Durch sein Atelier fliegen Kanarienvögel und Kolibris, aus dem Bücherregal lugen Geckos und Salamander hervor, und um Punkt zehn Uhr vormittags beginnt es hinter dem Schreibtisch zu regnen. Patrick Blanc, Botaniker und Künstler, wohnt und arbeitet in einem künstlich geschaffenen Urwald in einer ehemaligen Werkstatt in Ivry-sur-Seine, nur wenige Schritte vom Pariser Verkehrsinferno Périphérique entfernt. Das Grün sei nicht nur inspirierend für seine Arbeit, meint der 63-Jährige, der sich mit seinen grün gefärbten Haaren zu inszenieren weiß, sondern auch ein Temperatur- und Feuchtigkeitsregulator fürs gesamte Haus.

Patrick Blanc, Botaniker und Künstler.
Patrick Blanck

Berühmt wurde Blanc mit seinen vertikalen Gärten, den sogenannten "Murs Végétals", die er bereits in aller Welt realisierte. Zu den bekanntesten Projekten zählen der Innenhof im Hotel Pershing Hall in Paris (2001), die Fassade des Musée du Quai Branly (2006), die Caixa Forum in Madrid (2007), die Konzerthalle in Taipeh (2007) sowie das 2010 eröffnete Hotel Sofitel in Wien. Zuletzt waren es grüne Wände in Berlin, Ibiza, Beirut, Dubai, Singapur, Sydney, Miami, New York und San Francisco. "Im unmittelbaren Bereich einer Mur Végétal wird das Mikroklima verbessert, weil sie die Luft filtert und Schimmelpilze und Bakterien bekämpft", erklärt Blanc. "Im größeren Maßstab geht es eher um eine gesellschaftliche Sensibilisierung für das Thema Grün in der Stadt."

Mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung lebt heute bereits in Städten, und wenn alle Menschen, die eine gewisse Sehnsucht nach Grün befriedigen wollen, am Abend oder am Wochenende ins Auto steigen und aus der Stadt hinausfahren, so Blanc, dann mache das die globale Ökologiediskussion auf einen Schlag kaputt. Es sind daher genau diese kleinen Dosen städtischen Grüns, die das urbane Klima verbessern können. Egal, ob es sich dabei nun um eine blühende Feuermauer oder um Urban Gardening mit Tomatenstauden und innerstädtischem Miniatur-Kartoffelacker handelt.

Mehr Grün, weniger Grade

"Urbanes Grün ist ein sinnvolles Gestaltungselement, das sich auf die Lebensqualität und auf das Verhalten der gesamten Bevölkerung auswirkt", meint die Stadtplanerin Helga Fassbinder. "Doch die unmittelbaren Vorteile sind noch viel weitreichender. Studien haben ergeben, dass man mit zehn Prozent mehr Grün die sommerliche Temperatur in den Städten um bis zu drei Grad Celsius senken kann." In großen Ballungsräumen wie etwa Tokio, erzählt Fassbinder, habe man sogar herausgefunden, dass die lokale Temperatur dank Nachbegrünung um bis zu 13 Grad reduziert werden kann. "Das muss man sich einmal vorstellen!"

Und noch eine Außenwand ist grün: hier das Pariser Musée du quai Branly.
Patrick Blanck

Schon seit 2004 befasst sich die in Amsterdam lebende Stadtplanerin, die an der TU Eindhoven und an der TU Hamburg-Harburg unterrichtet, mit unterschiedlichen Konzepten für Stadtbegrünung. Damals gründete sie die Stiftung Biotope City. Zu den wichtigsten Projekten der international tätigen Foundation zählen vor allem Nachbegrünungen im kleinen Maßstab. "Grün ist ein relativ simples Mittel, um die Probleme zu mildern, die der Klimawandel uns beschert", sagt Helga Fassbinder. "Grüne Hecken entlang von städtischen Straßen beispielweise können den Feinstaub in der Stadt um ein gutes Drittel reduzieren."

