vom permanenten Schmerz abgelenkt, wenn nicht befreit, betont sie. Heute hat sie Zugang zu Wirkstoff-Tropfen mit Tetrahydrocannabinol (THC) und auf Inhalt, sowie möglichen Schwermetall- oder Pestizidgehalt hin analysierten Cannabis-Blüten, die sie mittels Verdampfer (engl. Vaporizer) konsumiert.

Weltweit befindet sich die Gesetzeslage, aber auch der Umgang der Mediziner im Thema Cannabis im Umbruch. Nicht nur in den USA, Kanada, Deutschland, Italien oder etwa Finnland, bis Uruguay und Neuseeland findet ein Umdenken statt. Weg von der "Droge" Cannabis, finden mehr und mehr Patienten Zugang zu einer Substanz, die seit Jahrzehnten verteufelt war.

Legal und illegal

Präparate wie CBD-Öle (Cannabidiol) etwa, die als Tropfen unter der Zunge verabreicht werden, oder wegen ihrer entzündungshemmenden Wirkung auch als Cremes gegen Schuppenflechte Einsatz finden, sind problemlos, meist als Lebensmittelzusatzstoffe legal erhältlich. Doch befindet man sich beim ebenso medizinisch wirksamen, aber psychoaktiven THC in Spanien in einer Grauzone.

Die rechtskonservative Regierung unter Interimspremier Mariano Rajoy (Partido Popular) versuchte zuletzt nicht nur gegen die "Cannabis Clubs" vorzugehen. Wo man dank einer Gesetzeslücke als Verein organisiert zum Eigenbedarf auch für den rekreativen Konsum Cannabisblüten aus vereinseigener Produktion erwerben kann. Zahlreiche solcher Vereine wurden nach einem Höchstgerichtsspruch zur Schließung gezwungen, wie der La Santa oder Le Club.

Knapp 80 Cannabis-Patienten, darunter auch Pérez, standen auf einmal ohne Zugang zu Blüten da. Auf der anderen Seite zeigt sich der Gesetzgeber auch in punkto Eigenanbau mit den umstrittenen "Knebelgesetzen" (span. Ley Mordaza) weit weniger tolerant. War einst der Eigenanbau von bis zu drei Pflanzen pro Person zumindest toleriert, drohen nun bis zu 1000 Euro Bußgeld den Kleingärtnern, pro Pflanze wohlgemerkt. Sofern die Stauden auf Balkon oder Terrasse erspäht werden.

Cannabis bei Gehirntumor

Es war der Molekularbiologe Manuel Guzmán von der Universidad Complutense in Madrid, der zuletzt mit einer Studie zum bösartigen Hirntumor Gliom und hochdosierten THC an Mäusen auch international für Aufsehen sorgte. Indem er nachweisen konnte, dass der Cannabiswirkstoff nicht nur das Wachstum der Krebszellen hemmt. Sondern auch deren Zelltod einleitet. "Mit Cannabis zu forschen ist extrem umständlich", betont Guzmán: "Weil Institutionen, wie Universitäten, aber auch Pharmakonzerne lieber mit einfacher-handhabbaren Substanzen arbeiten."

Die belegten positiven Wirkungen wären, wie Guzmán unterstreicht, "die Schmerzlinderung, bei neurodegenerativen Problemen mit der Motorik, aber auch Spasmen, in der Epilepsie bei Kindern, und eben als Appetitanreger bei chronischen Erkrankungen". Zudem könne es bei Depression, Schlafstörungen und Stress dienlich sein. Ergebnisse klinischer Studien am Menschen zu Cannabis-Wirkstoffen gibt jedoch bislang noch keine.

"Es ist das Paradox, dass wir bereits mit guten Ergebnissen Krebspatienten mit THC behandeln, und dass man noch immer keine valide, klinische Studie an Menschen zur Wirkung auf den Weg bringen konnte", kritisiert der Mediziner Mariano García de Palau. Er hat 2012 die Kalapa Clinic in Barcelona gegründet und behandelt derzeit zirka 450 Patienten, darunter auch einen Österreicher wie er sagt.

Cannabis bei Krebs und Epilepsie

Knapp die Hälfte davon wären Kinder mit Epilepsie. Ein Viertel Krebspatienten in Chemotherapie. Zu denen auch ein Kollege und Freund von ihm aus Finnland zähle. "Es ist weder legal noch illegal Cannabis in Spanien zu verwenden. Es ist nicht geregelt", sagt García de Palau, der selbst in Studienzeiten Cannabis konsumierte: Vom Joint-Rauchen rät er als Arzt ab, wegen der Krebsrisiken. Seinen Patienten rät er zum Verdampfen der Blüten mittels Vaporizer. Und dem Eigenanbau.

"Es spricht nichts dagegen im Garten neben den Tomaten zwei oder drei Cannabisstauden zu haben. Der Anbau der Pflanzen per se ist bereits ein therapeutischer Akt." Essenziell sei, dass die Cannabisblüten auf ihre Inhaltsstoffe analysiert werden, um sie auf ihren Wirkstoffgehalt hin wiegen und korrekt dosieren zu können. (Jan Marot, 15.11.2016)