Auch Andreas Matzarakis, Leiter des Zentrums für Medizin-Meteorologische Forschung Freiburg (ZMMF), spricht sich in seinen Vorträgen regelmäßig für die Nachbegrünung der Stadt aus. "In der Meteorologie sprechen wir von insgesamt neun Belastungsstufen", erklärt der Bioklimatologe. "Und allein schon ein paar Bäume auf der Straße können den thermischen Stress in der Stadt um zwei Hitzebelastungsstufen reduzieren. Bäume emittieren Kohlenwasserstoffe, binden Staub und Feinstaub, liefern Sauerstoff und Schatten und können aufgrund der Verdunstung die tatsächliche und gefühlte Lufttemperatur reduzieren." Vor allem aber, und darauf werde in der Stadtplanung regenreicher Städte oft vergessen, sind Bäume und Grünflächen in der Lage, Wasser zu speichern und das Kanalisationsnetz bei starken Niederschlägen zu entlasten.

Wo ist die Pflanzenlobby?

Trotz aller Studien und Beweise scheinen die Bemühungen aussichtslos zu sein. Vielen Stadtregierungen sind die Hochrechnungen zu vage. Kritiker polemisieren, sie würden lieber Millionen von Euro in die nachträgliche Bekämpfung der klimatischen und gesundheitlichen Symptome buttern, anstatt auch nur einen Bruchteil davon präventiv in eine grünere Stadt- und Freiraumplanung zu investieren.

"Wir sind erst am Anfang", sagen Fassbinder und Matzarakis. "Stadtplaner und Architekten interessieren sich für Grünraumplanung nur rudimentär, und die Landschaftsarchitekten sind als Gruppe noch nicht stark genug, um sich gegen diesen Umstand vereint zur Wehr zu setzen." Doch das mit größte Problem scheint der geringe Preis zu sein. "Grün ist ein vergleichsweise billiges Material, das über keine milliardenschwere Industrie und somit auch über keine Lobby verfügt", lautet das Fazit der beiden.

Begrünung in der Universitätsstadt Aix-en-Provence. Foto: Blank
Patrick Blanck

Dass es auch anders geht, beweist eine Vielzahl internationaler Projekte, die es allesamt geschafft haben, eine immaterielle Lobby hinter sich zu vereinen. Unter dem Begriff "Green Infrastructure" (GI) entstanden Parkanlagen, Flussbett-Renaturalisierungen und urbane Wasseraufbereitungskonzepte. "Die Tage singulärer Nutzung und Arbeitsweise sind vorbei", sagt der New Yorker Landschaftsarchitekt Ken Smith. "War es früher ein einziges Problem, das es mit einem Landschaftsprojekt zu lösen galt, so reden wir heute bereits von einer Art Multifunktions-Infrastruktur, die viele unterschiedliche Aspekte abzudecken hat."

Eines der wohl berühmtesten und meist publizierten Projekte dieser Art ist die Highline von Diller Scofidio+Renfro in New York City. Die Revitalisierung und Begrünung der stillgelegten Subway-Strecke zwischen Meatpacking District und Hudson Yards ist nicht nur ein attraktiver linearer Park, sondern auch ein infrastruktureller Impuls für die gesamte Region. Seit der Fertigstellung des ersten Bauabschnitts 2009 ist der Auto- und Taxiverkehr auf der Lower West Side deutlich zurückgegangen, und der Anteil der Passanten im ohnehin fußgängerfreundlichen Manhattan steigt von Jahr zu Jahr. In den kommenden Jahren soll die Highline bis zu den Gleisanlagen der Penn Station weiter ausgebaut werden.

Auch die Renaturierung des rund sechs Kilometer langen Kanals Cheonggyecheon in Downtown Seoul brachte infrastrukturelle und verkehrstechnische Wechselwirkungen mit sich, die bis heute schon über die eigentliche Projektgröße des neu geschaffenen Flussparks weit hinausgehen. Obwohl die einst über dem Cheonggyecheon verlaufende Stadtautobahn abgerissen wurde, ließ der von Projektgegnern herbeiprophezeite Verkehrsinfarkt auf sich warten. Ganz im Gegenteil. Erstmals nach vielen Jahrzehnten bekam die südkoreanische Hauptstadt einen grünen Impuls, der die sonst so gern motorisierten Bewohner wieder zum Fußmarsch anspornt. Obwohl er von vielen Fachleuten als zu künstlicher und zu inszenierter Eingriff à la Disneyland kritisiert wird, entwickelte sich der Cheonggyecheon zu einem beliebten Naherholungsgebiet, das zu jeder Tages- und Nachtzeit von Menschenmassen überrannt wird.

Der Park als Auffangbecken

In Toronto wurde erst kürzlich der Sherbourne Common Park eröffnet. Auch hier spielt Wasser eine wichtige Rolle, denn das grüne Kleinod an der Waterfront ist nicht nur ein Landschaftspark, sondern in erster Linie ein Regulator für Stürme und Überschwemmungen. Unter dem 1,5 Hektar großen Park befindet sich eine Wasseraufbereitungsanlage, die das verschmutzte Wasser mittels Biofiltration und UV-Technologie wieder nutzbar machen soll.

"Vor zwanzig Jahren wäre so ein komplexes Projekt undenkbar gewesen", sagt Projektleiter Greg Smallenberg, Partner bei PFS Studio in Vancouver und Mitglied der American Society of Landscape Architects (ASLA). "Heute jedoch wird Landschaftsarchitektur mehr und mehr zur Breitbanddisziplin, die in ihrem Umfeld immer mehr technische und infrastrukturelle Aufgaben abdeckt." Wenn dieses System Schule macht, wenn diese Erfolge in der Bevölkerung kommuniziert werden, dann könnte Landschaftsarchitektur ein Dienstleistungszweig mit Mehrzweckpotenzial werden.

Vertikale Gärten von Patrick Blank
Patrick Blanck

Das vielleicht radikalste Exempel für grüne Infrastruktur befindet sich übrigens in Taichung. In der Drei-Millionen-Einwohner-Metropole an der Westküste Taiwans errichtete der französische Architekt Philippe Rahm den Jade Eco Park. Die sieben Hektar große Parkfläche, die vor wenigen Monaten in Betrieb genommen wurde, ist nicht nur ein Naherholungsgebiet, sondern in erster Linie ein technisches Pionierprojekt, in dem die Natur, so scheint es, ausgetrickst und überboten wird.

"Gerade im Sommer bietet Taichung feindliche Bedingungen, die den Aufenthalt an der frischen Luft unangenehm und schwierig machen", sagt Rahm, der sich selbst als Hybrid aus Architekt, Ingenieur und Wissenschafter bezeichnet. Das liegt nicht nur am Smog und am subtropischen Klima, sondern auch am lokalen Heizkraftwerk, das mit 37 Millionen Tonnen pro Jahr den weltweit größten Kohlendioxidausstoß seiner Art hat. "Daher wollen wir die Luftqualität im Jade Eco Park verbessern. Orientierungspunkt für die ersehnte Luftqualität ist die klimatisch gemäßigte und dünn besiedelte Ostküste Taiwans."

Wind aus der Konserve

Man nimmt Maschinen zu Hilfe: Wasserzerstäuber, die für Verdunstungskälte sorgen, künstliche angelegte Verdunstungsbecken entlang der Wege sowie eine Vielzahl von Feuchtigkeitsabsorbern, die die solcherart angereicherte Luft auch wieder trocken machen. Über künstliche Nebelanlagen, über Wasserdüsen, die quer über den Park verstreut sind, sowie über ab und zu unterirdisch installierte Kühlanlagen – eine Art umgekehrte Fußbodenheizung für Mutter Natur – wird nicht nur die unmittelbare Parkluft gekühlt, sondern auch für thermischen Luftaustausch zwischen den einzelnen Hoch- und Tiefdruckinseln gesorgt. So entsteht Wind aus der Konserve.

Doch das ist noch lange nicht alles. Über fünf Meter hohe Gegenschall-Lautsprecher, die sich als moderne Skulpturen tarnen, wird an einigen Stellen im Park der städtische Umgebungslärm neutralisiert. Hier soll man zur Ruhe kommen. Doch die "Well-being-Oase", wie der Park in Präsentationsfilmen Taichungs bezeichnet wird, soll mittels Ultraschall-Lautsprecher im Bereich der Wasserflächen frei von lästigen Moskitos sein.

Ist das also unsere Zukunft? Natur, geschaffen mit Technik? "Der Jade Eco Park ist ein Experiment", sagt Philippe Rahm. "Wir wollen damit untersuchen, inwiefern man heute schon mit dem Baustoff Klima bauen kann – und ob die viel zitierte grüne Infrastruktur nur ein theoretischer Begriff oder tatsächlich schon gelebte Praxis ist." Lange ist nicht mehr Zeit. Im Mai 2011 hat die EU ein neues, überarbeitetes Biodiversity-Strategy-Programm verabschiedet. Demnach sollen immerhin 15 Prozent des bereits zerstörten Ökosystems bis 2020 wieder hergestellt werden. Bis dahin sind es nur noch ein bisschen mehr als drei Jahre. (Wojciech Czaja, 4.5.2017)